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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Abb. 9.6: Handlungsmodell von Medizin und Religion<br />

Kapitel 9<br />

Im Zentrum <strong>des</strong> medizinischen Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs stehen die Diagnose und die Behandlung von<br />

Krankheit, wohingegen im Zentrum der Heilspflege die Bekehrung zum Glauben und die Rettung <strong>des</strong> Seelenheils<br />

steht. Das gemeinsame Merkmal der religiösen Heilspflege und der medizinischen Heilpflege bestand darin, dass in<br />

beiden Bereichen der Aufgabenbereich der Pflegekräfte wie <strong>des</strong>sen Grenzen durch religiöse und medizinische Autoritäten<br />

im Sinne eines Unterordnungsverhältnisses klar umschrieben und situativ adaptiert wurde. Es handelte sich<br />

um eine hierarchische Differenzierung, bei der die Pflege jeweils als Teilaspekt der seelsorgerischen bzw. der medizinischen<br />

Hauptaufgabe verstanden wurde und nicht als eigenständige Aufgabe mit eigener Berechtigung. Hierbei<br />

wurde das Handeln der einzelnen Pflegekraft kollektiven Normen (der Ordensgemeinschaft, <strong>des</strong> Mutterhauses) bzw.<br />

den Normen der Religion und der wissenschaftlichen Medizin unterworfen. In beiden Bereichen war das eigenständige<br />

Handeln der einzelnen Pflegekräfte allenfalls in begrenztem Ausmaß vorgesehen. Es war eher die Ausnahme als<br />

die Regel. Wie der Ausdruck ‚verlängerter Arm <strong>des</strong> Arztes‘ sagt, wurde die Pflegekraft als Objekt bzw. Instrument<br />

der Medizin bzw. der Kirchen ohne eigenes Selbst und eigene Identität konstruiert. In beiden völlig verschiedenen<br />

sozialen Welten nehmen die Pflegekräfte einen randständigen und keinen zentralen Platz ein. Sie waren bzw. sind in<br />

beiden Welten der undifferenzierte Andere, der die übriggebliebene Arbeit in Form der Vor-, Zu- und Nacharbeit<br />

erledigt. In beiden Welten waren bzw. sind die Pflegekräfte bildlich gesprochen ‚marginal (wo)man‘ und ist ihre Arbeit<br />

‚unsichtbar‘ (s. Timmermans/Bowker/Star 1998: 221). Nach der Idee <strong>des</strong> Grenzobjekts (s. Kap. 8) hat die<br />

Krankheit <strong>des</strong> jeweiligen Patienten implizit die Funktion eines ‚boundary objects‘ (Grenzobjekts). Bowker/Star<br />

(2000: 292) sehen in der Funktion von Grenzobjekten eine von mehreren Möglichkeiten zum Handhaben divergierender<br />

Standpunkte. Bezogen auf die Pflege vermittelte die Krankheit als Grenzobjekt zwischen den beiden sozialen<br />

Welten, während die geschlechtlich konnotierte Arbeit der Pflegekräfte die Passage dieses Objekts von einer Welt in<br />

die andere ermöglichte. Den Pflegekräften kam eine wichtige Funktion bei der zu leistenden Übersetzungsarbeit<br />

zwischen den verschiedenen Welten zu, zwischen den sozialen Welten der Medizin, der Religion und der Patienten.<br />

Die Krankheit als Grenzobjekt diente der Gewährleistung und dem Management der Koexistenz verschiedener sozialer<br />

Welten. In Bezug auf die Religion rückte diese Funktion mit zunehmender Deutungsmacht der Medizin und dem<br />

in der säkularisierten Welt zunehmendem Bedeutungsverlust der von den Konfessionen angebotenen religiösen Deutungsmuster<br />

für Krankheit immer mehr in den Hintergrund.<br />

Als sich mit Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts von den in Deutschland in der Pflege vorherrschenden Berufskonzeptionen<br />

vor allem jene durchsetzten, wonach die Pflege der Medizin unterzuordnen war, geriet das Gleichgewicht zwischen<br />

Heils- und Heilpflege durcheinander. Der damit einhergehende Konflikt wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

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