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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

Re- oder Neuhabitualisierung. Sie ermöglicht die Entwicklung von Strategien, Techniken und den Einsatz von<br />

Hilfsmitteln, die nicht nur für beide Formen pflegerischen Handelns wichtig sind, sondern auch für erforderliche<br />

Anpassungen (s. Kap. 3.4.3: 116). So gesehen ist die edukative Funktion eine wichtige Teilkompetenz der auf<br />

sich selbst und auf andere Menschen bezogenen Pflege. Die Fähigkeit hierzu muss demnach von allen Menschen<br />

ausgebildet werden. Hierzu bedarf es, worauf Peplau hingewiesen hat, solcher Beziehungen, die ein Maß an ‚Sicherheit<br />

und Vertrauen‘ vermitteln, um sich auf ungewohnte Gebiete zu wagen. Dies trifft erst recht im Fall von<br />

Krankheit zu.<br />

Dass die Arbeit an den beiden Pflegeverlaufskurven und am Selbst ganz allgemein und erst recht durch das Auftreten<br />

von Krankheit und deren Auswirkungen ein komplexes Unterfangen ist, ergibt sich daraus, dass der zu<br />

Pflegende im Krankheitsfall mit von ihm selbst zu bewältigenden Änderungsprozessen seines Selbst und Körpers<br />

konfrontiert wird. Dies ist der Besonderheit der zentralen pflegerischen Objekte – dem Selbst und dem Körper<br />

– geschuldet. Dies berührt auch die Arbeit derjenigen, die den zu pflegenden Menschen bei der auf ihn selbst<br />

bezogenen Pflege und/oder bei der Pflege Anderer unterstützen. Sie müssen lernen, dass sie dem zu Pflegenden<br />

die von ihm selbst zu leistende Arbeit, auch wenn sie alle Dinge für ihn ausführen, nicht abnehmen, sondern ihn<br />

nur dabei unterstützen können. Wie schon erwähnt, können die Folgen, die die Krankheit für den betroffenen<br />

Menschen nach sich zieht, die pflegenden Personen zu sehr verschiedenen Handlungsweisen veranlassen. Für die<br />

pflegenden Personen ist es wichtig anzuerkennen, dass die zu pflegende Person je nachdem, wo auf der Lebensspanne<br />

sie sich befindet, entweder noch Fähigkeiten in den beiden Pflegeformen ausbilden muss oder bereits<br />

darüber verfügt. Im letzten Fall tritt die pflegende Person dem zu pflegenden Menschen mehr oder weniger als<br />

Experte147 in der auf sich selbst und auf Andere bezogenen Pflege gegenüber. Die Aufgabe der Pflegenden besteht<br />

darin, ein entsprechen<strong>des</strong> Umfeld zu schaffen, das die erforderlichen Lern- und Adaptationsprozesse <strong>des</strong> zu<br />

Pflegenden auf breiter Front unterstützt.<br />

Ein anderes Thema ist, dass diejenigen, die mit der Pflege148eines zu pflegenden Menschen konfrontiert sind,<br />

sich mit der Funktion <strong>des</strong> Selbst als Anti-Angst-System auseinandersetzen müssen. Krankheit löst beim Menschen<br />

tendenziell Angst aus, und es ist laut Peplau nicht möglich, in einer Pflegesituation Phänomenen <strong>des</strong><br />

Selbst bzw. <strong>des</strong> Selbst-Systems zu entrinnen. Pflegende und erst recht professionell Pflegende müssen sich bewusst<br />

sein, dass die Angst149 <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen durch ihr Verhalten verstärkt werden kann. Sie können<br />

durch ihr Handeln die Sicht <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen auf sich selbst verstärken und das daraus resultierende<br />

Handeln bei Nichtbeachtung in ein krankmachen<strong>des</strong> Verhalten statt in gesundheitsfördernde Bahnen lenken.<br />

Die in Kap. 5 erwähnten Studien zeigen, dass dieses relativ schnell geht. Durch ihr Handeln kann die pflegende<br />

Person das Handeln <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen bestätigen, es ablehnen oder sich indifferent dazu verhalten.<br />

Die Crux ist, dass dies im Krankheitsfall für den zu Pflegenden eine höchst prekäre Situation darstellt, da<br />

er aufgrund der beim Handeln wirkenden selektiven Aufmerksamkeit besonders empfänglich für kleinste Hin-<br />

147 Im Zusammenhang mit chronischen Erkrankungen werden seit einigen Jahren so genannte ‚Chronic Disease Self-<br />

Management Programme‘ oder ‚Expert Patients Programme‘ diskutiert. Hinter diesen Begriffen verbergen sich unterschiedliche<br />

Ansätze (s. Thorne 2008, Wilson/Kendall/Brooks 2007, Müller-Mundt 2011). Die verschiedenen Ansätze haben dazu<br />

beigetragen, den Blick dafür zu öffnen, dass ein Großteil <strong>des</strong> Krankheitsmanagements nicht im Rahmen eines Arztbesuches<br />

erfolgt, sondern auf den Schultern der chronisch Kranken und ihrer Familien lastet. Sally Thorne (2008: 10) kritisiert, dass<br />

diese Ansätze nach wie vor an der jeweiligen Krankheit orientiert sind. Sie fordert eine erweiterte Begriffsbildung, die sie mit<br />

dem von ihr induktiv entwickelten Konzept <strong>des</strong> ‚Everyday-Self-Care-Decision-Making‘ anzubieten glaubt. Riegel/Lee/Dickson<br />

(2011) klassifizieren die ‚Self-care‘ von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz. Sie unterscheiden ‚selfcare-experts‘,<br />

‚inconsistent self-carers‘ und ‘self-care novices’. Riegel et al. (ebenda) bestimmen den Begriff der ‚self-care‘<br />

als Entscheidungsfindung in Bezug auf die Auswahl positiver Gesundheitspraktiken, der ‚self-care-maintenance‘, und von<br />

Verhaltensweisen, die dem Management von Krankheitsanzeichen und –symptomen sowie der Erkrankung dienen, dem<br />

‚self-care-management‘. Grey/ Knafl/McCorkle (2006) erweitern in den von ihnen entwickelten Forschungsbezugsrahmen<br />

den Begriff <strong>des</strong> Self-Managements bei chronischen Erkrankungen um den Begriff <strong>des</strong> Familienmanagements.<br />

148 Deshalb muss die Pflegekraft mit dem Phänomen der Angst umgehen können.<br />

149 Angst etwa vor einer dauerhaften Abhängigkeit von der Pflege Anderer.<br />

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