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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

Krankheit130 geht es darum herauszufinden, wie, in welcher Form und in welchem Ausmaß diese Kompetenzen<br />

von der Krankheit beeinträchtigt werden und welchen Einfluss das Krankheitsgeschehen sowie die medizinische<br />

Behandlung auf die zentralen pflegerischen Objekte Körper und Selbst haben.<br />

Alle Pflegetheoretikerinnen stellen fest, dass die zentralen Objekte <strong>des</strong> pflegerischen Handelns – der Körper und<br />

das Selbst - beim Auftreten von Krankheit verletzbar und verwundbar sind. Die Krankheit hat Auswirkungen auf<br />

deren Funktionsweisen und somit auf das Handeln131 . Die damit verbundenen Reaktionen wie Abwehr, Angst,<br />

Panik, Schock, das Erleben von Hilflosigkeit und eines u.U. außer Kontrolle geratenen Körpers zeigen sich aufgrund<br />

<strong>des</strong> intimen und personenbezogenen Charakters der pflegerischen Arbeit unweigerlich offen oder verdeckt<br />

bei der Arbeit an den Pflegeverlaufskurven und am Selbst. Ungeachtet <strong>des</strong>sen kann die Arbeit an ihnen aufgrund<br />

der Erkrankung nicht einfach ausgesetzt werden, sondern muss unter veränderten Bedingungen, alleine, temporär<br />

bis dauerhaft ohne und mit Unterstützung durch Andere, seien es vertraute Bezugspersonen oder professionelle<br />

Pflegekräfte fortgesetzt werden. Genau an diesem Punkt wird der von Peplau eingeleitete Paradigmenwechsel<br />

relevant, der in einem bislang wenig verstandenen radikalen Bruch mit der im 19. Jahrhundert entstandenen und<br />

bis heute wirksamen Vorstellung besteht, die die Pflege grundsätzlich mit der Pflege der Krankheit assoziiert. In<br />

dieser Vorstellung erscheint der zu pflegende Kranke als Objekt und die pflegende Person als ausführen<strong>des</strong> Instrument<br />

<strong>des</strong> Arztes. In dieser Vorstellung werden beide zu einem Objekt/Ding und werden beide ihres Selbst,<br />

ihrer Persönlichkeit einschließlich ihrer eigenen Handlungsfähigkeit beraubt. Diese Vorstellung hat Peplau hinterfragt,<br />

und damit eine Transformation <strong>des</strong> zu pflegenden Patienten als Objekt und der zu pflegenden Person als<br />

Instrument und insofern ebenfalls als Objekt in zwei handlungs- und entscheidungsfähige Subjekte vorgenommen.<br />

Sie hat dargelegt, dass beide eine Geschichte haben und über Kompetenzen verfügen, die sie in die<br />

professionelle Pflegebeziehung einbringen und die als Bedingung das Handeln in dieser Beziehung prägen.<br />

Beide, die zu pflegende Person und die pflegende Person müssen sich aktiv in die Pflege einbringen, wobei die<br />

Art und Weise ihres Umgangs miteinander Einfluss auf das Geschehen hat. Roy, King und Roper et al. sind Peplau<br />

auf diesem Weg gefolgt, bei dem konzeptionell eine Schwerpunktverlagerung <strong>des</strong> Fokus von der Pflege der<br />

Krankheit hin <strong>zur</strong> Pflege <strong>des</strong> kranken Menschen unter Berücksichtigung seines Lebenskontexts vorgenommen<br />

wurde. Mit dieser Verlagerung <strong>des</strong> ‚professionellen Blicks‘ werden in allen genannten pflegetheoretischen Ansätzen<br />

wichtige Schritte <strong>zur</strong> Neubestimmung der Beziehung gegangen, die zwischen dem lebensnotwendigen<br />

Pflegehandeln eines Menschen und einer Krankheit bestehen sowie zwischen Pflege und Medizin. In der vorliegenden<br />

Arbeit ist darüber hinaus ein weiterer Perspektivenwechsel erfolgt, insofern das Pflegehandeln grundsätzlich<br />

vom gesunden Menschen aus erschlossen wird und die Pflege als eine Voraussetzung der Gesundheit<br />

bestimmt wird.<br />

Roper (1976, s. Kap. 2) liefert wichtige Hinweise, wie der von Peplau, Roy und King eingeschlagene Weg fortgesetzt<br />

werden kann. Mit der Einführung <strong>des</strong> Konzepts <strong>des</strong> ‚basic nursing‘ erfolgt für Roper eine bedeutsame<br />

Imageveränderung <strong>des</strong> Begriffs ‚Pflege‘ von einer Ortsbeschreibung zu einer Funktionsbeschreibung. Sie zieht<br />

aus dieser semantischen Veränderung den Schluss, dass die Funktion der professionellen Pflege primär in der<br />

Rehabilitation der einzelnen Gewohnheiten im Bereich der AL zu sehen ist. In diesen Gewohnheiten drückt sich<br />

für Roper et al. das Konzept der Individualität bzw. Einzigartigkeit <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen aus. Mit dem<br />

Konzept der Lebensspanne bringen sie zum Ausdruck, dass die pflegende Person (Eltern, professionelle Pflegekraft)<br />

auf den zu pflegenden Menschen als jemanden treffen, <strong>des</strong>sen Kompetenzen <strong>zur</strong> selbstbezogenen und <strong>zur</strong><br />

Pflege anderer Menschen je nach Position auf der Lebensspanne und ja nach Entwicklungsstand andere sind. Zu<br />

130 Darunter fallen auch Leiden infolge von Verletzungen, Unfällen und Behinderungen.<br />

131 Dieses wird in Studien über Menschen mit chronischen Erkrankungen aus der Perspektive verschiedener Disziplinen<br />

immer wieder belegt. Für die Pflege s. bspw. die Arbeiten von Corbin/Strauss 1988, Thorne 1993, 2008, Thorne et al. 2005,<br />

Paterson 2004, Schaeffer 2009, Schaeffer/Moers 2011).<br />

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