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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

Kind-Beziehung, d.h. in den sozialen Welten/Arenen der Familie entwickelt das Kind die Kompetenz, sich selbst<br />

und andere zu pflegen. Der Prozess <strong>des</strong> Aneignens, Aufrechterhaltens und der Adaptation dieser doppelten<br />

Kompetenz an veränderte Umstände ist an das Leben der Menschen gebunden. Er beginnt mit der Geburt und<br />

endet mit dem Tod. Er erstreckt sich in der Begrifflichkeit von Roper et al. über die gesamte Lebensspanne28 eines Menschen. Dieses Konzept kann mit den von Peplau, Roy und King benutzten Begriffen <strong>des</strong> Lebens und<br />

von Lebensprozessen in Beziehung gesetzt werden. Ganz allgemein ist das auf sich selbst wie auf andere Menschen<br />

bezogene Pflegehandeln ein Handeln in und über die Zeit, bei dem unterschiedliche Räume wahrgenommen,<br />

betreten und durchschritten werden. Das Pflegen als spezifisch menschliches Handlungsvermögen,<br />

das auf die aktive Auseinandersetzung <strong>des</strong> Menschen mit sich selbst, mit Anderen, mit den Dingen und der sozialen<br />

Umwelt im Sinne der Lebenserhaltung verweist, unterliegt während <strong>des</strong> gesamten Lebens einem Verlauf, in<br />

dem das aktive Aneignen, Aufrechterhalten, Verlernen, Modifizieren und Adaptieren dieser beiden grundlegenden<br />

Fähigkeiten/Kompetenzen stattfindet. Es wird durch die oben erwähnten vielfältigen pflegerischen Beziehungen<br />

sowie vom vorherrschenden Pflegeverständnis der daran beteiligten Personen als Mitglieder einer bestimmten<br />

Gesellschaft geformt und geprägt. Um die Bedeutung dieser menschlichen Arbeit besser in den Blick<br />

zu bekommen, soll im nächsten Abschnitt das Konzept der Verlaufskurve, das Herzstück der von Strauss (1993)<br />

ausformulierten pragmatistisch-interaktionistischen Theorie <strong>des</strong> Handelns für eine pragmatistischinteraktionistische<br />

Theorie <strong>des</strong> Pflegehandelns fruchtbar gemacht werden. Sie ist das Ergebnis seiner Interpretation<br />

und Weiterentwicklung <strong>des</strong> Handlungsschemas von Dewey und Mead auf der Basis empirischer Untersuchungen29<br />

(s. Kap.3.3.2). Corbin/Strauss (1992) haben das Konzept der Verlaufskurve weiterentwickelt, die damit<br />

zusammenhängenden Konzepte in einen Verlaufskurvenbezugsrahmen gefasst und sie im Rahmen ihres<br />

Pflegemodells für die Pflege chronisch kranker Menschen nutzbar gemacht. Im vorliegenden Kapitel gehe ich<br />

einen Schritt weiter, indem ich versuche, ausgehend vom Meadschen Handlungsbegriff das Konzept der Verlaufskurve<br />

und die damit korrespondierenden Konzepte wie Verlaufskurvenprojektion, Verlaufskurvenphasen,<br />

Verlaufskurvenschemata, Bedingungen/ Umstände, Handhabung bzw. das Management der Verlaufskurven, biographische<br />

Einflüsse und Einflüsse <strong>des</strong> täglichen Lebens, Arbeitstypen wie etwa biographische Arbeit, Gefühlsarbeit<br />

(s. auch Corbin/Strauss 1992, Corbin 1988) grundsätzlich auf das pflegerische Handeln und auf das<br />

gesamte Leben eines Menschen zu beziehen und weiter zu entfalten.<br />

Beide Formen <strong>des</strong> pflegerischen Handelns erfolgen im Laufe <strong>des</strong> von gesunden wie von kranken Phasen charakterisierten<br />

Lebens der Menschen in unterschiedlichen Beziehungen, Institutionen (Familie, Krankenhaus, Pflegeheim),<br />

Räumen (privat/öffentlich) und sozialen Welten/Arenen, die allesamt das Pflegehandeln beeinflussen.<br />

Das pflegerische Handeln als ‚going concern‘ und kooperatives Handeln ist höchst heterogen, variabel und vielfältig.<br />

Um diese Heterogenität zu fassen, werden hier zwei wichtige Konzepte eingeführt, das Konzept <strong>des</strong><br />

‚Grenzobjekts‘ (boundary object30 ) und das der ‚Grenzarbeit‘. Das Konzept der Verlaufskurve benutze ich in<br />

der Folge als ‚boundary object‘, das die Kooperation verschiedener Personen zu ermöglichen hilft. Bowker/Star<br />

(2000: 297) definieren Grenzobjekte als<br />

28 Die Lebensspanne setzt bei Roper et al. mit der Zeugung ein und endet beim Tod. Insofern mag – je nach eingenommener<br />

Perspektive (Fötus, schwangere Frau, werdende Eltern, Professionelle) -, die Rede vom aktiven Aneignen pflegerischer<br />

Kompetenzen fremd klingen.<br />

29 An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, dass die Orientierung <strong>des</strong> professionellen Handelns am Konzept der Verlaufskurve<br />

prinzipiell die Chance eröffnet, den Versorgungs- und Unterstützungsbedarf aus der Sicht <strong>des</strong> handelnden pflegebedürftigen<br />

und häufig chronisch kranken Menschen in seiner Vielschichtigkeit und seiner Bedingtheit von unterschiedlichsten<br />

Beziehungen zu erkennen und das Handeln aller an der Arbeit der Verlaufskurve beteiligten Personen besser aufeinander abzustimmen.<br />

Diese verschiedenen Menschen bilden eine interaktive Handlungsgemeinschaft und sind – wie Haller (2000: 22)<br />

formuliert – die Urheber der diversen Verlaufskurven.<br />

30 Nach Strübing (2005: 255) geht der Begriff ‚boundary object‘ (Grenzobjekt) auf Susan Star und James Griesemer (1989)<br />

<strong>zur</strong>ück. Diese haben vorgeschlagen, den Begriff auf Objekte zu beziehen, die in mehreren sozialen Welten zugleich<br />

beheimatet sind. Dass sich das Verlaufskurvenkonzept gut als gemeinsamer Bezugsrahmen für die Kooperation zwischen<br />

Medizin und Pflege eignet, habe ich erstmals 1996 in meinem Beitrag ‚Artikulation und Kommunikation im Prozess der<br />

Versorgung‘ im Lehrbuch ‚Krankheitslehre und Pflege‘ zum Ausdruck gebracht (s. Mischo-Kelling 1996).<br />

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