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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

tuation nähern oder von ihm abwenden. Bei der ‚gefühlten‘ Unterbrechung <strong>des</strong> Handlungsflusses kommt es zu<br />

widerstreitenden Tendenzen. Dies ist der Punkt, wo nach Mead (1904 in Anlehnung an James: 606) Images in<br />

der Erinnerung an den Rändern auftauchen. Diese umgeben die schmerzende, durch die Handlungsunterbrechung<br />

entstehende ‚Lücke‘. Mead unterscheidet Images von Sinnesempfindungen oder deren sinnlichem Inhalt.<br />

Der sinnliche Inhalt ist mehr oder weniger eindeutig als eine bestimmte Empfindung, d.h. als eine auditorische,<br />

visuelle oder kinästhetische bestimmt. Er macht den Kern eines Images aus. Das Image spielt in der Phase der<br />

Wahrnehmung eine wichtige Rolle, denn es enthält (aus der Perspektive <strong>des</strong> Handelns) die Bedingung für die<br />

Lösung <strong>des</strong> Problems, für die Überwindung der verspürten Lücke, und es markiert zugleich die Grenze für die<br />

Lösungsbemühungen97 .<br />

Mit Bezug auf die Handlungsphasen können beim Kind Vorstellungen von Anderen, von Dingen und von sich<br />

selbst jedoch erst in dem Moment entstehen, wo das Handeln gehemmt wird und wo in der Folge die letzte<br />

Handlungsphase, der Handlungsvollzug, verzögert bzw. verhindert wird. Damit es zu einer Handlungsverzögerung<br />

kommen kann, muss das Kind zunächst einmal eine soziale Struktur habitueller Reaktions- oder Handlungsweisen<br />

ausbilden. Eine solche Struktur schafft für das Kind die Voraussetzung, die die Handlungsverzögerung<br />

ermöglicht. Sie bildet den Hintergrund seines Handelns. Daraus folgt, dass die anfänglich instinktiven,<br />

unmittelbaren Handlungsweisen <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> im Laufe seiner Entwicklung nach und nach immer weiter entwickelt<br />

werden müssen. In diesem Prozess bilden die ‚gefühlsmäßige’ Ebene <strong>des</strong> Handelns und die dabei gemachten<br />

Erfahrungen den Ausgangspunkt der einsetzenden Differenzierungsprozesse (s. auch Kap. 3.2.1.2). Hierbei<br />

muss das Kind lernen, sich aus der zunächst bestehenden symbiotischen Einheit mit seiner Umwelt und den Anderen<br />

schrittweise zu lösen. Käme es nicht zu dieser Trennung – so Emma Engdahl (2005: 63) - würde der<br />

Mensch in einer Welt ohne Innenleben und Sinn leben. In Bezug auf die Handlungsverzögerung ist die Unterscheidung,<br />

die Mead zwischen der Erfahrung von Emotionen und der Erfahrung von Sinnes- bzw. Gefühlsempfindungen<br />

macht, von Bedeutung. Letztere laufen eine nach der anderen in einer Art affektivem Strom ab. Im<br />

Gegensatz dazu ermöglicht eine Handlungsverzögerung, in die emotionale Erfahrungen eingebettet sind, dem<br />

Kind die Entdeckung <strong>des</strong> Innenlebens der es umgebenden Dinge und <strong>des</strong> eigenen Körpers. Die in der Handlungsverzögerung<br />

verkörperten emotionalen Erfahrungen beinhalten ein körperliches Bewusstsein vom Anderen<br />

und sich selbst als Verschiedenes, aber in einer Wechselbeziehung zueinander stehen<strong>des</strong> (Engdahl 2005: 63). Bei<br />

der schrittweise erfolgenden Trennung anderer Menschen oder Objekte von sich selbst schafft die Fähigkeit <strong>des</strong><br />

Menschen, sich mit einem Objekt zu identifizieren, die Voraussetzung für die sich allmählich ausbildende Selbstreflexivität,<br />

d.h. für die Fähigkeit <strong>zur</strong> Perspektivenübernahme. Wie in Kap. 3.2.1.2 ausgeführt, stellt die Identifikation<br />

mit etwas, das Mittel bereit, über das der Einzelne von einem Wissen eines Inneren der Dinge zu einem<br />

Wissen vom Inneren <strong>des</strong> eigenen körperlichen Selbst gelangen kann. Dieser Vorgang kann analog <strong>zur</strong> erwähnten<br />

funktionalen Identität von Gesten als funktionale Identifikation bezeichnet werden. Die funktionale Identifikation<br />

geht der Ausbildung der Fähigkeit <strong>zur</strong> ‚Perspektivenübernahme‘ und zum ‚intelligenten Mitfühlen‘ voraus.<br />

Erwähnt sei hier, dass die Fähigkeit <strong>zur</strong> Perspektivenübernahme98 laut Wiley (2011: 171) mehrere Implikationen<br />

Erfahrungen sowie mögliche Lernprozesse und weniger darauf, welche allgemeine Rolle den Images beim Handeln<br />

zukommt. Dieser Aspekt ist aber für das Pflegehandeln wichtig.<br />

97 Mead (1904: 606) erläutert die Funktionsweise von Images an unterschiedlichen Beispielen wie z.B. an ihrer Bedeutung in<br />

Bezug auf ein Konzept oder beim Erkennen einer Person. Im letzteren Fall ist der Vollzug <strong>des</strong> Prozesses <strong>des</strong> Erkennens von<br />

der sinnlichen Präsentation eines gewissen Inhalts abhängig. Die Handlung kann solange nicht erfolgen wie der sinnlich<br />

konstituierte Stimulus nicht integriert ist. Das aktuelle Gesicht einer gesuchten Person, oder die aktuelle Artikulation <strong>des</strong><br />

gesuchten Wortes ist Voraussetzung für seine Erkennung. Im Gegensatz dazu wird im Falle <strong>des</strong> Konzepts (Begriffs) der<br />

kognitive Prozess durch schon organisierte Antworten ausgeführt, für die die sinnliche Integration eines Images nicht<br />

erforderlich ist bzw. nur dann notwendig wird, wenn das Konzept außerhalb der Erfahrung <strong>des</strong> Menschen liegt, der es<br />

interpretieren soll. In diesem Fall ist das Image ein Ersatz für das Objekt. Der sogenannte Wahrnehmungsprozess, mit Images<br />

in variierenden Graden, ist kognitives Handeln, d.h. im Wesentlichen sinnliches Erkennen oder begriffliches/gedankliches<br />

Interpretieren.<br />

98 Neuere Untersuchungen aus dem Bereich der Entwicklungspsychologie, die sich an Meads Vorstellungen <strong>zur</strong> Perspektivenübernahme<br />

anlehnen, sind u.a. die Arbeiten von Jack Martin et al (2008), Alex Gillespie (2005) sowie Jack Martin und<br />

Alex Gillespie (2010).<br />

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