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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

wa Macht/Ermächtigen im Sinne von Befähigen für eine gelungene Arbeit an den Pflegeverlaufskurven aller Beteiligten<br />

von herausragender Bedeutung. Die Befähigung <strong>des</strong> Menschen <strong>zur</strong> eigenen Pflege und <strong>zur</strong> Pflege Anderer<br />

ist die Voraussetzung, um Autorität in beiden Formen <strong>des</strong> Pflegehandelns zu erlangen. Autorität und Entscheidungsfindung<br />

verweisen auf die Fähigkeit <strong>zur</strong> Selbststeuerung und <strong>zur</strong> Kontrolle der Verlaufskurvenarbeit.<br />

Um also Formen der weiter oben beschriebenen Marginalisierung der Pflege im Zusammenhang mit multiplen<br />

Verlaufskurven begegnen zu können, muss ein Handeln reflektiert werden, das zum Ziel hat, bestimmte Gruppen<br />

auszuschließen, ebenso wie eines, das der Situation der Ausgeschlossenen Rechnung trägt (Timmermans 1998:<br />

435). Mit Blick auf die Erhaltung der Kompetenzen <strong>zur</strong> auf sich selbst wie auf andere Menschen bezogenen<br />

Pflege geht es dabei um die Klärung <strong>des</strong>sen, was im engeren Sinn <strong>zur</strong> Arbeit an den Pflegeverlaufskurven gehört,<br />

was in welchem Kontext dazugehört bzw. nicht dazugehört, was davon sichtbar bzw. unsichtbar ist, was<br />

artikuliert wird und was nicht, was als selbstverständlich vorausgesetzt wird und so Gefahr läuft, erst gar nicht<br />

berücksichtigt zu werden.<br />

Die bisher erfolgte Modifikation <strong>des</strong> RLT-Modells soll im Folgenden unter Einbeziehung <strong>des</strong> Konzepts der Verlaufskurve<br />

fortgesetzt werden. Das auf sich selbst und auf andere Menschen bezogene pflegerische Handeln<br />

kann in min<strong>des</strong>ten zwei, häufig aber in mehreren Relationen beschrieben werden. Wenn im Weiteren die Rede<br />

von einer Pflegeverlaufskurve ist, müssen in Bezug auf den einzelnen Menschen stets zwei, sich gegenseitig bedingende<br />

Pflegeverlaufskurven unterstellt werden. Diese kreuzen sich im Laufe <strong>des</strong> Lebens für jeweils unterschiedliche<br />

Zeiträume mit den Pflegeverlaufskurven anderer Menschen sowie mit weiteren Verlaufskurven unterschiedlichster<br />

Art, wozu auch Krankheitsverlaufskurven gehören. Damit erfolgt eine zweite grundlegende<br />

Reformulierung <strong>des</strong> RLT-Modells, bei der die AL ‚Arbeiten und Spielen’ 54 zu einer Schlüsselkategorie wird.<br />

Die Arbeit, die für die Aneignung, Weiterentwicklung, Aufrechterhaltung und Modifikation dieser Pflegekompetenzen<br />

erforderlich ist, ist nach Timmermans (1998: 429) das Merkmal, das die beiden Pflegeverlaufskurven erzeugt,<br />

schafft und am Laufen hält. Mit Blick auf die Pflege gilt es, alle Aktivitäten zu entdecken, die <strong>zur</strong> Entwicklung,<br />

Aufrechterhaltung und Adaptation der beiden grundlegenden pflegerischen Handlungskompetenzen<br />

beitragen wie ebenso die Bedingungen, die sich förderlich oder hinderlich auf dieselben auswirken55 . Ein wichtiger<br />

Arbeitstyp <strong>zur</strong> Koordination und Organisation der Arbeit an den Pflegeverlaufskurven ist in der Terminologie<br />

von Strauss et al. (1985: 151ff) die so genannte Artikulationsarbeit.<br />

Bezogen auf die Pflege in ihren unterschiedlichen Formen bedeutet die Arbeit an den jeweiligen Pflegeverlaufskurven<br />

nicht nur eine Begegnung mit Leid und Leiden. Wie in Kapitel 3 (Pkt. 3.4.1.3, Pkt. 3.4.2) erwähnt,<br />

kann sie ebenso mit Wohlbefinden, mit der Wahrnehmung der eigenen Handlungsfähigkeit (s. auch Canales<br />

2000, 2004) und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten im Sinne eines Empowerments verbunden sein.<br />

Dieser Aspekt scheint im RLT-Modell über das Konzept <strong>des</strong> Abhängigkeits-/Unabhängigkeitskontinuums durch.<br />

Pflegeverlaufskurven können demnach mit sehr verschiedenen Erfahrungen verbunden sein. Den unterschiedlichen<br />

Erfahrungsformen ist gemeinsam, dass das jeweilige Phänomen (Strübing nennt als Beispiel eine Spielerverlaufskurve)<br />

so erfahren wird, als wäre es mit einer eigenen Handlungsfähigkeit ausgestattet (Strübing 2007:<br />

120). Ein anderer Aspekt besagt, dass Verlaufskurven nicht einfach auf uns zukommen. Sie werden vielmehr<br />

durch menschliches Handeln hergestellt und in Gang gehalten. So werden die Pflegeverlaufskurven der Neugeborenen<br />

über die Pflegeaktivitäten der Eltern und der bei der Geburt beteiligten Professionellen in Gang gesetzt.<br />

Später werden sie in erster Linie von den Eltern, aber auch von anderen Bezugspersonen und noch später in der<br />

54 Wie in Kap. 2 angemerkt, heißt diese AL im englischen Original ‚working and playing’. Ich habe sie mit ‚Arbeiten und<br />

sich in der Freizeit beschäftigen’ übersetzt. Unter Berücksichtigung der Entwicklung <strong>des</strong> Selbst bezeichne ich diese AL in<br />

Anlehnung an die Meadsche Unterscheidung von Arbeit, Spiel und Kunst wieder als AL ‚Arbeiten und Spielen’. In diese<br />

beziehe ich die künstlerische Komponente ebenfalls mit ein, etwa in dem Sinn, sein Leben im Sinn einer ‚Lebenskunst’ zu<br />

meistern.<br />

55 In eine ähnliche Richtung weisend, aber anders akzentuierend, schlagen Allen et al. (2004) vor, statt von Krankheits-<br />

Verlaufskurven von Versorgungs-Verlaufskurven (trajectories of care) zu sprechen. Damit erweitern sie aus der Perspektive<br />

professioneller Arbeit den Blick auf das Gesundheits- und Sozialwesen.<br />

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