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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 9<br />

Auf die Spannung, die zwangsläufig zwischen einer administrativen Autorität und einer Fachautorität entsteht, hat<br />

auch Amitai Etzioni (1971: 120ff) hingewiesen. Etwa im gleichen Zeitraum nähern sich Strauss et al. (1964/1981) in<br />

ihrer Psychiatriestudie dem Thema Bürokratie und Profession über ein Prozessmodell an. Dieses Modell ist unter<br />

dem Begriff der ‚negotiated order‘ (ausgehandelte Ordnung) bekanntgeworden. Ihr Prozessmodell bietet mit Blick<br />

auf die Umsetzung der pragmatistisch-interaktionistischen Theorie <strong>des</strong> Pflegehandelns im Rahmen eines PPM interessante<br />

Einsichten, da der Fokus auf professionelle Ideologien (Wissens- und Glaubenssysteme), auf das menschliche<br />

Handeln und auf die Gesamtorganisation der professionellen Arbeit gelenkt wird. Es berücksichtigt, dass professionelle<br />

Arbeit in einem bestimmten Umfeld erfolgt, in dem in der Regel nicht nur eine, sondern mehrere Berufsgruppen<br />

miteinander arbeiten. In ihrer ‚Psychiatriestudie‘ zeigen sie, wie die auf Theorien beruhenden Weltanschauungen<br />

der Psychiater <strong>zur</strong> Behauptung und Verteidigung <strong>des</strong> Autoritäts- und Zuständigkeitsbereichs in Anspruch genommen<br />

werden und wie auf dieser Basis die Arbeit am, um und mit dem Patienten sowie die Beziehungen mit anderen<br />

Professionen/Berufsgruppen gestaltet werden. Ihr Modell ermöglicht es, das Augenmerk auf das ganze Spektrum<br />

menschlichen Handelns zu richten, d.h.<br />

„sowohl auf kooperatives wie auf konflikthaftes Handeln […], rationales (begründetes) und nichtrationales<br />

Handeln, strukturiertes und entstehen<strong>des</strong> Handeln, geregeltes und nicht geregeltes Verhalten, auf eine formale/informelle<br />

oder spontane Arbeitsteilung, auf institutionsübergreifen<strong>des</strong> und auf ein auf eine Untereinheit bezogenes<br />

Handeln, auf intra-individuelles Handeln und seine Beziehung zum organisatorischen Handeln, auf eine<br />

totale und teilweise institutionelle Bindung (commitment), auf intra-organisatorischen und außerorganisatorischen<br />

Druck, d.h. auf die ‚soziale Organisation‘ und ‚soziale Prozesse‘“ (Strauss et al. 1964/1981:<br />

14).<br />

In diesem Modell werden das Wissen wie die soziale Organisation der Arbeit nicht als fixe Größen gehandelt, sondern<br />

entsprechend dem pragmatistischen Hintergrundverständnis 12 als dynamische Größen, die in und durch die<br />

menschliche Arbeit einem Wandel ausgesetzt sind. Eine zentrale Rolle spielt hier die Zugehörigkeit zu einer spezifischen<br />

sozialen Welt (z.B. Pflege oder Medizin) und entsprechenden sozialen Subwelten (s. Kap. 4, 8). Als grundlegende<br />

Merkmale von Organisationen, in denen hauptsächlich Professionen arbeiten, beschreiben Bucher/Stelling<br />

(1969: 4f) das aktive Gestalten und Aushandeln von Rollen 13 . Hierbei handelt es sich um eine primär von den Professionellen<br />

selbst zu leistende Arbeit, bei der sie ihre Vorstellungen von der eigenen professionellen Aufgabe, von<br />

ihrer Verantwortung, ihren Interessen und der Organisation ihrer Arbeit artikulieren müssen.<br />

Aus pflegerischer Sicht sind die Folgen dieses Spannungsverhältnisses von Marlene Kramer in ihrer 1974 veröffentlichten<br />

Studie ‚Reality Shock‘ thematisiert worden (s. Fasoli 2010: 21f). Anfang der 1980er Jahre greifen Fourcher/Howard<br />

(1981) das Thema Bürokratie und Profession erneut auf. Sie gehen auf die doppelte Problematik eines<br />

hohen Anteils der Pflegekräfte ein, zugleich Gesundheitsprofessionelle und Angestellte eines Krankenhauses zu sein.<br />

In Bezug auf die Themen Professionalisierung und Bürokratisierung unterscheiden sie zwei Formen von Rationalisierung:<br />

eine personenbezogene und eine organisationale. Erstere verweist auf einen selbstgesteuerten Prozess (Professionalisierung),<br />

letztere auf einen fremdgesteuerten Prozess. Aus ihrer Sicht lief die Pflege damals Gefahr, völlig<br />

12 Im einleitenden Kapitel beschreiben Strauss et al. (1964/1981: 16), dass sich ihr Modell auf zentrale Einsichten Meads stützt.<br />

Es geht um die zentrale Frage, wie ein gewisses Maß an Ordnung angesichts unvermeidbarer Veränderungen (von Quellen außerhalb,<br />

wie innerhalb der Organisation) aufrechterhalten werden kann. Strauss arbeitet den negotiated-order-Ansatz in weiteren Arbeiten<br />

aus und legt <strong>des</strong>sen letzte Fassung in seinem Buch ‚Continual Permutations of Action‘ dar. Er spricht jetzt von ‚negotiated<br />

order and processural ordering‘ und diskutiert die damit verbundenen Prozesse in Zusammenhang mit den Konzepten soziale<br />

Welten/Arenen (s. Strauss 1993, insbesondere Kap. 10 und 11).<br />

13 Rollengestalten ist eine direkte Konsequenz aus dem Zubilligen/Gewähren <strong>des</strong> professionellen Status. Beim Versuch, die<br />

eigenen Arbeitsbedingungen zu kontrollieren, engagiert sich der Professionelle in einem Prozess <strong>des</strong> offenen Aus- und<br />

Verhandelns. Dieses Aushandeln erfolgt aus einer Position <strong>des</strong> professionellen Werts und beinhaltet die ganze Rhetorik der<br />

professionellen Rechtsansprüche (Jurisdiction) (Bucher/Stelling 1969: 5f).<br />

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