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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

male wie Geschlecht, Alter, Hautfarbe und Ethnie ebenso eine Rolle wie körperliche Mängel. Als Quelle für ‚soziale<br />

Identitäten’ kann der Körper diese Identitäten enthüllen, aber auch verbergen. Darüber hat der Körper die<br />

Funktion eines Gestells und ist zugleich das Instrument unseres Handelns. Diese für die Pflege wichtigen Objekte,<br />

die in Bezug auf den Körper materiell greifbar und in Bezug auf das Selbst immateriell sind, werden durch<br />

das auf sich selbst und auf Andere bezogene Pflegehandeln ebenso wie andere Objekte vor dem Hintergrund der<br />

Gewohnheiten-Bildung und der dabei ihnen gegenüber entwickelten Haltungen/Perspektiven aktiv von den in<br />

Pflegebeziehungen involvierten Menschen geformt, gestaltet und verändert (s. Kap. 3.2.1.2).<br />

Auch wenn der Körper in den Ansätzen von Peplau106 , King und Roy eine wichtige Rolle spielt, finden sich bei<br />

ihnen eher allgemeine statt spezifische Hinweise auf die Frage, wie der menschliche Körper und das Selbst für<br />

das Kind zu Objekten werden, auf die es sein pflegerisches Handeln richtet, um nach und nach die von den Eltern/Bezugspersonen<br />

stellvertretend ausgeführten Pflegehandlungen in sein eigenes Handlungsrepertoire zu<br />

übernehmen. Am ausführlichsten werden Körper und Selbst bei Roy aus der Perspektive <strong>des</strong> adaptiven Handelns<br />

behandelt. Sie differenziert zwischen dem physischen Selbst und dem personalen Selbst. Bei ersterem unterscheidet<br />

sie zwischen Körpersensation und Körperbild (s. Kap. 6.3.2). In diesem Kontext wird u.a. auch die<br />

Entwicklung einer Geschlechteridentität diskutiert. Ihre Vorstellungen stellen eine gewisse Brücke zu den Ideen<br />

von Mead dar, der seine Ideen im Zusammenhang mit der Bildung/Konstruktion von Objekten, ihrer Analyse<br />

und Rekonstruktion innerhalb der vier Phasen <strong>des</strong> Handelns entwickelt. Dies erlaubt ihm, die Bildung von Objekten<br />

beim Handeln mit den im vorigen Abschnitt erwähnten entwicklungsgeschichtlichen Stadien und mit dem<br />

sich entwickelnden Verständnis von Raum und Zeit zu verknüpfen. Ausgangspunkt seiner Überlegung und<br />

Schlüssel für diese Zusammenhänge ist die ‚gefühlte‘ Handlungsunterbrechung. In Kapitel 3.2.1.2 (81ff) ist<br />

der von Mead behauptete bedeutsame Unterschied zwischen Körper und Selbst aufgezeigt worden sowie die<br />

Rolle, die dem physischen Ding für die Ausbildung eines Körperbilds zukommt. An der Beziehung <strong>des</strong> Menschen<br />

zu den Dingen und zu seinem Körper illustriert Mead, wie das Kind zunächst primär über emotionale Erfahrungen<br />

das Äußere in sein Inneres transformiert. Über physische Objekte wird das Kind stimuliert, sich dem<br />

eigenen Körper gegenüber so zu verhalten wie sonst in Bezug auf physische Objekte107 . Wie in Kap. 3.2.1.2 und<br />

3.3.1 dargestellt, sind die physischen Gegenstände bzw. Objekte, die das Kind in seiner unmittelbaren Umgebung<br />

vorfindet, für Mead das Modell, nach dem das Kind seine verschiedenen Körperteile mit ihren organischen<br />

Empfindungen und affektiven Erfahrungen zu einem Ganzen synthetisieren kann. Hierbei erlebt das Kind/der<br />

Mensch sein gesamtes Selbst und seinen Körper nicht unmittelbar, sondern mittelbar über die Haltungen der<br />

Anderen. Der Mensch erfährt die besondere Beschaffenheit seines Körpers, seines Aussehens, seiner Leistungsgrenzen,<br />

seines Selbst und seiner eigenen Fähigkeiten/Kompetenzen über die Erfahrungen mit anderen Menschen,<br />

die seinen Körper, seine Fähigkeiten, sein Selbst beurteilen und darüber ihr Verhältnis zu ihm begründen.<br />

Das Kind/der Mensch lernt, seinen Körper sozusagen aus der Sicht der Anderen wie ein Objekt von außen zu<br />

betrachten und entsprechend zu handeln. Hierbei unterscheidet sich die Fähigkeit <strong>des</strong> Menschen, Teile seines<br />

Körpers zu erfahren, nicht von seiner Fähigkeit, andere Gegenstände zu erfahren. Das Kind/der Mensch kann<br />

seine körperlichen Grenzen (Oberflächen) nur über gegenständliche Objekte, d.h. von außen nach innen erfahren.<br />

Erst darüber ist es möglich, seinen eigenen Körper als ‚begrenztes Objekt’ wahrzunehmen. Anhand dieser<br />

Dinge/Objekte lernt das Kind, dass es mit diesen kooperieren muss, indem es seine Bewegungen an diese anpasst<br />

(das Fläschchen, den Löffel, die Tasse, den Ball etc.). Hierzu muss es die Perspektive <strong>des</strong> Dings/Objekts<br />

übernehmen, d.h. wie das Objekt in Bezug auf es reagiert. Über diesen Anpassungsprozess lernt es die Grenzen<br />

106 In Kap. 5 ist auf den von Peplau beschriebenen Prozess der Entwicklung <strong>des</strong> Selbst eingegangen worden. Ihre Vorstellungen<br />

hierzu finden sich nicht in ihrem Buch Interpersonale Beziehungen der Pflege. Es handelt sich um eine Quelle, die<br />

wahrscheinlich nur Insidern (Studentinnen von Peplau) bekannt ist und auf die ich durch den persönlichen Kontakt mit Hildegard<br />

Peplau gestoßen bin. Das Selbst als Objekt kann nicht gleichgesetzt werden mit dem Selbstsystem, <strong>des</strong>sen Funktionsweise<br />

Peplau interessierte.<br />

107 Martin et al. (2008: 299) machen darauf aufmerksam, dass Mead verschiedene Formen der Perspektivenübernahme und<br />

Koordination unterscheidet, wie eine taktile und auditorische, ohne dabei den Gesamtprozess aus dem Auge zu verlieren.<br />

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