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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

Regel aus eigenem Antrieb aufrechterhalten56 und nur in bestimmten Situationen durch Professionelle unterschiedlichster<br />

Art temporär mitgestaltet oder umgeformt. Dabei ist das Maß an möglicher oder tatsächlicher<br />

Kontrolle über die Verlaufskurve für den Einzelnen und andere mitwirkende Personen variabel. Die Kontrolle<br />

kann nach dem pragmatistischen Handlungsverständnis nie vollständig sein (s. Kap. 3; Strauss 1993: 53f, Strübing<br />

2007: 120). Das Verlaufskurvenkonzept als ein mehrdimensionales, unterschiedliche Handlungsebenen berücksichtigen<strong>des</strong><br />

analytisches Konstrukt<br />

„erlaubt einen multiperspektivischen Blick und integriert gezielt die Zeitlichkeit sowohl der untersuchten<br />

Phänomene als auch der sie formenden Handlungen und Interaktionen (shaping)“ (Strübing 2007: 121).<br />

Im Weiteren soll auf die verschiedenen, mit dem Konzept der Verlaufskurve zusammenhängenden Konzepte<br />

eingegangen werden. Dabei wird immer wieder der Bezug zum Meadschen Handlungsmodell hergestellt. Vorausgeschickt<br />

sei hier, dass der aus dem Konzept der Krankheitsverlaufskurve von Corbin/Strauss (1988, 1992)<br />

abgeleitete Verlaufskurvenbezugsrahmen einschließlich der für die Arbeit an der (Krankheits-)Verlaufskurve<br />

beschriebenen Arbeitstypen57 implizit Hinweise auf eine Pflegeverlaufskurve und auf die zwischen der Krankheitsverlaufskurve<br />

und der Pflegeverlaufskurve bestehenden wechselseitigen Beziehungen gibt (s. auch Fagerhaugh/<br />

Strauss 1977: 23ff). Dies betrifft insbesondere die Gefühls- und Wohlbefindensarbeit (s. Strauss et al<br />

1985) und die biographische Arbeit (Corbin/Strauss 1988). In einem nächsten Schritt geht es daher um die Arbeit<br />

an den Pflegeverlaufskurven58 .<br />

8.3 ZUR ARBEIT AN DEN PFLEGEVERLAUFSKURVEN UND AM SELBST<br />

An dieser Stelle wird der Faden erneut zu den unter Punkt 8.1 formulierten Gedanken aufgenommen. Die Pflege<br />

und das Selbst als zwei sich wechselseitig bedingende Phänomene entstehen in sozialen Beziehungen. Beide hinterlassen<br />

sichtbare und unsichtbare Spuren in den Beziehungen, die ein Mensch zu anderen Menschen, Dingen<br />

und der Umwelt unterhält, wie auch in der Beziehung, die er zu seinem Körper und sich selbst hat. Sie sind zugleich<br />

Prozess und Ergebnis in kontinuierlicher Bewegung, die aufgrund ihres flüchtigen Charakters in der ‚trügerischen<br />

Gegenwart’ nur in der Reflexion greifbar werden. Nach Mead (MSS: 135; GIG: 177) reihen sich unsere<br />

Erfahrungen wie auf einer ‚Schnur unseres Selbst’ auf, wobei dieser ‚innere Faden’ dem Selbst eine gewisse<br />

Kontinuität verleiht (s. Kap. 3.4.1.1: 121). Wird dieser Gedanke auf das Phänomen Pflege übertragen, kann auch<br />

hier die Metapher der ‚Schnur’ verwendet werden, deren Funktion in Bezug auf die Erfahrungen <strong>des</strong> Selbst <strong>des</strong><br />

Menschen darin besteht, die besondere Spannung, die zwischen seinen ‚Selbst-Erfahrungen’ und seinen ‚pflegerischen<br />

Erfahrungen‘ bestehen, im täglichen Leben zu erden bzw. zu inkorporieren, sie körperlich erfahrbar zu<br />

machen und sich so seines Selbst und seiner Existenz zu vergewissern. Dieser Vorgang läuft in der Regel unterhalb<br />

der ‚Bewusstseinsschwelle‘ ab und gelangt erst ins Bewusstsein, wenn es zu Irritationen oder Brüchen im<br />

gewohnten Handlungsfluss kommt. Wohlbefinden drückt in diesem Fall eine gelungene Erdung im Sinne der<br />

Fortsetzung <strong>des</strong> Handlungsflusses aus, wohingegen diese Erdung bei Unwohlsein entsprechend nicht gelungen<br />

ist. Wenn hier von Pflegeverlaufskurven die Rede ist, wird das Konzept der Verlaufskurven dahingehend modifiziert,<br />

dass diese konsequent mit der Verlaufskurve <strong>des</strong> Selbst verbunden werden. Sie werden als miteinander<br />

verwobene Schnüre59 gedacht, die kontinuierlich weitergesponnen werden müssen und in deren Verlauf unterschiedliche<br />

Aspekte <strong>des</strong> Selbst, <strong>des</strong> Selbstkonzepts, <strong>des</strong> Körperbil<strong>des</strong>, der Identitäten und der auf sich selbst und<br />

56 Eine wichtige Rolle kommt signifikanten Anderen zu, Peers (Gleichaltrigen oder Gleichgestellten wie Kollegen),<br />

Referenzgruppen, Medien und gesellschaftlichen Normen/Werten.<br />

57 Hierzu zählen: Maschinen-, Sicherheits-, Wohlbefindens- und Gefühlsarbeit, die Arbeit <strong>des</strong> Patienten, die Fehler-, Körper-<br />

und Aushandlungsarbeit, die biographische Arbeit, die Artikulations- und Informationsarbeit.<br />

58 Bei der in diesem Kapitel zu leistenden Reformulierungsarbeit werden die einzelnen Konzepte <strong>des</strong> RLT-Modells in ausgewählten<br />

Beziehungskonstellationen, im familiären und in beruflich/ professionellen Kontexten betrachtet. In Beiden kreuzen<br />

sich der private und öffentliche Bereich.<br />

59 In die Metapher der ‚Schnur’ sind verschiedene Konzepte wie das der Zeit (Zukunft, Vergangenheit flüchtige Gegenwart),<br />

das Konzept der Perspektivenübernahme und damit verbunden das <strong>des</strong> Standorts inkl. <strong>des</strong> Raums eingelassen, wie auch Ideen<br />

und Vorstellungen unserer symbolischen Welt. Hier ist ein weiterer Anknüpfungspunkt zu den Konzepten Zeit und Raum<br />

von King.<br />

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