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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

das Selbst fokussiert. Hingegen stellt die Identifikation eine Bewegung von der eigenen Situation hin zu einer<br />

empathischen Partizipation an die Situation von jemand anderem dar. Sie ist insofern auf den Anderen fokussiert.<br />

Ganz allgemein setzen Distanzierung und Identifikation Intersubjektivität voraus und vor allem die Fähigkeit<br />

<strong>zur</strong> Perspektivenübernahme124 . Distanzierung und Identifikation sind für die Handhabung der beiden pflegerischen<br />

Objekte <strong>des</strong> Pflegehandelns essentiell. Sie unterscheiden sich aber je nach der vorherrschenden Beziehungsform.<br />

In der auf sich selbst bezogenen Pflege bedarf es einmal der Distanzierung vom eigenen Körper und<br />

Selbst, zugleich aber auch der Selbstidentifikation mit den Aspekten <strong>des</strong> Körpers und Selbst einschließlich damit<br />

verbundener Selbstgefühle125 , die im Zentrum <strong>des</strong> Pflegehandelns stehen. In der auf andere Menschen bezogenen<br />

Pflege, wo es um die Pflege <strong>des</strong> Körpers und Selbst eines Anderen geht, muss die pflegende Person sich mit<br />

diesen einerseits durch Partizipation an der Situation <strong>des</strong> zu Pflegenden identifizieren und muss sich gleichzeitig<br />

von sich selbst distanzieren und die Perspektive <strong>des</strong> zu Pflegenden bei ihrem Handeln einnehmen. Dies ist für<br />

beide Seiten mit Lernen verbunden, womit erneut der Bogen <strong>zur</strong> Gewohnheiten-Bildung geschlagen ist.<br />

So wie die Entwicklung der Fähigkeit <strong>zur</strong> Perspektivenübernahme die Ausbildung einer Vielzahl von Gewohnheiten<br />

voraussetzt, unterliegen auch Emotionen und Werte der Gewohnheiten-Bildung. Letztere bildet den Hintergrund<br />

vor dem sich die Kompetenzen <strong>zur</strong> eigenen und <strong>zur</strong> Pflege anderer Menschen herausbilden können<br />

ebenso wie die dafür erforderliche Perspektivenübernahme und das intelligente Mitfühlen. Der Prozess, der zu<br />

dieser Gewohnheitsbildung führt, kann als Habitualisierung pflegerischer Handlungskompetenzen bezeichnet<br />

werden. Während Roper et al. allgemein von Gewohnheiten in den AL sprechen, sprechen Peplau, Roy und King<br />

von Handlungsmustern. Peplau betont vor allem die in interpersonalen Beziehungen erfolgende Integration bzw.<br />

Desintegration von Verhaltensmustern, die Musterintegration. Habitualisierung und Musterintegration schließen<br />

sich nicht gegenseitig aus, sondern müssen als sich wechselseitig bedingende Prozesse verstanden werden.<br />

Dieser Habitualisierung genannte Entwicklungsprozess kann nicht, wie in Entwicklungs<strong>theorie</strong>n unterstellt, mit<br />

dem Eintritt in das Erwachsenenalter als mehr oder weniger abgeschlossen betrachten werden. Er muss statt<strong>des</strong>sen<br />

nach dem pragmatistischen Handlungsverständnis als ein lebenslänglicher und offener verstanden werden.<br />

Hierbei bildet die für das menschliche Überleben wichtige und unerlässliche Gewohnheiten-Bildung zugleich<br />

den Hintergrund für ihre Weiterentwicklung, Modifikation, für Veränderungen sowie für neue Gewohnheiten im<br />

Verlauf <strong>des</strong> weiteren Lebens (s. auch Bredo 2010: 324). Ein anderer für die Pflege wichtiger Aspekt ist, dass im<br />

Meadschen Handlungsmodell Gewohnheiten und Neues (‚situierte Kreativität‘, s. Joas 1992a) in einem zeitlichen<br />

Wechsel zu einander stehen. Die beschriebenen Handlungsphasen stehen nicht getrennt nebeneinander,<br />

sondern sind miteinander verwoben. Zum Verständnis von Gewohnheiten und ihrer Wirkungsweise ist laut<br />

Charles Camic (1998: 289) von Bedeutung, dass diese in Episoden von Kreativität eingebettet sind. Die Gewohnheiten<br />

<strong>des</strong> Handelnden schließen zu einem beliebigen Zeitpunkt seine vorherigen kreativen Antworten mit<br />

ein. Deshalb erfolgt kreatives bzw. schöpferisches Handeln, das sich im unmittelbaren wie im reflexiven Handeln<br />

äußert, immer vor dem Hintergrund bestehender Gewohnheiten. In jedem Handeln sind Gewohnheiten und<br />

Neues miteinander verschlungen. Deshalb stellen Gewohnheiten in ihrer ‚Werkzeugform‘ in den beiden Formen<br />

<strong>des</strong> Pflegehandelns wie in der Fähigkeit <strong>zur</strong> Perspektivenübernahme und zum intelligenten Mitfühlen unverzichtbare<br />

Ressourcen dar, auf die beim Pflegehandeln mehr oder weniger unbewusst und bewusst Bezug genommen<br />

wird. In Kap. 3 (Pkt. 3.4.3) wurden verschiedene Funktionen und Merkmale von Gewohnheiten genannt.<br />

Hierzu gehört die schon erwähnte Sensibilisierung gegenüber bestimmten Stimuli oder Objekten, die so<br />

124 Distanzierung und Identifikation beschreiben eine Bewegung von der Sicht der 1. Person zu einer Sicht der 3. Person<br />

(self-to-other, Distanzierung) und eine Bewegung von der Sicht der 3. Person <strong>zur</strong> 1. Person (other-to-self, Identifikation). Die<br />

Brücke zwischen beiden Sichtweisen ist die Sprache in ihrer auditorischen Modalität.<br />

125 ‚Selbstgefühle‘, so Wiley (2011: 179), beschreiben nach dem Verständnis von Cooley und James im Kern so etwas wie<br />

‚Eigentümerschaft‘, etwas, das <strong>zur</strong> mir gehört und das ich bin. Er versucht, diese Ideen mit Meads Verständnis <strong>des</strong> Selbst zusammenzuführen<br />

und aufzuzeigen, dass Reflexivität und Selbstgefühle untrennbar miteinander verbunden sind. Etwas, das<br />

sich aus Meads Verständnis von Emotion und ihrer Stellung im Handlungsprozess ergibt.<br />

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