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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

„die emotionalen Zustände und die entsprechenden begleitenden physiologischen Zustände dem Menschen<br />

eine Bewertung der Handlung [Hervorhebung MMK] liefern, bevor deren Koordination vollendet ist, die<br />

zu einer bestimmten Antwort führt“ (Mead 1895: 164).<br />

Die Information, die das Kind mit seinem emotionalen Ausdruck sich selbst und der es beobachtenden Person<br />

vermittelt, sind für Mead integraler Bestandteil der emotionalen Erfahrung der ‚gefühlten‘ Handlungsunterbrechung.<br />

Die vom Kind benutzten Gesten verstanden als Handlungen werden nach Mead (PE: 45) an dem Punkt<br />

gehemmt, wo sie Bedeutung für die Pflegeperson haben, d.h. zu Beginn von deren Handlungen. Hierbei weist<br />

die unterbrochene Handlung auf die bevorstehende hin (s. Ward/Throop 1989: 469). Sie fordert die pflegende<br />

Person zu bestimmten Handlungen auf. Der Zeichenwert, d.h. die Bedeutung einer Emotion, hängt nach<br />

Ward/Throop (1989: 472) von der Interpretation <strong>des</strong>sen ab, was für den Beobachter - hier die pflegende Personen<br />

– als nächstes folgt. Umgekehrt gilt dies auch für das Kind. Je vertrauter Kind und Eltern miteinander sind,<br />

<strong>des</strong>to leichter können sie feinste Zwischentöne und Nuancen erkennen. So wacht das Neugeborene beispielsweise<br />

auf oder es unterbricht sein Spiel und schreit. Durch sein Schreien teilt es mit, dass es Hunger hat oder dass es<br />

sich unwohl fühlt (z.B. nasse Windel). Das Gefühl <strong>des</strong> Hungers stellt eine Unterbrechung der bis dahin bestehenden<br />

Situation dar (Schlaf, Spiel). Es erzeugt eine Spannung, die sich im Schreien ihren emotionalen Ausdruck<br />

verschafft. Das Schreien als beobachtbare Seite der kindlichen Handlungsbereitschaft, sein Hungergefühl<br />

oder Unwohlsein aus der Welt zu schaffen, setzt andere in Bewegung. Es hat für sie einen Gegenwartswert (a<br />

present value) und erzeugt bei ihnen auf diese Weise eine Reaktion in Form einer Handlung. Der Wert für das<br />

Kind besteht darin, dass das vom ihm erzeugte veränderte Verhalten der Anderen es bei der Erreichung seines<br />

Ziels unterstützt. Es kann an ihren Haltungen, ihrem Gesichtsausdruck, ihren Gesten, aus der Tonlage und der<br />

Stimme der es pflegenden Personen (sie bewegen sich auf es zu, wenden sich ihm zu, heben es aus dem Bett und<br />

beruhigen es oder sind ungeduldig mit ihm) deren Handeln erkennen und die sich darin ausdrückenden Werte<br />

fühlen (s. auch Kap. 3: 21f). In der Interaktion mit den es umgebenden Menschen leitet das Kind aus deren Reaktionen<br />

(Gesichtsausdruck, Bewegungen, Tonfall etc.) die Bedeutung bzw. den Sinn derselben ab. So erhält<br />

bspw. Akzeptanz die Bedeutung von Freude, wohingegen Ablehnung die Bedeutung von Missvergnügen erhält.<br />

Bis zu diesem Punkt sind die Auffassungen von Mead und Peplau noch vergleichbar. Sie trennen sich dort, wo<br />

Mead beginnt, die Bedeutung der ‚gefühlsmäßigen‘ Erfahrungen und andere Erfahrungsarten <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> für die<br />

Entstehung eines Selbst beim Handeln herauszuarbeiten, während Peplau sich auf die Sicherheitsoperationen <strong>des</strong><br />

Selbstsystems als Anti-Angstsystem fokussiert. Für Mead liefern diese Erfahrungen dem Kind wichtiges Material<br />

<strong>zur</strong> Herausbildung von Images und später von Objekten. Neben emotionalen Erfahrungen, denen eine spezifische<br />

Funktion im Handlungsprozess zukommt, sind vor allem Distanz- und Kontakterfahrungen wichtig sowie<br />

mit Blick auf die Pflege die ästhetische Erfahrung. Zur Bildung von Images kommt es, wenn das Kind aufgrund<br />

angereicherter Erfahrungen seine eigenen Gesten und die seiner Bezugspersonen mit dem Inhalt seiner<br />

Emotionen, Empfindungen und Haltungen identifiziert. Die Images entstehen aus den Reaktionen, die die Geste<br />

der pflegenden Person im Kind hervorruft93 . Der bisher beschriebene Prozess gilt auch für die Eltern/Bezugspersonen.<br />

Es handelt sich um einen reziproken Prozess, der an die Pflege dieses Kin<strong>des</strong> gebunden ist<br />

und nicht eins-zu-eins auf ein anderes Kind übertragen, aber sehr wohl mit anderen verglichen werden kann. Für<br />

beide, das Kind und die Pflegeperson, haben bestimmte Gesten in Bezug auf pflegerische Handlungen die gleiche<br />

funktionale Identität94 , z.B. die beruhigende Geste <strong>des</strong> Hin-und-Her-Schaukelns oder das abendliche Ritual<br />

93 Beim sozialen Handeln, wie beim Pflegen, sind die einzelnen Handlungsphasen funktional abhängig von den Handlungen<br />

und Reaktionen der darin involvierten Personen. Der Sinn der Handlung für den einen Menschen leitet sich aus der Reaktion<br />

<strong>des</strong> Anderen ab (ISS: 203).<br />

94 Nach Engdahl (2005: 59) muss zwischen funktionaler Identität und existentieller Identität unterschieden werden. In der<br />

frühen Phase <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> spricht sie von einer funktionellen Identität und Identifikation. Auch wenn die Menschen existentiell<br />

vollkommen unterschiedlich sind, bietet die menschliche Kommunikation den Menschen beim Handeln die Möglichkeit, eine<br />

funktionale Identität von Gesten herzustellen. Zum Beispiel kann Lächeln in seinen unterschiedlichen Ausprägungen als<br />

Freude verstanden werden oder das morgendliche Anziehen, das als Handeln immer die gleiche funktionale Identität <strong>des</strong><br />

Körperschützens hat, auch wenn Menschen sich täglich etwas anderes anziehen. Mead spricht ein Prinzip an, wonach eine<br />

Geste von X bei Y die gleiche Bereitschaft zu handeln hervorruft. Innerhalb den AL finden sich viele Handlungsweisen, die<br />

trotz faktischer Verschiedenheit eine funktionale Identität aufweisen (s. ISS: 197-211). Die funktionale Identität von Gesten<br />

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