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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 9<br />

der Ebene Pflegekraft-Patient von den Pflegekräften neu ausgestaltet, justiert und weiterentwickelt werden. Dies zu<br />

ermöglichen, liegt im Verantwortungsbereich der Pflegeführungskräfte der verschiedenen Ebenen. In pflegerischen<br />

Kategorien zu denken und zu handeln, beinhaltet die aktive Wahrnehmung <strong>des</strong> durch das KrPflG von 2003 formal<br />

zugestandenen Autonomiezuwachses im eigenverantwortlichen Aufgabenbereich (s. Dörge 2009b: 327). Dies sollte<br />

zu einer veränderten Wahrnehmung <strong>des</strong> pflegerischen Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs und der bisherigen Arbeitsbeziehungen<br />

führen. Es beinhaltet die Initiierung von Lernprozessen bei Pflegeführungskräften und Pflegekräften,<br />

ein Punkt, der unter 9.4. aufgegriffen wird.<br />

Veränderungen <strong>des</strong> Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs werden im Handlungsmodell von Abbott (s. Kap. 4) unterstellt.<br />

Allerdings können diese unterschiedliche Formen annehmen und Folgen für die jeweilige Profession haben.<br />

Ein gutes Beispiel für die ‚Veränderbarkeit‘ <strong>des</strong> Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs aus der jüngeren Geschichte<br />

der Pflege sind die ‚nurse practitioners‘ (NP) 57 (s. Fairman 2008), an die in Deutschland Vorstellungen einer erweiterten<br />

Pflegepraxis (advanced nursing practice) anknüpfen. Diese spielen bei den gegenwärtigen Bemühungen um<br />

die Aufgabenneuverteilung im Gesundheitswesen eine Rolle (s. Positionspapier <strong>des</strong> DBfK 2007, Höppner/Kuhlmey<br />

2009, Kuhlmey/Höppner/Schaeffer 2011). An dieser Stelle soll nicht gegen eine Differenzierung oder Spezialisierung<br />

argumentiert werden. Vielmehr soll darauf hingewiesen werden, dass die beobachtbare Veränderbarkeit <strong>des</strong> Autoritäts-<br />

und Zuständigkeitsbereichs primär in den vertrauten Handlungs-, Denk- und Organisationsmustern (Gewohnheiten)<br />

der Müllereimer-Fahrstuhl<strong>theorie</strong> erfolgt. Hierbei wird das zwischen Medizin und Pflege historisch bestehende<br />

Über-/Unterordnungsverhältnis trotz <strong>des</strong> Strebens nach kollegialen Beziehungen nicht grundsätzlich in Frage<br />

bzw. auf eine andere Basis gestellt 58 . Ob die neueste Rollenkreation der US-amerikanischen Pflege in Gestalt der<br />

Clinical Nurse Leader (CNL) dieses Muster durchbrechen kann, bleibt abzuwarten. Für die dafür erforderliche Neubestimmung<br />

<strong>des</strong> pflegerischen Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs erhalten Pflegeführungskräfte von professionstheoretischer<br />

Seite wenig Hilfestellung, wenn dort beispielweise die Delegation von Teilaufgaben einer Profession<br />

an eine andere als etwas Selbstverständliches und Ewigwähren<strong>des</strong> behandelt wird. Hierbei werden die Folgen dieser<br />

57 In Kap. 4 habe ich auf die Wirkung der Mülleimer-Fahrstuhl<strong>theorie</strong> in diesem Zusammenhang hingewiesen. In den USA<br />

bestand laut Sandra Weiland (2008: 345) ein Ziel der ersten Pionierinnen darin, ‚Autonomie in der Praxis‘ zu erreichen, und nicht<br />

in der Bewältigung <strong>des</strong> damals herrschenden Ärztemangels (s. auch Keeling 2009: 15ff). Auf politischer Ebene und auf der Ebene<br />

der ärztlichen Stan<strong>des</strong>vertretungen wurde die Rolle der NP hingegen als Arztsubstitution gesehen, um zwei Problemen zu<br />

begegnen: dem Problem eines verbesserten Zugangs armer Bevölkerungsschichten <strong>zur</strong> Gesundheitsversorgung und dem der<br />

Kostenbegrenzung. Eine ähnliche Entwicklung ist im UK zu beobachten. Diese beschreibt Iain Graham in einem Gespräch mit<br />

Jacqueline Fawcett. Danach zielten die von der Blair-Regierung eingeleiteten Maßnahmen auf eine grundlegende Neuorganisation<br />

<strong>des</strong> NHS, in der dem Bereich der Primärversorgung und einer am Patienten/Klienten ausgerichteten Gesundheitsversorgung eine<br />

Schlüsselrolle zukommt. Hierbei können Pflegekräfte, aber auch andere Professionen wie Physiotherapeuten, bestimmte ehemals<br />

den Ärzten vorbehaltene Aufgaben wahrnehmen. Graham ist sich aufgrund der Entwicklungen in den USA und der historischen<br />

Entwicklung der Pflege als Profession durchaus der Gefahr bewusst, dass sich eine advanced practitioner nurse bei ihrer Arbeit<br />

und bei den von ihr zu bearbeitenden Problemlagen einseitig auf medizinisches Wissen und Erklärungsmodelle berufen kann.<br />

Dieses werde sich erst ändern, wenn es der Pflege - wie von Nightingale angeregt (zitiert in Fawcett/Graham 2005: 38) -, gelingt,<br />

ihre Wissensbasis auf die Gesetze der Gesundheit (die die gleichen wie die Gesetze der Pflege sind) zu stützen und daraus<br />

entsprechende Techniken <strong>des</strong> Heilens und <strong>des</strong> Caring abzuleiten. Jedoch scheint die Pflege hiervon noch weit entfernt und in<br />

Gewohnheiten verhaftet zu sein, die die Übernahme medizinischer Tätigkeiten fördert. So wurde die von der Pflege erstellte<br />

Statushierarchie der Pflegearbeit, bei der medizinische Tätigkeiten an oberster Stelle rangieren und die körperliche Versorgung<br />

<strong>des</strong> Patienten an unterster Stelle, erstmals mit der Einführung <strong>des</strong> Pflegeprozesses und der Entwicklung von Pflege<strong>theorie</strong>n in den<br />

letzten 40 Jahren in Frage gestellt. Allerdings hat sich die Übernahme medizinischer Aufgaben als sehr verführerisch erwiesen, so<br />

dass die Unterstützung der Patienten bei der Klärung wichtiger Lebensfragen im Zusammenhang mit der Pflege ihrer Körper<br />

(verstanden als dirty work) ins Hintertreffen geriet. Hier sind Veränderungen geboten, und die Pflegekräfte sollten sich angesichts<br />

der bestehenden Gesundheitsprobleme aufgrund der Lebensstile, <strong>des</strong> Vorliegens chronischer Erkrankungen, der Versorgung alter<br />

Menschen u.a.m. mit Fragen der ‚self-care‘ und <strong>des</strong> ‚self-nursing‘ als zu erforschenden Gebieten auseinandersetzen (s.<br />

Fawcett/Graham 2005).<br />

58 Die Pflege hat vielfach bewiesen, dass sie in der Lage ist, medizinische Routineaufgaben zu übernehmen. Bei der Durchsetzung<br />

pflegegenuiner Innovationen geht es jedoch darum, alte und vertraute Denkmuster aufzubrechen. An dieser Stelle begibt man sich<br />

in jeder Hinsicht auf ein höchst politisiertes Parkett.<br />

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