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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

prozessen74 . Mit anderen Worten, die Familie bleibt im zeitlichen Verlauf nicht die gleiche. Sie verändert sich<br />

hinsichtlich ihrer Mitglieder, indem neue hinzukommen, andere aufgrund von Trennung oder Tod herausfallen<br />

(s. Bertram 2006: 4). Dies bedeutet, dass eine unterschiedliche Anzahl von Personen Einfluss auf die Arbeit an<br />

den Pflegeverlaufskurven <strong>des</strong> neugeborenen Kin<strong>des</strong> haben. Insofern müssen, um über die ‚eingeübte Assoziation‘<br />

von ‚Pflege mit Frauen‘ hinauszugelangen, alle Personen, die direkt und indirekt beteiligt sind, in den Blick<br />

genommen werden.<br />

Die Arbeit der Eltern75 an den Pflegeverlaufskurven ihres Kin<strong>des</strong> erfolgt zuerst während der Schwangerschaft,<br />

und vor, während und nach der Geburt temporär arbeitsteilig mit den damit befassten professionellen Berufsgruppen.<br />

Beide Gruppen, Eltern wie Professionelle, bahnen die Pflegeverlaufskurven eines Kin<strong>des</strong> an. In diesem<br />

Prozess müssen die Eltern ihre eigenen Pflegeverlaufskurven, die ihre Kompetenz <strong>zur</strong> Pflege anderer Menschen<br />

widerspiegeln, aktivieren und sich auf die Übernahme der damit verbundenen Rollen als Eltern, Vater und Mutter,<br />

vorbereiten (s. hierzu auch Mercer 2010). Im Zentrum <strong>des</strong> Pflegehandelns in der Eltern-Kind-Beziehung stehen<br />

eine Vielzahl von mit den AL zusammenhängenden Handlungsweisen. Diese Handlungsweisen strukturieren<br />

die Arbeit an den Pflegeverlaufskurven <strong>des</strong> neugeborenen Kin<strong>des</strong>, womit die schrittweise Herausbildung <strong>des</strong><br />

Selbst, <strong>des</strong> Selbstkonzepts und <strong>des</strong> Körperbilds und schließlich die Herausbildung pflegerischer Kompetenzen<br />

einsetzt. Ganz allgemein kann gesagt werden, dass diese Handlungsweisen zunächst auf das körperliche/psychische<br />

Wohlbefinden <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> konzentriert sind. Welche Vorstellungen die Eltern von der Pflege haben,<br />

vermitteln sie dem Kind durch ihr Pflegehandeln und dadurch, wie sie auf <strong>des</strong>sen Lebensäußerungen und<br />

Erfordernisse in den einzelnen AL eingehen und wie sie dem Kind helfen, die Ausführung der Aktivitäten im<br />

Zuge seiner Entwicklung schrittweise eigenständig zu übernehmen. Damit greifen zwei wichtige Konzepte <strong>des</strong><br />

Verlaufskurvenbezugsrahmens von Corbin/Strauss (1992): das Konzept der Verlaufskurvenprojektion und das<br />

<strong>des</strong> Verlaufskurvenschemas. Das erste Konzept steht für eine Vision von der Pflege <strong>des</strong> eigenen Kin<strong>des</strong>, die<br />

von beiden Elternteilen bzw. allen an der Pflege <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> Beteiligten entwickelt wird. Sie beinhaltet Vorstellungen<br />

davon, welche mit der eigenen Pflege verbundenen Aktivitäten das Kind zu welchem Zeitpunkt selbst<br />

ausüben soll, aber auch jene Vorstellungen, die sie selbst mit einer guten Pflege verbinden. Bei der Vorstellung<br />

der angestrebten Ziele hinsichtlich der vom Kind zu erreichenden Kompetenz in den beiden Pflegeformen kommen<br />

ihre eigenen Erfahrungen mit der Pflege durch Andere ins Spiel. Ihre Visionen von Pflege kommen sowohl<br />

bei der Aktivierung ihrer jeweiligen Kompetenzen <strong>zur</strong> Pflege Anderer zum Tragen als auch bei der Ausbalancierung<br />

der Erfordernisse in Bezug auf die eigene Pflege und der pflegerischen Erfordernisse, die das Kind den Eltern<br />

und anderen Bezugspersonen abverlangt. Es kann vermutet werden, dass die Bedeutung, die die Eltern und<br />

andere der Pflege <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> beimessen, ebenso wie die Erfahrungen, die die einzelnen Personen mit dem ‚Gepflegtwerden’<br />

durch die eigenen Eltern etc. gemacht haben, mehr oder weniger bewusst in diese Visionen einfließen,<br />

etwa in Form von Vorstellungen, mentalen ‚Arbeitsimages’, ‚Handlungsskripten’, Objekten, ‚Rollenmodellen’<br />

oder ‚Werten‘ (z.B. Reinlichkeitsvorstellung, Schönheitsideale, Rollenideale wie gute Mutter, guter Vater).<br />

Diese Visionen können je nachdem, was die Menschen mit ‚Pflege‘, mit pflegen und gepflegt werden verbinden,<br />

welche Vorstellungen, Bilder, Begriffe, Werkzeuge etc. sie diesbezüglich ausgebildet haben und welche<br />

Erfahrungen sie damit gemacht haben, recht vage und diffus ausfallen, aber auch sehr dezidiert sein. Die Vision,<br />

die im Handlungsschema von Mead ein gedankliches antizipiertes Distanzobjekt und als solches eine Bedingung<br />

<strong>des</strong> Handelns darstellt, beeinflusst die Bildung von Handlungslinien (s. Strauss 1994: 78). Da beide Elternteile in<br />

unterschiedlichen Kontexten und sozialen Welten (Herkunftsfamilie, Freun<strong>des</strong>kreis, Berufswelt etc.) ihre Kompetenz<br />

<strong>zur</strong> selbstbezogenen und <strong>zur</strong> Pflege Anderer ausgebildet haben, kann nicht vorausgesetzt werden, dass sie<br />

gleiche Vorstellungen von Pflege und gleiche Kompetenzen haben. Daher können sie in Bezug auf die Pflege<br />

74 Diesen Entwicklungen der Institution Familie ist vor allem dann Rechnung zu tragen, wenn der private Haushalt als ein<br />

wichtiger Gesundheitsstandort der Zukunft ausgemacht wird (s. Hilbert/Evans 2009: 19f).<br />

75 Hinter dem Begriff ‚Eltern‘ können sich empirisch unterschiedliche (Paar-)Konstellationen verbergen, die diese Funktion<br />

für das Kind wahrnehmen. Hierbei kann es sich um die leiblichen Eltern, um ein konstantes leibliches Elternteil oder ein nur<br />

temporär anwesen<strong>des</strong> Elternteil u.a.m. handeln.<br />

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