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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

Die Fähigkeiten <strong>zur</strong> Perspektivenübernahme und zum intelligenten Mitfühlen der professionellen Pflegekraft<br />

sind von außerordentlicher Bedeutung für die Beziehungsgestaltung während ihrer Arbeit an den Pflegeverlaufskurven<br />

und am Selbst <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen. Wie angedeutet, ist neben dem Beziehungsgefüge bzw.<br />

-netz <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen auch das organisatorische Beziehungsgefüge <strong>des</strong> jeweiligen Settings, z.B. <strong>des</strong><br />

Krankenhauses zu berücksichtigen. Hierbei ist von der Pflegekraft in mehreren Richtungen und Beziehungen<br />

Grenzarbeit sowie Identifikationsarbeit zu leisten. Innerhalb der verschiedenen Beziehungen muss sie lernen,<br />

zwischen den verschiedenen Beziehungsformen der Pflege und unterschiedlichen zwischenmenschlichen Beziehungsformen<br />

zu differenzieren. Sie muss lernen, sich selbst zu führen, um den zu pflegenden Menschen bei den<br />

von ihm zu leistenden Lern- und Adaptationsprozessen unterstützen und um im Verlauf der Beziehung situativ<br />

angemessene Rollen übernehmen zu können. Wie der Gang der Arbeit deutlich gemacht hat, sind damit erhebliche<br />

Anforderungen an die Pflegekraft gerichtet. Hierzu gehört ganz entscheidend, die Pflege als ein eigenständiges<br />

Phänomen zu denken, sprachlich zu artikulieren 158 und zu kommunizieren, um problematische Pflegesituationen<br />

– seien sie problematisch für die zu pflegende Person oder für die Pflegekraft selbst – konstruktiv und kreativ<br />

handhaben zu können.<br />

In allen pflegetheoretischen Ansätzen wird seitens der Pflegekraft das Beherrschen technischer Fähigkeiten, etwa<br />

in der Körperpflege, die Mobilisierung eines Menschen oder die ‚Krankenbeobachtung‘ vorausgesetzt. Darüber<br />

hinaus verstehen Roper/Logan/Tierney sowie King und Roy den Pflegeprozess als methodisches Mitteln für die<br />

bewusste Gestaltung der Pflege. In ihren Ansätzen rücken sie vom Bild <strong>des</strong> passiven Patienten ab und gehen von<br />

der aktiven Beteiligung <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen aus. Verbunden sind damit Konzepte wie Empowerment<br />

und Shared decision-making bzw. Collaborative decision-making159 . Beide Konzepte können aus der pragmatistisch-interaktionistischen<br />

Theorie <strong>des</strong> Handelns abgeleitet werden, da das professionelle Pflegehandeln konsequent<br />

an der problematisch gewordenen Pflegehandlungssituation <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen ansetzt und sich<br />

die einzuschlagenden Handlungsschritte an seinen Möglichkeiten orientieren und in seinem Leben/seiner Realität<br />

funktionieren müssen. Der Erfolgsmaßstab ist die Pflegekompetenz <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen in den beiden<br />

Pflegeformen.<br />

Ein kritischer Punkt in allen pflegetheoretischen Ansätzen, ist die mehr oder weniger ungeklärte, zwischen Pflege<br />

und Medizin bestehende Beziehung. In der in allen Ansätzen eingenommenen Perspektive auf die Gesundheit<br />

und das Leben der zu pflegenden Menschen liegt bereits ein erstes Abrücken von einer einseitigen Krankheitsorientierung<br />

vor. Nach dem pragmatistisch-interaktionistischem Verständnis nähern sich die Pflege und die Medizin<br />

dem zu pflegenden Menschen beim Vorliegen von Krankheit aus verschiedenen Perspektiven. Die pflegerische<br />

Perspektive ist eine handlungsbezogene und auf den betroffenen Menschen bezogen. Die medizinische<br />

Perspektive ist zustandsbezogen, d.h. sie ist auf die Krankheit als akute oder chronische Veränderung physiologischer,<br />

biologischer und psychischer Prozesse bezogen. Das Handlungsobjekt der Medizin, das über den kranken<br />

Menschen vermittelt wird, ist die Krankheit. Damit das professionelle Pflegehandeln seine therapeutische<br />

Wirkung entfalten kann, müssen das pflegerische Objekt, das Gegenstand der Arbeitsbeziehung zwischen einer<br />

professionellen Pflegekraft und einem Patienten sowie seinen Bezugspersonen ist, ins Zentrum gerückt werden.<br />

Es ist das Mittel, über das die beiden Formen <strong>des</strong> Pflegehandelns weiterentwickelt werden. Die in dieser Arbeit<br />

diskutierten Pflegetheoretikerinnen haben eine wichtige Denkarbeit geleistet und der Pflege begriffliche Mittel<br />

an die Hand gegeben, die Pflege neu zu denken, zu einem Denken zu finden, das im Widerspruch zum historisch<br />

vermittelten Denken in medizinischen Kategorien steht. Die Überwindung gewohnter Denkmuster erfordert eine<br />

Anstrengung und das Verlassen eines ‚sicheren Hafens‘. Dies ist aber die Voraussetzung dafür, dass Pflege und<br />

158 Nur so ist Identifikation, Abgrenzung und Distanzierung im Sinne einer relativen Distanz möglich.<br />

159 In allen pflegetheoretischen Ansätzen ist der heute aktuelle Gedanke einer patientenzentrierten oder personenzentrierten<br />

Versorgung (PCC) enthalten. Auf dem ersten Blick scheint PCC ein leichtes Konzept zu sein. Wenn es <strong>zur</strong> Umsetzung<br />

kommt, zeigt sich, dass es sich um ein eher komplexes Konzept handelt.<br />

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