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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

laufskurvenarbeit zielt darauf, die Verlaufskurve auf ihren erwarteten Kurs zu bringen und zu halten. Wie angedeutet,<br />

überkreuzen sich im Leben eines Menschen immer wieder verschiedene Verlaufskurven oder beeinflussen<br />

einander. Wenn bspw. ein Vater der Pflege seines Kin<strong>des</strong> wenig Aufmerksamkeit schenkt, kann dies dazu<br />

führen, dass die Mutter <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> dies umso mehr tut. Oder wenn eine Pflegekraft die Pflege eines Patienten<br />

nach einem bestimmten Schema gestalten will, dann beeinflusst dies die Pflegeverlaufskurve <strong>des</strong> Patienten ebenso<br />

wie ihre eigene. Die wechselseitige Abstimmung (‚tuning’) der an einer Verlaufskurve Beteiligten ist die<br />

Hauptdynamik von Verlaufskurven (Timmermans 1998: 433). Dies verweist auf die Beziehungsdynamik einerseits,<br />

aber auch darauf, wie die Arbeit an der Verlaufskurve durch die Beteiligten gestaltet wird und wie sie sich<br />

auf letztere auswirkt. Hierbei kommt der Fähigkeit zu Perspektivenübernahme eine besondere Bedeutung zu.<br />

Sie ermöglicht den Beteiligten, ihr Handeln durch die Einnahme der Perspektive eines anderen zu kontrollieren,<br />

den Verlauf neu zu gestalten und zu steuern. Verlaufskurven befinden sich in einer fortwährenden Bewegung,<br />

deren Richtung, Schnelligkeit etc. durch sog. ‚turning points’ 51 charakterisiert sind. Bezüglich der Verlaufskurven<br />

chronisch Kranker haben Corbin/Strauss insgesamt neun Phasen52 beschrieben, die ihrerseits wiederum<br />

höchst unterschiedlich verlaufen können. Mit Blick auf die Gestaltung von Pflegeverlaufskurven ist speziell das<br />

Konzept der ‚Statuspassage’ von Interesse, das Strauss erstmals in seinem Buch ‚Mirrors and Masks’ 53<br />

(1997/1974) im Zusammenhang mit der Transformation von Identitäten im Rahmen menschlicher Entwicklungsprozesse<br />

diskutiert. Er greift dieses Thema später erneut mit Barney Glaser (2010/ 1971) auf. Solche Statuspassagen,<br />

etwa die vom Säugling zum Kind, vom Kind zum Jugendlichen, also von einem zunächst voll pflegebedürftigen<br />

und abhängigen zu einem Menschen, der zuerst teilweise und später ganz für seine Pflege aufkommen<br />

kann und der schließlich eigenständig andere Menschen pflegen könnte, aber auch die Statuspassage<br />

vom Gesunden zum Kranken sind für die Pflege von außerordentlichem Interesse. Afaf I. Meleis & KollegInnen<br />

(s. Meleis 2010) haben dieses Thema aus der Perspektive von ‚Transitions’ (Übergänge) untersucht und vier generelle<br />

Arten von Transitionen beschrieben, mit denen Pflegekräfte konfrontiert werden. Hierbei handelt es sich<br />

um entwicklungsbezogene, situationsspezifische, gesundheits-/ krankheitsbezogene und organisatorische<br />

Transitionen. Es liegt auf der Hand, dass diese verschiedenen Statuspassagen und Transitionen Einfluss auf den<br />

Fortgang von Pflegeverlaufskurven haben. Beide Themen verweisen mehr oder weniger auf das Konzept <strong>des</strong><br />

Abhängigkeits-Unabhängigkeitskontinuums <strong>des</strong> RLT-Modells, dass jetzt nicht mehr nur aus der Perspektive<br />

der Beziehungsdynamik betrachtet werden kann, sondern auch aus der Perspektive der Transformation von sozialen<br />

Identitäten als Folge/Konsequenz von Statuspassagen.<br />

Ein weiteres mit diesen Wendepunkten und der wechselseitigen Abstimmung der an einer Verlaufskurve Beteiligten<br />

verbundenes Thema ist das von Wandel und Kontrolle. Der Begriff der Kontrolle wiederum bringt das<br />

Thema Macht und Einfluss bei der Gestaltung der Verlaufskurve auf den Tisch. Timmermans betont, dass<br />

nicht alle Beteiligten über die gleiche Macht bei der wechselseitigen Abstimmung ihrer Arbeit an der Verlaufskurve<br />

verfügen. Er hebt zwei wichtige Fälle der Abstufung von Macht hervor:<br />

1. Die unsichtbare Artikulationsarbeit von Beteiligten, die das Handeln derjenigen ermöglicht, die die<br />

Verantwortung haben<br />

2. die Aktivitäten, die eine bestimmte Verlaufskurve umgeben, und die implizit oder explizit erwünscht<br />

sein können, um andere Verlaufskurven auszuschließen.<br />

Einige der Konzepte <strong>des</strong> sozialen Systems in Kings pflegetheoretischem Ansatz wie Macht, Autorität oder Entscheidungsfindung,<br />

sind im Kontext der Arbeit an den Pflegeverlaufskurven von höchster Bedeutung. So ist et-<br />

51 Zum Beispiel wenn ein solcher ‚turning point‘ zu einer Veränderung von sozial zugewiesenen Identitäten führt.<br />

52 Hierzu zählen: 1. Prä-Verlaufskurve, 2. Einsetzen der Verlaufskurve, 3. stabile Phase, 4. instabile Phase, 5. Akutphase, 6.<br />

Phase der Krise, 7. Comeback/Rückkehr, 8. Abwärtsphase und 9. Sterben.<br />

53 Soeffner (1991a: 371; 1991b: 11) macht darauf aufmerksam, dass das Strauss’sche Identitätskonzept (. Strauss 1974/1997,<br />

Kap. IV.) bereits in Kategorien der ‚trajectory’ entworfen ist. Charakteristisch für das Denken Strauss sei, dass es auf eine<br />

Theorie der Bewegung in einem zweifachen Sinn zielt: 1) „eine Theorie von der Bewegung, von Prozessen menschlichen<br />

Handelns und menschlicher Sinngebung; 2) (…) auf eine Theorie in Bewegung, deren Prinzip es ist, das ‚Zu-Ende-Denken‘<br />

letztlich soweit zu treiben, dass es nie zu Ende kommen kann (s. Soeffner 1991b: 1f).<br />

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