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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

Peplaus Einsichten können mit Blick auf die AL und das Konzept <strong>des</strong> ‚Abhängigkeits-Unabhängigkeits-<br />

Kontinuums‘ noch erweitert werden, wenn die in der Eltern-Kind-Beziehung bzw. in der Beziehung Pflegender/zu<br />

Pflegender zum Tragen kommenden Beziehungs- oder Verhaltensmuster daraufhin analysiert werden, inwieweit<br />

sie die Abhängigkeit von anderen fördern oder <strong>zur</strong> Selbststimulation und <strong>zur</strong> Befähigung in beiden Formen<br />

<strong>des</strong> Pflegehandelns anregen. Peplaus Arbeit legt nahe, dass ihr keine Beziehung mit einer autoritären Beherrschungsstruktur<br />

vorschwebte, sondern dass sie grundsätzlich auf eine partizipative Beziehungsstruktur setzte,<br />

die Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet und auf wechselseitigem Respekt und Anerkennung basiert.<br />

In allen pflegetheoretischen Ansätzen wird deutlich, dass der engere Kontext der Beziehung zwischen einer pflegenden<br />

Person und einem zu pflegenden Menschen durch den erweiterten, d.h. durch den institutionellen wie<br />

den gesellschaftlichen Kontext beeinflusst wird. Letzterer bildet sich im Mikrokosmos der jeweiligen Pflegebeziehung<br />

ab. In diesen Handlungsräumen oder auch Kontexten treffen unterschiedliche soziale Welten 25 aufeinander,<br />

repräsentieren sich die sozialen Lebensprozesse in den diversen Arenen, innerhalb derer das pflegerischen<br />

Handeln seine jeweilige Ausdrucksform findet und verhandelt wird. Auch wenn die jeweilige Beziehungsstruktur<br />

und der jeweilige Kontext den Möglichkeitsraum der handelnden Personen definieren, können der zu<br />

pflegende Mensch und die pflegende Person die Grenzen dieses Raums aufgrund der menschlichen Fähigkeit <strong>zur</strong><br />

Perspektivenübernahme und zum Mitfühlen im Rahmen der von ihnen zu leistenden Rekonstruktionsarbeit gegenseitig<br />

erweitern. Dieses dem Menschen eigene Potenzial kann sich in ‚festgestellten’ Beziehungsstrukturen<br />

und/oder ‚geschlossenen Bewusstheitskontexten26 (Glaser/Strauss 1965/2009) aber nur bedingt entfalten. Grundsätzlich<br />

ergibt sich, dass das, was unter möglichem Pflegehandeln verstanden wird, in unterschiedlichen Beziehungsstrukturen,<br />

Kontexten, sozialen Welten/Arenen erheblich variiert<br />

Hierin liegt ein erster grundlegender Ansatz <strong>zur</strong> Reformulierung <strong>des</strong> RLT-Modells, insofern die verschiedenen<br />

Konzepte <strong>des</strong> Modells nunmehr im Kontext von Beziehungen und sozialen Welten/Arenen27 gedeutet werden.<br />

Mit dem Konzept der sozialen Welten/Arenen lassen sich etwa die Konzepte Raum und Zeit, die King innerhalb<br />

<strong>des</strong> personalen Systems diskutiert, mit allen Systemebenen Kings verbinden oder, anders formuliert, mit der<br />

Mikro-, Meso- und Makroebene und deren Einfluss auf das Handeln. Zum anderen können damit die Interaktionsprozesse,<br />

die sich im Zusammenhang mit der Pflege ergeben, aus einer erweiterten Perspektive gedeutet werden.<br />

So können die diversen Prozesse beleuchtet werden, die <strong>zur</strong> Zielerreichung führen und die Fortsetzung <strong>des</strong><br />

pflegerischen Handlungsflusses ermöglichen, aber auch jene, die diese erschweren und behindern. In der Eltern-<br />

25 In einer Pflegebeziehung zwischen Fremden sind die sozialen Welten, denen ein zu pflegender Mensch angehören kann,<br />

nicht identisch mit den sozialen Welten <strong>des</strong> pflegenden Menschen. Dieser Umstand kann zu erheblichen<br />

Auseinandersetzungen, Missverständnissen etc. in Bezug auf den pflegerischen Anlass und das weitere Vorgehen führen.<br />

Unter Bezugnahme auf Strauss‘ (1993: 225ff) Vorstellungen zu sozialen Welten/Arenen ist in diesem Fall die Pflegekraft-<br />

Patient-Beziehung die Arena, in der Fragen der Pflege <strong>zur</strong> Sprache kommen. Hier wird nicht nur gepflegt, sondern in dieser<br />

Arena erscheinen Pflegekraft und Patient/Bezugssystem, hier stellen sie sich öffentlich dar. (s. auch Soeffner 1991a+b: 9).<br />

26 Der Umstand, dass der Mensch lebenslang der Pflege bedarf und hierbei auf seinesgleichen angewiesen ist, ist mit der<br />

idealisierten Vorstellung eines autonomen Individuums schwer zu vereinbaren. Sie muss offenbar verdrängt und<br />

ausgeblendet werden, was zu einem veränderten Bewusstsein hinsichtlich der Voraussetzungen, Kompetenzen und<br />

Bedingungen der beiden Formen pflegerischen Handelns führt.<br />

27 Die Pflege erfolgt in einer Vielzahl höchst unterschiedlicher Beziehungen und sozialer Welten/Arenen. Dieses komplexe<br />

Beziehungsnetzwerk und die sich in den Arenen dabei kreuzenden sozialen Welten weisen über die engere Beziehung<br />

Pflegender/zu Pflegender hinaus. Dieser Sachverhalt hat Einfluss auf die Gestaltung und den Verlauf von Pflegebeziehungen.<br />

Wenn Angehörige mehrerer sozialer Welten bzw. Subwelten mit ihren ‚multiplen Perspektiven‘ (Mead) aufeinandertreffen,<br />

dann beinhaltet dies die Möglichkeit von Meinungsverschiedenheiten und Konflikten in Bezug auf anstehende Fragen oder<br />

deren Lösung, wobei es zu Einigungen von kurzer oder anhaltender Dauer kommen kann. Strauss nutzt den Arena-Begriff<br />

bildlich (figurativ) und in einer mehrdeutigen Weise, in dem er diesen Begriff sowohl symbolisch-räumlich als auch in einem<br />

zeitlich-prozesshaften Sinn verwendet, wenn er auf die Interaktionen in den Arenen verweist. Handeln in Arenen verweist auf<br />

Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die einzuschlagende Handlungsrichtung. Im Kern geht es um die Verständigung<br />

auf Grundsätze/Verfahrungsweisen (policies), wie das <strong>zur</strong> Disposition stehende Handeln bzw. der unterbrochene<br />

Handlungsfluss fortgesetzt werden können (s. Strauss 1993: 227). Nach Strübing (2007: 91) verweist der Begriff der Arena<br />

auf einen diskursiven Vermittlungsmodus in und zwischen verschiedenen sozialen Welten. Soziale Welten stehen für den<br />

Zusammenhalt <strong>des</strong> Gleichgerichteten, Arenen für den Austausch zwischen Divergentem“ (Strübing 2007: 97).<br />

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