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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

genannte Filterfunktion (s. auch Roy, Kap. 6). Weiter wurden in Kap. 3.4.3 Gewohnheiten auch mit physiologischen<br />

Prozessen verglichen. Ein anderes Merkmal besteht darin, dass sich in ihnen die Handlungs- und Leistungsfähigkeit<br />

eines Menschen verkörpert. Letztere ist ein Ergebnis von Lernprozessen, die zu einer Automatisierung<br />

und Perfektionierung führen können. Die in den einzelnen AL ausgebildeten Gewohnheiten können auf<br />

einem Kontinuum von hoch modifizierbar bis hoch unmodifizierbar angesiedelt werden und zu den von den<br />

Pflegetheoretikerinnen immer wieder erwähnten Handlungsmustern in den einzelnen AL führen.<br />

Gewohnheiten bieten dem Menschen neben Sicherheit und Zuversicht im Handeln (ich kann es, ich trau es mir<br />

zu) und neben einem Gespür für den Wert <strong>des</strong> jeweiligen ästhetischen Objekts die Möglichkeit <strong>zur</strong> Entwicklung<br />

einer pflegerischen Expertise oder Könnerschaft. Die Chance für eine Weiterentwicklung dieser Fähigkeiten ist<br />

prinzipiell immer dann gegeben, wenn etablierte pflegerische Handlungsgewohnheiten in neuen oder nicht erwarteten<br />

Situationen zusammenbrechen und Wege <strong>zur</strong> Fortsetzung <strong>des</strong> Pflegehandelns gefunden werden müssen.<br />

Die Fähigkeit <strong>des</strong> Menschen, bestehende Gewohnheiten zu modifizieren und weiter zu entwickeln, kann<br />

dem pragmatistischen Verständnis menschlichen Handelns zufolge als ‚reflexive habituality‘ ‘bezeichnet werden<br />

(s. Küpers 2011: 109f). Hierbei werden Gewohnheiten als Formen der Verkörperung kreativer Praktiken auf unterschiedliche<br />

Weise ‚de-habituated‘ (abgewöhnt) und ‚re-habituated‘ (neu angewöhnt). In diesem Zusammenhang<br />

kommt der Konstruktion <strong>des</strong> ästhetischen Objekts eine zentrale Rolle zu, und das heißt im Fall der Pflege,<br />

den beiden zentralen pflegerischen Objekten. Über das ästhetische Objekt erfährt das Kind, was ein gepflegter<br />

Körper bspw. bedeutet, welcher Wert ihm beizumessen ist, welche Aspekte <strong>des</strong> Körpers gesellschaftlich wichtig<br />

sind, welche Aspekte <strong>des</strong> Selbst (Inhalte, Identitäten) von Bedeutung sind und welche Fähigkeiten <strong>zur</strong> Pflege<br />

dieser wichtigen Objekte notwendig sind. Die Pflegesituation entspricht in Analogie zu der von Mead beschriebenen<br />

Erziehungssituation der Eltern-Kind-Situation. In ihr sorgen<br />

„die Erwachsenen oder die Wissenden dafür […], dass die anderen sich in der neuen Situation zu Hause<br />

fühlen“ (PE: 120).<br />

Hierbei erklären sie, arrangieren und passen sie die Welt für das Kind an. Dadurch wird für dieses die zu leistende<br />

Pflege verständlich, und es kann etwas unternommen werden, um die Handlungen fortzusetzen. Dabei gehen<br />

die Erwachsenen so vor,<br />

„dass sich das Bekannte in das Unbekannte vorschiebt. Dies ist genau das, was wir mit dem Kind tun: Wir<br />

stoßen es weiter in das Unbekannte hinein und helfen ihm, sich dort zu Hause zu fühlen“ (PE: 120f).<br />

Trotz der wiederholten Rede von Handlungsmustern wird der allgemeinen Funktionsweise von Gewohnheiten in<br />

den in der vorliegenden Arbeit diskutierten pflegetheoretischen Ansätzen durchweg zu wenig Aufmerksamkeit<br />

geschenkt. Dieses Thema kommt aber schon in einem anderen Zusammenhang zum Tragen. So lernt das Kind<br />

im Zuge seiner Sozialisation mit den beiden zentralen Objekten <strong>des</strong> pflegerischen Handelns umzugehen. Es<br />

lernt, welche Werte die Eltern und Bezugspersonen, die unterschiedlichen sozialen Welten/Arenen angehören,<br />

diesen Objekten beimessen. Weiter erfährt das Kind über die Art und Weise, wie es selber gepflegt wird, etwas<br />

darüber, wie andere Menschen gepflegt werden. Es lernt, wie Andere auf seine Erfordernisse, d.h. auf es als Objekt<br />

der Pflege, eingehen. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass die in den einzelnen AL verkörperten<br />

pflegerischen Gewohnheiten mit bestimmten auf das Selbst bezogenen Werten verbunden sind. Aus diesem<br />

Grund kommt dem Thema Abhängigkeit/Unabhängigkeit, das im RLT-Modell als ein den Menschen sein ganzes<br />

Leben begleiten<strong>des</strong> Kontinuum vorgestellt wird, bei der Ausbildung von Gewohnheiten und bei der Arbeit an<br />

den Pflegeverlaufskurven und am Selbst eine herausragende Rolle zu. Dieser Sachverhalt wurde in Kap 3.4.3 mit<br />

Deweys Worten zum Ausdruck gebracht, wonach wir alle unsere ‚menschliche Karriere als hilfloses abhängiges<br />

Wesen’ beginnen. Wie die das Kind umgebenden Bezugspersonen auf <strong>des</strong>sen Plastizität einwirken und welchen<br />

Entwicklungsrahmen sie dem Kind bei der Vermittlung pflegerischer Kompetenzen in den beiden Pflegeformen<br />

bieten, hat Konsequenzen für die Arbeit an den Pflegeverlaufskurven und am Selbst. Sie können sich dabei so<br />

verhalten, dass sie dem Kind ein Umfeld schaffen, in dem es von den ihm <strong>zur</strong> Verfügung stehenden Fähigkeiten<br />

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