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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 9<br />

Der vorne erwähnte Ansatz <strong>des</strong> ‚negotiated order and processual ordering‘ (s. Strauss 1993) liefert hierfür wichtige<br />

Anknüpfungspunkte, weil in diesem Prozessmodell Veränderungen unterstellt werden. Grundsätzlich müssen in Bezug<br />

auf ein Neuarrangement <strong>des</strong> pflegerisch-medizinischen Überlappungsbereichs auf theoretischer und praktischer<br />

Ebene Vorstellungen erarbeitet werden, die das traditionelle Arrangement und traditionelle Denkweisen überwinden.<br />

Dies ist notwendig, damit die Pflege ihren Autoritäts- und Zuständigkeitsbereich in einem multiprofessionellen Arbeitskontext<br />

behaupten und entwickeln kann. Die damit verbundene Arbeit unterscheidet sich grundlegend von der<br />

Arbeit, die mit der Übernahme ärztlicher Aufgaben verbunden ist, wie sie gegenwärtig im Zusammenhang mit der<br />

Neuverteilung von Aufgaben im Gesundheitswesen diskutiert wird (s. bspw. Höppner/Kuhlmey 2009 61 ). Hierbei<br />

handelt es sich um nichts anderes als um eine Neujustierung <strong>des</strong> historisch gewachsenen pflegerischen und medizinischen<br />

Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs, bei der die Übernahme ärztlicher Aufgaben im Gegensatz <strong>zur</strong> Weiterentwicklung<br />

der Pflege mit einem schnellen Prestigegewinn verbunden ist. Wie die Geschichte zeigt, hat die Übernahme<br />

ärztlicher Tätigkeiten die Pflege bei ihrer Kernaufgabe, der Pflege von Menschen, jedoch nicht weitergebracht.<br />

Eine Folge der praktischen Wirkungen <strong>des</strong> klassischen Professionsverständnisses für die Pflege in den letzten<br />

60 Jahren bestand darin, dass die genuine Pflege an den Rand gedrängt worden ist. Vielfältige Forschungsarbeiten<br />

der letzten 20 Jahre belegen anschaulich (s. bspw. Aiken et al 2000, Aiken 2008, Kalisch et. 2009, Slotala/Bauer<br />

2009 62 , Bartholomeyczik 2011a, c), dass dieser Trend in den Industrieländern über die Ökonomisierung im Gesundheitswesen<br />

noch einmal verschärft worden ist. Bemühungen, die Pflege pflegeinhaltlich zu strukturieren und auf dieser<br />

Basis weiterzuentwickeln, sind zum Scheitern verurteilt, wenn nicht gleichzeitig bestehende Denk-, Handlungsund<br />

Organisationsmuster aufgebrochen werden, die die Pflege ebenso wie die Medizin in einen nicht enden wollenden<br />

‚circulus vitiosus‘ verstricken und der historisch gewachsenen Berufs- und Professionskonstruktion geschuldet<br />

sind. Gerade mit Blick auf die Pflegekompetenzen <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen in beiden Pflegeformen muss statt<strong>des</strong>sen<br />

- wie in Kap. 8 herausgearbeitet -, die Beziehung zwischen Pflege und Krankheit wie auch die Arbeitsbeziehung<br />

zwischen Medizin und Pflege, Pflege und den anderen Gesundheitsberufen neu gedacht werden. Anregungen<br />

<strong>zur</strong> Neubestimmung und <strong>zur</strong> Untersuchung <strong>des</strong> pflegerischen Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs lassen sich neben<br />

dem erwähnten Ansatz von Strauss auch im Bereich der Wissenschafts- und Laborforschung finden (s. Bowker/Star<br />

2000, Star 2004, Jensen/Lahn 2005, Strübing 2005), sowie im interdisziplinären Forschungsbereich <strong>des</strong> arbeitsplatzbezogenen<br />

Lernens (s. Eraut 1994, Eraut 2000, Eraut/Hirsh 2007, Malloch et al. 2011). Die hier gewonnenen<br />

Erkenntnisse können zu einem erweiterten Verständnis von Professionen und deren vielfältigen Praxisformen<br />

beitragen. Auf der Handlungsebene hingegen eröffnet die Organisationsform der Primären Pflege die Basis für die<br />

Erkundung und Entwicklung <strong>des</strong> pflegegenuinen Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs 63 . Ein Vehikel für grundle-<br />

61 Karin Höppner und Adelheid Kuhlmey (2009: 10ff) betrachten die Veränderungen der Berufsbilder im Gesundheitswesen anhand<br />

<strong>des</strong> AGnES-Konzepts und ähnlicher Initiativen. Das AGnES Projekt wurde seit 2005 in einigen der neuen Bun<strong>des</strong>länder erprobt<br />

und ist inzwischen in die Regelversorgung aufgenommen worden. In diesem Projekt wurden hausärztliche Aufgaben im<br />

Delegationsverfahren auf die Pflege bzw. andere medizinische Fachkräfte übertragen, die dafür speziell weiterqualifiziert wurden.<br />

Die Möglichkeit hierzu wurde über das Pflegeweiterentwicklungsgesetz geschaffen. Nach der Beschreibung der Aufgaben übernimmt<br />

die spezielle Fachkraft im überlappenden Bereich Pflege/Medizin ärztliche Aufgaben, d.h. es handelt sich um Arztsubstitution.<br />

An anderer Stelle wird angemerkt, das Grund- und Behandlungspflege von dieser Kraft nicht übernommen werden. In ihrem<br />

Fazit fordern sie dazu auf, die gegenwärtige Aufgabenteilung als Resultat historischer Prozesse hinsichtlich ihrer Effizienz und<br />

Effektivität kritisch zu hinterfragen.<br />

62 Slotala/Bauer (2009: 61) konstatieren, dass es den Pflegeakteuren in dem seit den 1990er Jahren zu beobachtenden Transformierungsprozess<br />

<strong>des</strong> deutschen Gesundheitswesen im Zuge der Ökonomisierung offensichtlich nur schwer gelingt, ein eigenständiges<br />

Leistungsprofil der Pflege zu definieren und gegenüber wirtschaftlichen Zugriffen durchzusetzen.<br />

63 Gerlind Pracht und Ullrich Bauer (2009: 75f) haben in ihrer Untersuchung ‚Burnout im Klinikalltag, Empirische Erkenntnisse<br />

<strong>zur</strong> Emotionsarbeit, Stressbelastung und Klientenaversion in der pflegerischen und ärztlichen Tätigkeit‘ u.a. funktionale und<br />

ganzheitliche Pflegesysteme im Begriffsverständnis von (Büssing/Glaser 1996) miteinander verglichen. Sie kommen zu dem Ergebnis,<br />

„dass mit zunehmend vollständigen Tätigkeiten und Anforderungsvielfalt, mit größeren Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten<br />

sowie mit mehr sozialer Interaktion mit Patienten die emotionale Erschöpfung signifikant abnimmt […]. Hierbei zeigen<br />

sich in den einzelnen Dimensionen durchaus Variationen. Sie heben hervor, „dass das Merkmal soziale Interaktion mit den Patienten<br />

am stärksten mit sinkender emotionaler Erschöpfung und abnehmender Klientenaversion einhergeht“ (ebenda: 76). Ohne<br />

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