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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

ihres Kin<strong>des</strong> zu höchst unterschiedlichen Handlungsweisen motiviert sein. Mit Blick auf die Pflege ihres Kin<strong>des</strong><br />

stehen sie vor der Aufgabe, ihre Kompetenz, Andere zu pflegen, aufeinander abzustimmen, was nicht immer<br />

konfliktfrei verläuft. Ganz allgemein enthält die Verlaufskurvenprojektion Ideen zum erwarteten Verlauf wahrgenommener<br />

Interaktionen. Diese sind notwendig, um Entscheidungen für die einzelnen Handlungen in Bezug<br />

auf die Pflege <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> treffen zu können76 . Mit Blick auf das Konzept der AL kann das zweite Konzept, das<br />

<strong>des</strong> Verlaufskurvenschemas, als konkreter Handlungsplan in Bezug darauf betrachtet werden, wie die tägliche<br />

Pflege <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> und die unter das Konzept der AL fallenden einzelnen Klassen von Aktivitäten organisiert und<br />

durchgeführt werden sollen (Corbin/Strauss 1992: 17). Hierbei kann man sich nach Strauss et al. (1985: 30) den<br />

Begriff <strong>des</strong> Schemas auch als Visualisierung eines ‚Arbeitsbogens’ (arc of work) vorstellen, d.h. als Visualisierung<br />

all der Arbeiten, die in Bezug auf die Pflege <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> getan werden müssen, einschließlich der einzelnen<br />

Arbeitssequenzen. Dieser ‚Arbeitsbogen’ muss nicht vollständig sein, er kann vorläufiger Natur, implizit oder<br />

explizit sein. Er kann aber auch nur erste Ideen enthalten. Im familiären Kontext geht es hierbei zuerst darum,<br />

die Pflege <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> in die konkrete Tagesgestaltung der Familie zu integrieren. Dies bedeutet, dass das neue<br />

Familienmitglied an die Gewohnheiten und Abläufe der Familie herangeführt werden muss, bzw. diese aufgrund<br />

der Erfordernisse <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> neu ausgerichtet werden müssen. Hierbei handelt es sich um einen reziproken Anpassungsprozess<br />

zwischen Kind und Eltern, der mit Arbeit verbunden ist und <strong>zur</strong> Modifikation diverser bestehender<br />

Verlaufskurven führen kann. Das Verlaufskurvenschema enthält die Arbeitsinhalte, z.B. dass das Kind<br />

nach Bedarf gestillt oder gefüttert wird und wie man dabei vorgehen will (Stillen im Liegen, Sitzen etc.). Diese<br />

vorgestellten einzuschlagenden Strategien, müssen in konkrete Handlungen übersetzt werden. Im Verlaufskurvenschema<br />

verknüpfen sich interaktionelle Prozesse und konkrete Arbeitsprozesse wie die Artikulation der zu<br />

leistenden Arbeit, die einzusetzenden und zu beschaffenden Ressourcen, die Arbeitsteilung zwischen den Eltern<br />

bzw. Bezugspersonen <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> und ihr jeweiliger Verantwortungsbereich, die Koordination der diversen Arbeiten<br />

u.a.m. Wichtig ist, dass das Schema entsprechend der sich entwickelnden Situationen laufend revidiert<br />

werden kann77 . Weiter wirken sich die Projektion der Pflegeverlaufskurve und die Aspekte <strong>des</strong> einzuschlagenden<br />

Arbeitsbogens auf die Handlungen und Interaktionen der an der Arbeit Beteiligten aus. Sie können zu einer<br />

Umgestaltung <strong>des</strong> Schemas/der Schemata im täglichen Handeln, aber ggf. auch der Verlaufskurvenprojektion78 führen. Diese Auswirkungen münden ihrerseits als Bedingungen wieder in das zukünftige Handeln ein (s. Corbin<br />

1994: 12, Strauss et. al 1985: 8ff, Strauss 1993: 55f; 1994: 79f, 83).<br />

Wie das Selbst ist die Kompetenz zum selbstgesteuerten oder eigenständigen Handeln von Geburt an nicht einfach<br />

da. Die hierfür im Menschen vorhandenen Potenziale müssen im Rahmen der Sozialisation erst entfaltet<br />

und dann weiterentwickelt werden. Die Kompetenz <strong>zur</strong> auf sich selbst und auf Andere bezogenen Pflege konkretisiert<br />

sich in den AL und in den in einer Pflegebeziehung eingenommenen Rollen/Funktionen. Diese bilden den<br />

engeren Kontext, in dem die entsprechenden Kompetenzen vermittelt und angeeignet werden und wo der<br />

76 Da viele Fragen offen bleiben, ist ein schlichtes Mittel-Zweck-Schema un<strong>zur</strong>eichend. Unter Bezugnahme auf die von<br />

Mead und Dewey entwickelten Ideen menschlichen Handelns hebt Strauss (1993: 55) hervor, „das die<br />

Verlaufskurvenprojektion weder ein Zweck noch ein Ziel ist, auf das das Handeln und die Interaktionen im Sinne eines<br />

Mittels ausgerichtet ist“. In Anlehnung an Mead wirken sich Zwecke nach pragmatistischem Verständnis „als Bedingungen<br />

für die Ausbildung einer Handlungslinie aus;“ allerdings können eingeschlagene „sichtbare Handlungen Veränderungen der<br />

Zwecke herbeiführen“. Und weiter heißt es „Zwecke und Ziele tragen zum Kontext der Bedingungen bei, der sich auf den<br />

Verlauf einer Verlaufskurve durch die entsprechende Gestaltungen der Handlungen der jeweiligen Menschen auswirkt“.<br />

77 Ein leicht aus dem Blick zu verlierender Aspekt ist, dass ein Schema in den Kontext einer Vielzahl anderer Schemata<br />

derselben Person und anderer Akteure eingebettet ist. Der tatsächlich eingeschlagene Arbeitsbogen kann erst im Nachhinein<br />

rekonstruiert werden, da nicht alle Aspekte <strong>des</strong> Arbeitsbogens von vornherein erkennbar sein müssen. Gerade im familiären<br />

Kontext müssen verschiedene Schemata aufeinander abgestimmt werden. Die dabei zu leistende Integrationsarbeit nimmt mit<br />

der Anzahl der Personen und der Eingebundenheit in verschiedene Kontexte zu (z.B. eine Familie mit zwei Kindern, einem<br />

Säugling und einem Vierjährigen, der/die im Kindergarten ist, zwei berufstätigen Eltern etc., Au-pair Mädchen oder<br />

alleinerziehende Mutter mit wenig Unterstützung durch ihre Familie etc.).<br />

78 Da nicht alle Beteiligten gleiche Vorstellungen von Pflege haben, besteht ein hoher Aushandlungsbedarf zwischen den<br />

Beteiligten, was ein hohes und vielfach unterschätztes Konfliktpotenzial beinhaltet. In diesem Zusammenhang muss gesehen<br />

werden, dass im professionellen Kontext noch einmal andere Vorstellungen bestehen können als im privaten.<br />

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