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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

die Analyse <strong>des</strong>sen, wie diese Phänomene allgemein von den diversen Berufen, den Betroffenen und ihren Bezugspersonen<br />

wahrgenommen werden, und wie die erwähnten Phänomene zum Gegenstand von Arbeiten werden,<br />

die eine differenzierte Arbeitsorganisation erfordern (s. Riemann/Schütze 1991: 33). Strauss hat in seinen<br />

Publikationen mit unterschiedlichen MitautorInnen verschiedene Verlaufskurven beschrieben. So nennen Fagerhaugh/Strauss<br />

(1977) neben Schmerzverlaufskurven, die Verlaufskurven neuer Technologien oder soziale Verlaufskurven,<br />

womit sie den Lebensstil eines Menschen fassen. Carolyn Wiener et al. (1997) gehen auf das Zusammenspiel<br />

von Verlaufskurven und Biographien ein. Stefan Timmermans (1998) erweitert das Verlaufskurven-Konzept<br />

um das der multiplen Verlaufskurve. Fritz Schütze (1981, 2006) beschreibt verschiedene Erleidensverlaufskurven.<br />

Er unterscheidet zwischen negativen und positiven Verlaufskurven. Erstere nennt er Fallkurven,<br />

letztere Steigkurven (s. Schütze 1981). Doris Schaeffer und Martin Moers (2008, 2009) erweitern das<br />

Konzept der Verlaufskurve um das Konzept <strong>des</strong> Bewältigungshandelns37 , ein Thema, welches auch im Zentrum<br />

<strong>des</strong> Royschen Adaptationsmodells (RAM) steht. Höhmann (s. 2006, 2007) stellt in diversen Arbeiten das Bewältigungshandeln<br />

ins Zentrum der so genannten Trajektarbeiten38 .<br />

Mit der Übertragung <strong>des</strong> Konzepts der Verlaufskurve auf chronische Krankheiten wird eine wichtige, jedoch<br />

leicht zu übersehende Transformation <strong>des</strong> Konzeptes eingeleitet. Diese besteht darin, dass das Verlaufskurven-<br />

Konzept das Feld der Krankheit verlässt und auf das allgemeine Feld der Arbeit bzw. <strong>des</strong> menschlichen Handelns<br />

übergeht. Das Phänomen Krankheit wird jetzt in Beziehung zu der damit verbundenen Arbeit in den verschiedenen<br />

organisatorischen Kontexten und den dabei einzugehenden Arbeitsbeziehungen aller involvierten<br />

Personen einschließlich <strong>des</strong> erkrankten Menschen gesetzt (s. Baszanger 1998: 363). Im Zentrum der Verlaufskurve<br />

steht nunmehr das Handeln der mit der Krankheit eines Menschen befassten Menschen. Somit abstrahiert<br />

das Konzept der Verlaufskurve von der spezifischen Sicht einzelner Gesundheitsberufe. Obgleich es sich mit<br />

dem Verlauf chronischer Erkrankungen befasst, liegt der Fokus auf der zu leistenden Arbeit und weniger auf<br />

dem von den Professionellen wie von Laien verwendeten Begriff <strong>des</strong> Krankheitsverlaufs (s. auch Strauss 1985:<br />

3f). Es geht über die Beschreibung <strong>des</strong> rein physiologischen Verlaufs der Erkrankung/Gesundung (also den<br />

Krankheitsverlauf) hinaus. Es bezieht alles mit ein, was an ärztlicher und pflegerischer Einwirkung bzw. was an<br />

menschlicher Zuwendung in den Prozess einfließt, einschließlich <strong>des</strong>sen, was die Betroffenen selbst dazu tun<br />

(Strauss et al. 1985: 8). Das Konzept fügt allem, was von den Professionellen als Behandlungsplan, als therapeutischer<br />

Plan oder Pflegeprozess verstanden wird, die Dimension der Erfahrung oder auch den Aspekt <strong>des</strong><br />

Schicksalhaften, <strong>des</strong> ‚Durchmachens’ und ‚Ausgesetztseins’ hinzu (Dewey 1934, zitiert in Corbin/Strauss 1988:<br />

34, 1988: 50). Es umfasst das gesamte Spektrum menschlichen Handelns. Es ist nicht nur auf einen Handlungstyp,<br />

den <strong>des</strong> rationalen Handelns beschränkt, sondern beinhaltet aktive wie passive, leidvolle wie freudvolle, innovative<br />

und kreative Aspekte. Damit greift es die im pragmatistischen Handlungsschema implizit enthaltene<br />

Idee der Arbeit ebenso auf, wie es aktiv an Meads Vorstellungen von Zeit und Raum sowie von multiplen Per-<br />

37 Sie grenzen den von ihnen gewählten Begriff <strong>des</strong> Bewältigungshandelns zum einen von dem <strong>des</strong> Copings in seiner<br />

psychologischen und sozialen Variante ab, zum anderen von dem von Strauss et al. benutzten Begriff <strong>des</strong> Managements.<br />

Schaefer/Moers (2008: 11) verstehen unter Bewältigung „die von einem Individuum unternommenen<br />

Handlungsanstrengungen, um mit der Krankheitssituation und ihren zahlreichen biographischen, sozialen, alltagsweltlichen<br />

und krankheitsbezogenen Implikationen umzugehen. Darin ist sowohl das aktiv eingreifende, wie auch das reaktive bzw.<br />

passive Handeln eingeschlossen“. Und an anderer Stelle heben sie hervor, dass die theoretisch zentrale Erkenntnis ihrer<br />

Studien darin besteht, „dass das primäre Interesse der Erkrankten nicht der Krankheit, sondern dem durch sie irritierten<br />

Leben gilt. Denn aus der Sicht der Erkrankten berührt die Krankheit alle Dimensionen ihres Lebens, ruft zahlreiche<br />

Irritationen hervor, provoziert Unsicherheiten, ja beschädigt ihr Leben. Dies erklärt, warum auch ihre<br />

Bewältigungsbemühungen in erster Linie auf das durch die Krankheit aus den Fugen geratene Leben konzentriert sind und<br />

keineswegs […] vorrangig an das direkte Krankheitsgeschehen adressiert sind. Die dazu individuell gesuchten und<br />

gefundenen Bewältigungsstrategien können höchst unterschiedliche Ausprägungen annehmen, verfolgen aber immer das<br />

Ziel, das durch die Krankheit beschädigte Leben (Hervorhebung: MMK) zu reparieren und wieder unter Kontrolle zu<br />

bringen und kommen gewissermaßen Überlebensstrategien gleich.“ (Schaeffer/Moers 2008: 12)<br />

38 Sie nennt insgesamt fünf Formen der Bewältigungsarbeit: (1) krankheitsbezogene und (aus der Pflegebedürftigkeit) sich<br />

ergebende Arbeiten, (2) alltagsbezogene Arbeiten, (3) biographische und psychosoziale Arbeiten, (4) Arbeiten <strong>des</strong><br />

Selbstmanagements, (5) Informations- und Koordinationsaufgaben (s. Höhmann 2006: 26f).<br />

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