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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

auf die Einzelschritte <strong>des</strong> gesamten Handlungsprozesses bis <strong>zur</strong> <strong>des</strong>sen Vollendung ausdehnt. Das ästhetische<br />

Objekt repräsentiert eine innere Organisation, die vermittels <strong>des</strong> Objekts zum Ausdruck gebracht wird. Als Geste<br />

bzw. Symbol weist dieses Objekt laut Mead auf zwei Bezüge oder auch Relationen hin, auf:<br />

1. „einen [Bezug] zu dem, was es versinnbildlicht, zu dem Ding, <strong>des</strong>sen Bedeutung es vermittelt [und]<br />

2. einen [Bezug] zum Individuum, dem diese Bedeutung mitgeteilt wird“ (PE: 134).<br />

Zum Verständnis der Relevanz <strong>des</strong> ästhetischen Objekts für beide Formen <strong>des</strong> Pflegehandelns sollen weitere<br />

Charakteristika dieses Objekts benannt werden. Wie die Diskussion der Handlungsphasen gezeigt hat, folgen das<br />

ästhetische Bewusstsein und die ästhetische Erfahrung entwicklungsgeschichtlich dem emotionalen Bewusstsein<br />

und entsprechenden Erfahrungen. Es liegt vor dem selbstbewussten, d.h. reflexiven Bewusstsein und Handeln.<br />

Mit Blick auf eine unterbrochene Handlung ist der Gedanke von Mead wichtig, dass wir im Bewusstsein immer<br />

mit der Einheit einer Handlung beginnen, d.h. mit der Pflege <strong>des</strong> ganzen Körpers und der ganzen Person. Hingegen<br />

reagieren wir beim unmittelbaren Handeln nur auf ein Fragment dieser Handlung (etwa auf das Schreien <strong>des</strong><br />

Kin<strong>des</strong>, das eine nasse Windel oder einen wunden Po signalisiert). Beinhaltet die Verlaufskurvenprojektion 117<br />

die Vorstellung eines mehr oder weniger komplexen Gesamtzusammenhangs, enthält das Verlaufskurvenschema<br />

die handlungsbezogenen Hinweise, d.h. einzelne Handlungsfragmente bzw. Schritte. In diesem Fall liegt die<br />

Einheit der Handlung nicht in unserer Wahrnehmung (die Körperpflege der kleinen Tochter mit all ihren Besonderheiten),<br />

sondern sie besteht in unserer Reaktion auf diese. In der ästhetischen Vorstellung werden alle Phasen<br />

der Handlung wie im genannten Beispiel die Körperpflege der Tochter in die Erfahrung <strong>zur</strong>ückgeholt. Das ästhetische<br />

Objekt zeichnet sich dadurch aus, dass es eine Organisation der Handlung an sich ist und dass die ästhetische<br />

Vorstellung die ganze Handlung einschließt. Dies erklärt ihren emotionalen Wert118 .<br />

Für das Bewusstsein sieht Mead die Funktion <strong>des</strong> ästhetischen Objekts in dem, was es vermittelt. Ihm kommt<br />

beim Handeln eine vermittelnde Funktion zu. Beim Handeln teilt sich gleich zu Beginn <strong>des</strong>selben über die Geste<br />

bzw. über das Symbol dasjenige mit, was über das ästhetische Objekt ausgedrückt wird, d.h. der Wert der ganzen<br />

Handlung, die dabei ist sich zu entfalten. In Bezug auf den Handlungsprozess verknüpft Mead die unmittelbare<br />

Bewusstseinsebene, d.h. die <strong>des</strong> gewohnheitsmäßigen Handelns, mit der reflexiven Bewusstseinsebene, d.h. dem<br />

reflexiven Handeln. Beide Handlungs- und Bewusstseinsformen sind aufeinander bezogen, indem das gewohnheitsmäßige<br />

Handeln als ‚Werkzeug‘ für das reflexive Handeln verwendet wird. Sie sind als Werkzeuge im<br />

menschlichen Körper verankert und verkörpert 119 . Der Körper ist die Bedingung unseres Handelns. Er ist das<br />

Medium durch das wir<br />

„unser Wissen, die Objekte, das Selbst, die Anderen ebenso wie unser Wissen vom eigenen Körper aufnehmen<br />

und vermitteln“ (Strauss 1993: 109).<br />

Dies geschieht zum größten Teil unbewusst (s. auch Kap. 3.2.1.2). Das reflexive Handeln verleiht dem gewohnheitsmäßigen<br />

Handeln Bedeutung oder ist – wie Mead (PE: 135) sagt -, seine Bedeutung. An anderer Stelle beschreibt<br />

Mead die Bedeutung <strong>des</strong> ästhetischen Objekts (PE: 137) wie folgt:<br />

„Das ästhetische Objekt bringt somit den Wert <strong>des</strong> Objekts in Begriffen der Erfahrung <strong>zur</strong> Geltung, der Erfahrung<br />

früherer Handlungen, und die Einheit besteht in der Einheit der Erfahrungen, die es symbolisiert.<br />

117 Die Verlaufskurvenprojektion ist, worauf Strauss (1993: 55) ausdrücklich hinweist, nicht mit dem Ziel selbst zu verwechseln.<br />

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich das pragmatistische Verständnis von Zielen/Zwecken und Mitteln zu vergegenwärtigen.<br />

Wie im vorherigen Abschnitt deutlich wurde, hat das Distanzobjekt einmal doppelten Referenzrahmen, zum<br />

anderen geht es als Bedingung in die sich entfaltende Handlung ein, insofern es die Basis für die Auswahl der sich entwickelnden<br />

Handlungsline ist, die eine von vielen Möglichkeiten darstellt.<br />

118 Aus dieser Perspektive kann die in der Pflege anhaltende Diskussion über eine wie auch immer geartete ganzheitliche<br />

Pflege aus dem idealistischen Bereich in ganz konkrete Handlungszusammenhänge überführt und der Erfahrung zugänglich<br />

gemacht werden.<br />

119 Matthias Jung (2011: 35 ff) hebt in Anlehnung an Joas hervor, dass der Körper dem Handelnden im Körperbild/-schema<br />

Handlungsmöglichkeiten erschließt, die oft nur einen vagen, unbestimmt drängenden und unklaren Charakter haben, bevor<br />

sie im Vollzug der Handlung reflexiv angeeignet und artikuliert werden können. Joas fasst den Körper als den ‚Ort der vagen<br />

Zieldispositionen, die auch dann wirken, wenn wir uns keine aktuellen Ziele gesetzt haben.<br />

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