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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

„um die ideologischen Bemühungen von Wissenschaftlern zu beschreiben, ihre Arbeit und deren Ergebnisse<br />

von nichtwissenschaftlichen intellektuellen Aktivitäten/Handlungen abzugrenzen“. 34<br />

Dieser Arbeitstypus kommt vor allem in den erwähnten Arenen zum Tragen. Die verschiedenen sozialen Welten<br />

bzw. Subwelten innerhalb einer sozialen Welt und die in einer Arena handelnden Personen treffen hier etwa aufeinander,<br />

um Fragen der Pflege zu verhandeln. Hier weisen sie sich ihre Handlungsrollen wechselseitig zu, hier<br />

behaupten sie ihr jeweiliges Selbst und ihre im Zentrum stehenden Identitäten. Hier grenzen sie sich voneinander<br />

ab und beziehen sich aufeinander. In diesen beschreibbaren Handlungsräumen nehmen das interpersonale System<br />

und das soziale System von King konkret Gestalt an. In diesen Arenen, d.h. den konkreten und diskursiven<br />

Handlungsräumen, an diesen Grenzen und Schnittstellen, den Grenzgebieten zwischen verschiedenen sozialen<br />

Welten werden, in den Worten Kings, Ziele aktiv mit einander ver- und ausgehandelt (s. auch Soeffner 1991b:<br />

8). Im Folgenden sollen zunächst wichtige Vorstellungen zum Konzept der Verlaufskurve referiert werden.<br />

8.2 DAS KONZEPT DER VERLAUFSKURVE: EIN WICHTIGER BAUSTEIN FÜR DIE TRANSFORMA-<br />

TION DES RLT-MODELLS IN EINE PRAGMATISTISCH-INTERAKTIONISTISCHE THEORIE DES<br />

PFLEGEHANDELNS<br />

Wie die Rekonstruktion und Diskussion der Konzepte <strong>des</strong> Selbst, <strong>des</strong> Selbstkonzepts und Körperbilds in den drei<br />

pflegetheoretischen Ansätzen deutlich gemacht haben, ist es zwingend geboten, die Pflege als eigenständiges<br />

Phänomen zu denken und keineswegs als eines, das nur in Zusammenhang mit Krankheit in Erscheinung tritt.<br />

Um den Gedanken der Pflege als emergentes, evolutionäres Phänomen, als menschliches ‚going concern‘ greifbar<br />

zu machen, wird an dieser Stelle das Konzept der Verlaufskurve eingeführt.<br />

Das Konzept der Verlaufskurve35 , 36 (trajectory) wurde von Strauss und seinen Mitarbeiterinnen (Soziologinnen,<br />

Pflegewissenschaftlerinnen 1985, 1987, 1988, 1992) entwickelt und in vielen Studien <strong>zur</strong> Analyse der im Rahmen<br />

der Gesundheitsversorgung zu leistenden Arbeit am, um, für und mit dem Patienten immer weiter ausformuliert.<br />

In neueren Veröffentlichungen (Corbin/Strauss 1988: 33 ff, 1992, Corbin 1994) wird es – wie im vorherigen<br />

Abschnitt erwähnt - als Verlaufskurven-Modell bzw. Verlaufskurvenbezugsrahmen beschrieben und auf<br />

die Pflege chronisch Kranker übertragen. Das Konzept der Verlaufskurve wurde erstmals 1968 von Glaser/Strauss<br />

(1968/2007) in ihrer Untersuchung ‚Time for Dying’ <strong>zur</strong> Beschreibung von Sterbeverläufen eingesetzt<br />

(s. Strauss et al. 1985: 8; Strauss 1985a, Strübing 2007). Seitdem wurde es auf verschiedene soziale Phänomene<br />

wie Schmerz, chronische Krankheiten, Biographien usw. angewandt. Es ging um das Verständnis und<br />

34 Auch Strauss (1982: 185ff, 1993: 214f) spricht von Grenzen und Grenzziehung im Zusammenhang mit sozialen<br />

Welten/Arenen. Grenzen sind für ihn nicht etwas Fixes oder Unveränderliches. Er weist vielmehr darauf hin, dass Grenzen<br />

in den diversen Arenen, wo Menschen als Angehörige derselben oder unterschiedlicher sozialer Welten aufeinandertreffen,<br />

von diesen immer wieder neu gesetzt und hergestellt werden. Hierbei kann es zu Grenzüberschreitungen und<br />

Grenzverzerrungen kommen. Die Grauzonen oder auch Schnittstellen von Grenzen sind beweglich und variabel. Strauss<br />

macht das Thema Grenzziehung nicht zu seinem Hauptanliegen, sondern er konzentriert sich auf die Untersuchung von<br />

Prozessen der Segmentierung/ Differenzierung, der Gestaltung von Schnittflächen, der Legitimation und auf Fragen der<br />

Glaubwürdigkeit (s. Strauss 1993: 215).<br />

35 Der Begriff der Verlaufskurve wird in neueren deutschsprachigen Arbeiten mit dem Begriff ‚Trajekt’ übersetzt (s. u.a.<br />

Corbin/Hildebrand/Schaeffer (2009) <strong>zur</strong> Geschichte dieses Konzepts im Kontext gesundheitswissenschaftlicher<br />

Fragenstellungen).<br />

36 Die Arbeiten von Strauss und MitarbeiterInnen sind insbesondere im Zusammenhang mit chronischen Erkrankungen und<br />

dem für die Pflege relevanten Konzept der (Krankheits-)Verlaufskurve in der Pflegewissenschaft rezipiert worden (s. Woog<br />

1992, Bernstein Hyman/Corbin 2001, Höhmann 2002, 2006, 2007, Hellige 2002, Lorenz-Krause/Uhländer-Masiak 2003,<br />

Gerwin/Lorenz-Krause 2005, Friesacher 2008, Schaeffer/ Moers 2008, Schaeffer 2009). Ausgangspunkt in all diesen Arbeiten<br />

ist die jeweils im Mittelpunkt stehende chronische Erkrankung und nicht das Pflegehandeln als solches. Einen etwas<br />

anderen Weg beschreitet Heiner Friesacher (2008: 150 – 163; 176ff). Er bezieht das Konzept der Verlaufskurve einmal auf<br />

die Intensivpflege, zum anderen auf die häusliche Pflege. Er beschreibt den idealtypischen Pflegeverlauf eines Intensivpatienten,<br />

vier verschiedene Arten von Pflegesituationen und unterschiedliche Dimensionen intensivpflegerischen Handelns. Im<br />

häuslichen Bereich wählt er ebenfalls das Konzept der Verlaufskurve, jetzt angelehnt an Corbin/Strauss 1988. Je nach Verlauf,<br />

Pflegesituationstyp und Patiententypologie unterscheidet sich das professionelle Pflegehandeln. Darüber hinaus sind die<br />

Arbeiten von Strauss, Strauss et al. in die bisherigen Veröffentlichungen der Autorin im Zusammenhang mit der Modifikation<br />

<strong>des</strong> RLT-Modells eingeflossen (s. insbesondere Mischo-Kelling 2001a).<br />

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