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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

spektiven anknüpft, und wie es die beim Handeln benutzten Technologien einschließlich der Gefühle unterschiedlichster<br />

Art berücksichtigt (s. Strauss 1993: 52, Strauss 1994: 76).<br />

An anderer Stelle habe ich angeregt, das Konzept der Verlaufskurve direkt auf das Pflegehandeln zu beziehen<br />

und von einer Pflege-Verlaufskurve39 (s. Mischo-Kelling 2001a: 33) zu sprechen. Ich möchte diese Idee hier erneut<br />

aufgreifen, indem ich mich auf den Gedanken von Strauss40 beziehe, wonach das Konzept der Verlaufskurve<br />

anwendbar ist auf<br />

1. den Verlauf eines beliebig erfahrenen, über die Zeit sich entwickelnden Phänomens wie z.B. die Pflege<br />

(s. auch Legewie/Schervier-Legewie 2004)<br />

2. die Handlungen und Interaktionen, die zu seiner Entwicklung beitragen.<br />

Denn es heißt:,<br />

„Phänomene entfalten sich nicht einfach automatisch, noch sind sie schlicht determiniert durch soziale,<br />

ökonomische, politische, kulturelle oder andere Umstände. Sie werden eher oder sind teilweise geformt bzw.<br />

sie werden durch die Interaktionen der beteiligten Akteure gestaltet. Einige Phänomene verändern sich über<br />

lange Zeiträume nicht. Hier ist es sinnvoll zu wissen, wie die Interaktionen der Beteiligten zu dieser Stabilität<br />

beigetragen haben. Das zentrale Konzept der Verlaufskurve versieht die Untersuchung von Phänomenen<br />

und darauf bezogener Interaktionen mit Leben und Bewegung; es zwingt uns auch, die Interagierenden als<br />

aktiv in den Versuch der Formung <strong>des</strong> Phänomens involviert zu betrachten (Strauss 1993: 53f; Strübing<br />

2007:119f).<br />

Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, handelt es sich bei der Pflege um ein sich über die Zeit erstrecken<strong>des</strong><br />

Phänomen, dem sich jeder Mensch unabhängig von jeglicher Krankheit zum Zwecke <strong>des</strong> Überlebens sein Leben<br />

lang stellen muss41 . Dieser anthropologisch wichtige Aspekt gerät bei der engen Bindung <strong>des</strong> Konzepts der Verlaufskurve<br />

an chronische Krankheiten aus dem Blick. Die Fokussierung auf chronische Erkrankungen in den Arbeiten<br />

von Strauss und MitarbeiterInnen hat nach Strübing (2007: 119) den Aspekt <strong>des</strong> ‚Erleidens’ und ‚Ausgeliefertseins’<br />

besonders dominant erscheinen lassen. Strauss (1993: 53) erkennt selbstkritisch eine gewisse Mehrdeutigkeit<br />

darin, wie er und seine Mitautorinnen dieses Konzept genutzt und entwickelt haben. Er gibt zu bedenken,<br />

dass im pragmatistischen Handlungsschema und in seiner daraus abgeleiteten Version <strong>des</strong> Verlaufskurvenkonzepts<br />

nicht notwendigerweise zwischen den zwei möglichen Formen eines Handlungsverlaufs unterschieden<br />

wird, nämlich zwischen einem rationalen und einem problematischen Verlauf <strong>des</strong> Handelns. Wird bei ersterem<br />

alles sorgfältig geplant und entsprechend durchgeführt, kann im anderen Fall der Handlungsverlauf darauf ausgerichtet<br />

sein, im Verlauf entstandene oder entstehende unvorhergesehene Probleme zu handhaben. Diese können<br />

manchmal so ‚schicksalhaft’ erscheinen, dass die Kontrolle <strong>des</strong> Handlungsverlaufs bedroht oder sogar praktisch<br />

unmöglich wird (Strauss 1993: 53). Er interessiert sich vor allem für die letztere Variante, betont aber, dass<br />

er die Anwendung <strong>des</strong> Konzepts in einem breiteren Kontext sieht42 .<br />

39 Strübing (2007: 119f) macht deutlich, dass das Konzept der Verlaufskurve weiter gefasst werden kann und nicht nur die<br />

Seite <strong>des</strong> Leidens, die im Zentrum der Arbeiten von Strauss et al. stehen, betonen muss, sondern durchaus auch andere<br />

Dimensionen erfassen kann.<br />

40 Und ebenso auf die eingangs erwähnte Redewendung ‚study the unstudied‘ ( s. Star 2007; 3.2).<br />

41 Dieser Gedanke findet sich implizit in einem Vortrag von Strauss (1985a: 10), in dem er beschreibt, wie ein an einer<br />

chronischen Erkrankung leidender Mensch sein Leben organisieren und den Umgang mit der Krankheit lernen muss. Der<br />

Umgang mit dem eigenen Körper, das Hören auf den Körper und das Bemerken körperlicher Symptome erfordert die<br />

Entwicklung personenbezogener Handlungsformen, um eine körperliche Verschlechterung zu verhindern. Diese<br />

Handlungsformen unterscheidet er von medizinischen oder pflegerischen Interventionen, d.h. von den professionellen<br />

Interventionen. Die von Strauss als personenbezogen bezeichneten Handlungsformen stellen Formen <strong>des</strong> auf sich selbst<br />

bezogenen pflegerischen Handelns dar.<br />

42 Den Sinn und Zweck der von ihm formulierten Handlungs<strong>theorie</strong> und deren zentrale Konzepte sieht er darin, zu einem<br />

allgemeinen Verständnis von Handeln und Forschen beizutragen. Bei<strong>des</strong> müsse aber zu ‚local concepts’ führen, d.h. zu<br />

Konzepten, die für das jeweilige Phänomen, etwa die Pflege, spezifisch sind. In diesem Zusammenhang verweist er auf<br />

einige Merkmale wie Dauer (kurz/lang), erwartet/nicht erwartet, freiwillig/unfreiwillig, viel/wenig Kontrolle, einige wenige<br />

(inkl. Kollektive) oder viele interagierende Verlaufskurven. Danach können verschiedene Typen von Verlaufskurven<br />

unterschieden werden, die aufgrund der Kombination von Typ und Merkmal klassifiziert werden. Was die Typen betrifft,<br />

differenziert er je nach den involvierten Handelnden zwischen Verlaufskurven von Kollektiven, von einer Anzahl von<br />

Menschen bzw. von einzelnen Menschen (s. Strauss 1993: 65f).<br />

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