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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 9<br />

zu pflegenden Menschen relevanten Perspektiven einbezogen werden, damit der unterbrochene Handlungsfluss<br />

durch entsprechende Maßnahmen wieder in Gang gesetzt werden kann. Über die sich in diesen drei Handlungsweisen<br />

verkörpernde kulturelle Arbeit, die offen artikuliert werden oder unartikuliert (unsichtbar) bleiben kann und bei<br />

der der Bezug zum behaupteten Wissenssystem bzw. zu Wissensformen deutlich wird oder verschwommen bleibt,<br />

wird der Autoritäts- und Zuständigkeitsbereich auf der Ebene der Arbeit mit dem zu pflegenden Menschen aktiv hergestellt.<br />

In ihrer übergeordneten Funktion ist die kulturelle Arbeit die Voraussetzung, damit eine Profession ihr gesellschaftliches<br />

Mandat mit Leben füllen kann. Ein wichtiger Arbeitstyp der kulturellen Arbeit ist die Artikulationsarbeit<br />

(s. Strauss 1985b, Strauss et al. 1985, Strauss 1993, Corbin/Strauss 1993, Mischo-Kelling 1996, 2002,<br />

Star/Strauss 1999). Sie erlaubt, das Pflegen als Handeln in Begriffen und Konzepten zu denken und zu kommunizieren.<br />

Mittels dieser Arbeit wird die zu leistende Pflege benannt, die erforderliche Arbeitsteilung ausgehandelt, die Arbeit<br />

aller Beteiligten in Bezug auf die Pflege- und Krankheitsverlaufskurven <strong>des</strong> jeweiligen Patienten, d.h. an seinen<br />

multiplen Verlaufskurven, aufeinander bezogen und integriert (Strauss et 1985: 151ff). Diese Arbeit kann auf verschiedenen<br />

Ebenen erfolgen, auf den Ebenen der allgemeinen Planung, der Organisation und Koordination und<br />

schließlich der konkreten Umsetzung. Sie kann je nach Organisation in unterschiedlicher Kombination erfolgen, wobei<br />

auf verschiedene Strategien wie Routinen, Prozeduren, Standards oder klinische Pfade und auf Kommunikationswege<br />

sowie –mittel <strong>zur</strong>ückgegriffen werden kann. Grundsätzlich bergen die Pflegeverlaufskurven und die Krankheitsverlaufskurven<br />

der zu pflegenden Menschen eine hohe Variabilität und somit Ungewissheit, weil hier verschiedene<br />

soziale Welten aufeinanderprallen, die <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen, die der professionellen Pflegekraft sowie<br />

die der anderen Gesundheitsprofessionen (s. Pkt. 9.4.3). Hierbei sind Spannungen, Konflikte u.a.m. unvermeidbar,<br />

was ganz allgemein gewisse Anforderungen an die Pflegekräfte stellt.<br />

Was die Behauptung <strong>des</strong> Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs einer Profession betrifft, muss diese auf verschiedenen<br />

Ebenen, etwa auch auf der legalen Ebene behauptet werden (s. Kap. 4.). Auf dieser Ebene unterscheidet sich der<br />

pflegerische Autoritäts- und Zuständigkeitsbereich in den einzelnen Ländern. In Deutschland wird im Krankenpflegegesetz<br />

von 2003 ein dreiteiliger Autoritäts- und Zuständigkeitsbereich bestimmt. Dieser ist in gewisser Weise vergleichbar<br />

mit dem der USA, obwohl die Entwicklungen beider Länder unterschiedlich verlaufen sind (s. Kap. 4). Die<br />

Entwicklungen in Ländern wie den USA, Kanada, UK 50 oder Australien zeigen, dass die Behauptung <strong>des</strong> Autoritätsund<br />

Zuständigkeitsbereichs auf der Arbeitsebene ein hochkomplexes, spannungsgeladenes, konflikthaftes und widersprüchliches<br />

Unterfangen ist. Hierbei kommt der Arbeitsorganisation, d.h. der Arbeitszuweisung und der intraund<br />

interdisziplinären Arbeitsteilung unabhängig davon, wie eng oder weit der Autoritäts- und Zuständigkeitsbereich<br />

auf der betrieblichen Ebene definiert ist, die entscheidende Rolle zu. Grundsätzlich können zwei unterschiedliche<br />

Formen der Arbeitszuweisung unterschieden werden, die Zuweisung von Einzeltätigkeiten unterschiedlichster<br />

Komplexität und die Zuweisung von Patienten. Letztere entspricht der professionellen Logik. Der Handlungsradius<br />

und Entfaltungsspielraum einer Pflegekraft unterscheidet sich entsprechend der gewählten Form der Arbeitszuweisung.<br />

Darüber hinaus wird der Handlungsspielraum einer Pflegekraft von weiteren Faktoren beeinflusst, etwa durch<br />

den Umfang der direkten und indirekten Arbeiten der Patientenversorgung (s. Deutschendorf 2010: 443). Letztere<br />

enthalten neben administrativen Aufgaben auch solche, die dem hauswirtschaftlichen Bereich zuzuordnen sind. Un-<br />

50 Auch wenn es in UK eine solche Dreiteilung nicht gibt, scheint der Zuständigkeitsbereich der Pflege durch die historisch geübte<br />

Praxis der Delegation von Aufgaben von einer Profession/Berufsgruppe auf eine andere, d.h. von der Medizin auf die Pflege und<br />

von der Pflege auf Hilfskräfte, auch wenn diese auf der Basis von Kompetenzen erfolgt, erheblichen Irritationen ausgesetzt zu<br />

sein. Dass diesbezüglich in UK viele Unsicherheiten bestehen, belegt eine Studie von Savage/Moore (2004) zum Verständnis der<br />

Begriffe ‚Responsibility, Authority and Accountability‘. Das Delegationsprinzip ist einseitig und kein wechselseitiges. Aufgrund<br />

<strong>des</strong> damit verbundenen Machtungleichgewichts erschwert es nicht nur die kollegiale Zusammenarbeit, sondern fördert eine<br />

fortwährende Aktivierung <strong>des</strong> Mülleimer-Fahrstuhl-Phänomens anstelle einer Überwindung <strong>des</strong>selben. Auf der konzeptuellen<br />

Ebene führt dies eher zu einer Privilegierung <strong>des</strong> medizinischen anstelle <strong>des</strong> pflegerischen Wissenssystems (s. hierzu etwa die<br />

Arbeit von Maureen A. Coombs (2004) <strong>zur</strong> klinischen Entscheidungsfindung in der Intensivpflege).<br />

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