09.12.2012 Aufrufe

zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Kapitel 9<br />

der Arbeitsebene bietet die Organisationsform der Primären Pflege der einzelnen Pflegekraft prinzipiell den hierfür<br />

erforderlichen Handlungsspielraum. Wie eine Pflegekraft die Funktion der Primären Pflegekraft ausgestaltet, zeigt<br />

sich u.a. darin, wie sie bei der klinischen Entscheidungsfindung von dem pflegerischen Wissenssystem Gebrauch<br />

macht oder dieses Wissen für die Gestaltung der Arbeitsbeziehung zum zu pflegenden Menschen und seinen Bezugspersonen<br />

und für die Arbeitsbeziehung mit anderen Pflegekräften und Berufsgruppen nutzt. Hierbei bringt sie<br />

nicht nur zum Ausdruck, welchen Wert sie der Pflege als Profession beimisst und welche Werte sie mit dem Pflegen<br />

verbindet, sondern sie behauptet durch die Art und Weise, wie sie pflegt, zugleich den Autoritäts- und Zuständigkeitsbereich<br />

der Pflege gegenüber dem Patienten und den anderen Berufsgruppen. Ihre Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollengestaltung<br />

kann laut Bucher/Stelling (1969: 6) durch drei strukturelle Bedingungen eingeschränkt werden. Diese sind<br />

zum einen die erforderlichen Fähigkeiten für eine bestimmte Aufgabe – hier die Pflege fremder Menschen -, sodann<br />

die Vorstellungen anderer Gruppen von der professionellen Pflege und schließlich das Team, innerhalb <strong>des</strong>sen<br />

die professionelle Arbeit erfolgt (s. auch Pkt.9.4.2 und 9.4.3).<br />

Was nun die in Kap. 1 erwähnten Wissensformen von Carper (1978/1992) und Chinn/Kramer (2008) betrifft, werden<br />

diese grundsätzlich auf zweierlei Art und Weise ausgedrückt: zum einen formal in Gestalt von Sprache und Schrift<br />

und zum anderen in den Handlungsweisen oder in der pflegerischen Praxis 73 (Chinn/Kramer 2008: 4). Letztere Form<br />

ist primär nonverbal. Einen, weniger dichotomen oder polarisierenden Zugang zu Wissensformen und <strong>zur</strong> professionellen<br />

Praxis bietet Michael Eraut (2000: 113f), der zwei allgemeine Wissensformen unterscheidet:<br />

1. das kodifizierte, öffentlich zugängliche oder propositionale Wissen<br />

2. das persönliche Wissen.<br />

Beide Wissensformen werden nicht als voneinander getrennt gesehen. Dies ist für die Artikulation <strong>des</strong> Autoritätsund<br />

Zuständigkeitsbereichs ebenso wichtig wie für die Bestimmung seiner Grenzen, aber auch für die Arbeit an der<br />

professionellen Pflegeverlaufskurve und an den Pflegeverlaufskurven <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen. Erauts Verständnis<br />

der o.g. Wissensformen korrespondiert mit dem pragmatistischen Theorieverständnis, das eine Kontinuität<br />

zwischen so genannten persönlichen Theorien - Alltags<strong>theorie</strong>n - und jenen Theorien postuliert, die mittels wissenschaftlicher<br />

Methoden generiert werden. Im Handeln kommen alle Wissensformen in unterschiedlichen Kombinationen<br />

zum Tragen. Von den oben erwähnten Wissensformen ist die kodifizierte Wissensform 74 definitionsgemäß explizit.<br />

Sie enthält Annahmen über qualifiziertes Handeln, jedoch weniger über Fähigkeiten oder über das ‚Knowing<br />

how’ (s. Eraut 2003: 61f). Das kodifizierte Wissen ist Teil <strong>des</strong> in einer Gesellschaft verfügbaren kulturellen Wissens.<br />

Dieses Wissen liegt aber nicht nur in kodifizierter, sondern auch in nichtkodifizierter Form vor. Es handelt sich um<br />

sozial hergestelltes und von Gemeinschaften sowie sozialen Gruppen geteiltes Wissen (s. Eraut 2010: 181, Strauss<br />

1993 und s. Pkt. 9.4). Das kodifizierte Wissen ist Teil <strong>des</strong> persönlichen Wissens, worunter Eraut (2000: 114) die<br />

kognitiven Ressourcen fasst, die ein Mensch in eine spezifische Situation einbringt und die es ihm erlauben zu denken<br />

und handlungsfähig zu sein, d.h. zu arbeiten. Eraut hebt auf den Gebrauch, statt auf den Wahrheitsgehalt <strong>des</strong><br />

Wissens ab. Persönliches Wissen umfasst<br />

• kodifiziertes Wissen, das von Menschen auf unterschiedliche Art und Weise genutzt wird<br />

• Know-how in der Form von Fähigkeiten/Fertigkeiten und Gewohnheiten<br />

• das persönliche Verständnis von Menschen und Situationen<br />

• akkumulierte Erinnerungen von Fällen und von episodischen Ereignissen<br />

• andere Aspekte der persönlichen Expertise, der praktischen Klugheit und <strong>des</strong> stillschweigenden Wissens<br />

73 Beide Ausdrucksweisen haben, worauf die Pragmatisten immer wieder hinweisen, eine sichtbare (hörbare) und eine unsichtbare<br />

(stille) Seite, die jedoch aufeinander bezogen sind (s. auch Star 1991, Strauss 1993).<br />

74 Nach Eraut (2000: 114, 2003: 61f) unterliegt die kodifizierte Wissensform verschiedenen Qualitätskontrollen in Form von peer<br />

reviews oder <strong>des</strong> öffentlichen Diskurses, sei es innerhalb einer Profession, eines Teams oder innerhalb der Öffentlichkeit. Ihren<br />

Status erhält dieses Wissen dadurch, dass es Eingang in Bildungsgänge, Bücher oder Fachzeitschriften findet.<br />

414

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!