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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

• aus dem Hier-und-Jetzt-Handeln, dem unmittelbaren Handeln, herauszutreten,<br />

• zu einer Situationsdefinition und somit zu einer Problemidentifikation zu gelangen,<br />

• sich vermittels <strong>des</strong> angestrebten ästhetischen Objekts, d.h. über die Konstruktion <strong>des</strong>selben sich mit diesem<br />

zu identifizieren und sich zugleich von sich selbst zu distanzieren, um es dann aus einer hinreichenden<br />

Distanz heraus zu analysieren, um mögliche einzuschlagende Handlungsoptionen gedanklich<br />

zu erproben, bevor<br />

• die ausgewählte Handlungslinie dann konkret realisiert wird, was bei einem Erfolg <strong>zur</strong> Fortsetzung <strong>des</strong><br />

Handelns führt.<br />

Beim Vorliegen von Krankheit kann die Fähigkeit zum reflexiven Handeln infolge der mit der Krankheit verbundenen<br />

Schmerzen mehr oder weniger stark beeinträchtigt und im Fall der Bewusstlosigkeit auch ganz ausgeschaltet<br />

sein. Aus der Sicht <strong>des</strong> Royschen Ansatzes kann das adaptive Vermögen <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen in<br />

einem, in zwei, drei oder in allen vier Adaptationsmodi beeinträchtigt sein. In einer solchen Situation müssen<br />

bisher integrierte Lebensprozesse kompensiert werden oder sind sogar gefährdet. Kompliziert wird das Ganze<br />

dadurch, dass die Ergebnisse der selbstbezogenen Pflege der Bewertung durch einen selbst, aber auch durch Andere<br />

unterliegen, was wiederum Einfluss auf Folgehandlungen hat. Bei einer solchen Bewertung können die in<br />

jedem Handeln liegenden kreativen Momente, die sich aus der dialogischen Struktur <strong>des</strong> I und <strong>des</strong> Me ergeben<br />

und die sich in kleinsten Dingen zeigen können, völlig aus dem Blick geraten. Sie können aber auch Anlass bieten,<br />

sich beim nächsten Mal mehr zuzutrauen.<br />

Für den betroffenen Menschen macht sich die Krankheit in den verschiedenen Handlungsformen, d.h. vom unmittelbaren<br />

bis zum reflexiven Handeln bemerkbar. Sie berührt das so genannte ‚ästhetische Objekt‘, die damit<br />

verbundenen ästhetischen Erfahrungen und assoziierten Werte. Bei der durch die Krankheit ausgelösten Handlungsunterbrechung<br />

können sich Emotionen in unterschiedlichem Ausmaß bemerkbar machen. Die ‚gefühlte‘<br />

Handlungsunterbrechung kann in manchen Situationen leicht überwindbar sein. Sie kann aber auch ganz andere<br />

Anstrengungen erfordern und/oder zu den unterschiedlichsten Abwehrreaktionen führen. Was letztere betrifft,<br />

unterscheidet Peplau zwischen problemvermeidendem Handeln und pathologischen Abwehrdynamismen wie<br />

zum Beispiel Fixierung, Projektion oder Verdrängung. Sie geht davon aus, dass eine Beziehung zwischen der<br />

gewählten Abwehrstrategie und der jeweiligen Selbstsicht <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen besteht. Eine andere<br />

Form <strong>des</strong> Umgangs besteht in einem problemorientierten Handeln143 , das dem oben erwähnten reflexiven Handeln<br />

entspricht.<br />

Von den im vorigen Abschnitt genannten Funktionen von Gewohnheiten besteht eine ganz wesentliche darin,<br />

dass sich in ihr die Handlungs- und Leistungsfähigkeit <strong>des</strong> Menschen verkörpert, einschließlich der Fähigkeit,<br />

Probleme zu lösen. Bildlich gesprochen wohnen Menschen in ihren Gewohnheiten genauso wie in ihren Körpern.<br />

In beiden sind die Erfahrungen <strong>des</strong> betroffenen Menschen und sein Wissen über sich selbst und seine Welt<br />

abgelagert. Der menschliche Körper und die im Laufe <strong>des</strong> Lebens erworbenen Gewohnheiten in den beiden<br />

Pflegeformen sind grundlegende Ressourcen <strong>des</strong> Menschen, um sich in der Welt zu behaupten. Sie geben ihm<br />

eine gewisse Sicherheit, die durch eine Krankheit maßgeblich erschüttert werden kann, wobei das Bild vom eigenen<br />

Handlungs- und Leistungsvermögen, von sich selbst, vom eigenem Körper und den verschiedenen sozialen<br />

Identitäten ins Schwanken geraten oder gar einstürzen kann (s. auch Kap. 3.4.3). In einer solchen Situation<br />

wird darüber hinaus die zwischen gewohnheitsmäßigem Handeln und reflexivem Handeln bestehende Beziehung<br />

erschüttert, insofern der betroffene Mensch bei seinen Bemühungen, den unterbrochenen Handlungsfluss wieder<br />

in Gang zu setzen, nicht mehr auf die für ihn bis dahin selbstverständlichen Fähigkeiten in den diversen AL <strong>zur</strong>ückgreifen<br />

kann. Laut Strauss treten im Krankheitsfall insbesondere jene Gewohnheiten ins Bewusstsein, die<br />

durch die Krankheit direkt berührt sind. Dies bringt es mit sich, dass bspw. das Erleiden eines Herzinfarkts für<br />

unterschiedliche Menschen mit nicht vergleichbaren Erfahrungen verbunden ist. Es kann nicht davon ausgegan-<br />

143 Auch hier nennt sie so genannte ‚normale Abwehrdynanismen‘ wie etwa Identifikation, Substitution oder Rationalisierung.<br />

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