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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

Mead, der den Zusammenhang zwischen Erfahrungen, Emotionen, Sprache und Handeln85 herausarbeitet. Allerdings<br />

wird dieser Umstand aufgrund der Rezeptionsgeschichte der Meadschen Arbeiten und auch, weil sich Aussagen<br />

hierzu nur bruchstückhaft und verstreut in seinem Werk finden, leicht übersehen. Eine ausführliche Erörterung<br />

dieses Zusammenhangs findet sich in seiner Philosophie der Erziehung (PE) 86 , auf die im Folgenden<br />

exemplarisch <strong>zur</strong>ückgegriffen wird.<br />

Trotz gewisser Ähnlichkeiten in der Argumentation besteht der zentrale Unterschied zwischen Peplau und Mead<br />

darin, dass letzterer Erfahrungen gleich welcher Art in den fortwährenden Handlungsfluss <strong>des</strong> Menschen bei<br />

seiner Auseinandersetzung mit der ihn umgebenden natürlichen und sozialen Umwelt einbettet und die Aufmerksamkeit<br />

auf den gesamten Handlungsprozess und auf die jeweilige Handlungssituation lenkt. Auch nach<br />

seinem Verständnis kommt es beim Handeln, d.h. im kontinuierlichen Prozess der Anpassung und Neuabstimmung87<br />

, als Folge <strong>des</strong> unterbrochenen Handlungsflusses zu Spannungen (ISS: 43) und somit zu Emotionen88 .<br />

Sie strahlen nach innen in den Organismus aus und nach außen in die jeweilige soziale Struktur (s. auch<br />

Ward/Throop 1989: 466), hier in die Eltern-Kind-Beziehung. Sie haben wie bei Peplau/Sullivan sowohl eine biologische<br />

als auch eine psychosoziale Seite. Ein Schlüssel zum Meadschen Verständnis der funktionalen Bedeutung<br />

von Emotionen beim Handeln ist die von ihm vorgenommene Differenzierung zwischen Emotion und Interesse89<br />

und deren Stellung im Prozess <strong>des</strong> Handelns, d.h. in den vier Handlungsphasen Impuls, Wahrnehmung,<br />

Manipulation und Handlungsvollzug der von ihm unterschiedenen Handlungsformen: dem unmittelbaren<br />

Handeln, dem Versuch-und-Irrtum-Handeln und dem reflexiven Handeln, sowie der von ihm differenzierten<br />

Bewusstseinsformen und der von ihm unterschiedenen Handlungsweisen Spiel, Arbeit und Kunst (s. auch Kap.<br />

3). Ein weiterer Schlüssel ist der Begriff <strong>des</strong> Objekts. So betont Mead in seiner Vorlesungsreihe Philosophie der<br />

Erziehung (PE: 40),<br />

„dass das Kind dagegen nicht nur dazu erzogen [wird], richtig zu reagieren, sondern auch dazu, das Objekt<br />

zu konstruieren, auf das es reagiert […]. Das Kind lernt, warum es etwas tut und warum es etwas nicht tut.<br />

Es findet bei ihm eine bewusste Konstruktion <strong>des</strong> Objektes […] statt. Die Fähigkeit das Objekt zu konstruieren,<br />

ist somit der Schlüssel zum bewussten Training“.<br />

Die menschliche Plastizität (Formbarkeit) ergibt sich aus dem Umstand, dass beim Kind die möglichen Handlungsreaktionen<br />

noch nicht mit Reizen verknüpft sind. Aus dieser Plastizität ergeben sich bezogen auf den Erwerb<br />

von Kompetenzen in den beiden Pflegeformen:<br />

„alle Chancen und Anpassungen […] – ein Zustand, in welchem die Reize noch nicht bestimmt sind. Das<br />

kleine Menschenkind besitzt nicht nur Instinkte, sondern es hat überdies die Fähigkeit, die Objekte bewusst<br />

zu konstruieren, auf welche diese Instinkte reagieren werden. Es wird von der Gesellschaft dazu angeleitet,<br />

diese Objekte zu konstruieren […]“ (PE: 41).<br />

85 Auf diesen Zusammenhang weisen Ward/Throop (1989: 469) hin. An anderer Stelle unterstreichen sie, dass Mead in<br />

emotionalen Ausdrucksweisen, verstanden als Geste, eine abgekürzte Handlung sieht, die geeignet ist, die emotionale<br />

Bedeutung einer Handlung mitzuteilen (ebenda: 470).<br />

86 Diese Vorlesungsreihe besteht aus insgesamt 38 Vorlesungen. Mead entwickelt in diesem Kurs, in dem er die Entwicklung<br />

<strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> aus einer entwicklungsgeschichtlichen- soziokulturellen Perspektive beleuchtet, zwei Argumentationsstränge,<br />

einen interaktionalen und einen entwicklungsbezogenen. Was den interaktionalen Aspekt betrifft, geht <strong>des</strong> hier insbesondere<br />

um die Vermittlung von Sinn bzw. Bedeutung. Dies verweist auf den Spracherwerb. Bredo (2010: 328) spricht vom Erwerb<br />

linguistischer und konzeptueller Werkzeuge, deren Gebrauch man lernen muss, und deren Sinn nur in der praktischen Anwendung<br />

verstehbar wird. Der entwicklungsbezogene Aspekt verweist auf die Bedeutung von Emotionen für die Identifikation<br />

als Voraussetzung für die Bindung an z.B. eine Gruppe, aber auch für die Entwicklung der Fähigkeit <strong>zur</strong> Perspektivenübernahme,<br />

die mit einer Distanzierung von sich selbst und anderen einhergeht (s. Bredo 2010: 329, aber auch Martin/ Gillespie<br />

2010: 257).<br />

87 Die Umwandlung von Energie mittels Erfahrungsbildung wird hier im Handlungsprozess verankert.<br />

88 Die Bedingungen für das pflegerische Handeln sind in der Pflegesituation enthalten. In die konkrete Pflege und die dabei<br />

ablaufenden sozialen Interaktionen sind emotionale Erfahrungen eingebettet.<br />

89 Wie in Kap. 3, FN 25 erwähnt, greift Mead ein bei Dewey (1894/95) zu finden<strong>des</strong> Thema auf, das dieser in seinen 1894<br />

und 1895 erschienenen Artikeln <strong>zur</strong> ‚Theory of Emotion‘ I und II in der Auseinandersetzung mit den Vorstellungen von<br />

Charles Darwin und William James behandelt.<br />

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