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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

Gleichgültigkeit, Unachtsamkeit bis hin zu totaler Ablehnung zeigt (s. hierzu Kap. 3.4.4, Oevermann 2004,<br />

Raven 2009a, 2009b). Der intime Charakter <strong>des</strong> pflegerischen Handelns berührt nicht nur die diversen ‚Me’ und<br />

die sozial zugewiesenen Identitäten <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen, sondern mehr oder weniger auch seine personale<br />

und körperliche Integrität22 . Dieser intime, bildlich gesprochen hautnahe, d.h. die Haut berührende und ‚unter<br />

die Haut gehende‘, den Menschen im Kern berührende Charakter <strong>des</strong> pflegerischen Handelns ist zugleich<br />

Quelle wie Angriffspunkt wechselseitiger Anerkennung oder Verletzung. Die Gefahr für letztere ist besonders<br />

dann gegeben, wenn das Selbst, das Selbstkonzept und/oder das Körperbild der zu pflegenden Person aufgrund<br />

einer Erkrankung Erschütterungen ausgesetzt sind. Aber nicht nur die zu pflegende Person wird beim Pflegen<br />

berührt, auch die pflegende Person selbst, da sie in der Beziehung erfährt, wozu sie imstande ist (Machtausüben,<br />

Manipulieren, Sich-Unterordnen, Beherrschen, Bewirken, Befähigen, Fördern, Vernichten). Inwieweit der pflegenden<br />

Person ihr pflegerisches Leistungsvermögen in einer bestimmten Pflegebeziehung und in Bezug auf die<br />

allgemeine und pflegerische Handlungskompetenz <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen bewusst ist, ist eine weitere<br />

Frage. Wichtig ist, dass der Mensch über Andere, d.h. in einer Selbst-Andere-Beziehung lernt, wie er sich pflegen<br />

kann, was eine gute Pflege ist, was Wohlbefinden etc. bedeutet und welcher Kompetenzen er für seine eigene<br />

Pflege und die anderer Menschen bedarf. Da pflegerisches Handeln immer mit Folgen oder Konsequenzen<br />

verbunden ist, kommt mit Peplau dem, was in einer pflegerischen Beziehung gleich welcher Art passiert, eine<br />

maßgebliche Rolle zu. Darüber hinaus hat die Form, in der das pflegerische Handeln stattfindet, für das Erlernen<br />

und Aneignen pflegerischer Kompetenzen eine eigene Bedeutung. Sie bildet den strukturellen Rahmen dieser<br />

Beziehung und sie konstituiert zugleich den sozialen, kulturellen, symbolischen und personalen Möglichkeitsraum,<br />

d.h. den Kontext23 , innerhalb <strong>des</strong>sen der in dieser Beziehung im Mittelpunkt stehende Anlass und<br />

Gegenstand (der eigene Körper, Aspekte <strong>des</strong> Selbst, Gefühle etc.), sowie Umfang und Art der Pflege und das anzustrebende<br />

Ziel <strong>des</strong> pflegerischen Handelns verhandelt werden. An dieser Stelle kann das Konzept der beeinflussenden<br />

Faktoren <strong>des</strong> RLT-Modells aufgegriffen und auf die Beziehungsstrukturen der beiden Formen <strong>des</strong><br />

pflegerischen Handelns bezogen werden. Es liegt auf der Hand, dass pflegerisches Handeln im gesunden Zustand<br />

auf andere Dinge gerichtet ist als beim Vorliegen von Krankheit. Darüber hinaus können weitere Umstände<br />

wie das häusliche Umfeld, eine fremde Umgebung, das soziale Klima oder kulturelle Unterschiede etc. Einfluss<br />

auf den Verlauf der Pflegebeziehung und auf das pflegerische Handeln haben.<br />

Hildegard Peplau hat sich mit der Struktur der Pflegekraft-Patient-Beziehung, mit dem Verlauf dieser Beziehung,<br />

den in ihr zum Tragen kommenden Dynamiken und den dabei einzunehmenden Funktionen/Rollen von<br />

Pflegekraft und zu pflegendem Menschen befasst. Mit Blick auf diese Beziehung und das, was darin geschieht,<br />

hat sie auf vier, von jedem Menschen zu erlernende und zu bewältigende psychologischen Aufgaben hingewiesen.<br />

Diese sind: 1. sich auf andere zu verlassen lernen, 2. die Befriedigung aufzuschieben lernen, 3. sich selbst zu<br />

identifizieren lernen und 4. die Fähigkeit <strong>zur</strong> Partizipation entwickeln. Weiter beschreibt sie, wie sich eine anfangs<br />

asymmetrische Beziehung im Verlauf der Beziehung in eine symmetrische verwandeln kann. Hierzu bedarf<br />

es jedoch der Kenntnis der Muster, nach denen Menschen unbewusst oder bewusst miteinander in Beziehung<br />

treten, und der Kenntnis, welche Funktion diese Muster für beide Parteien in der spezifischen Beziehung<br />

haben24 . Das von Peplau eingeführte Konzept der ‚Wechselseitigkeit‘ liefert wichtige Hinweise <strong>zur</strong> Beziehungsgestaltung<br />

und auf entsprechende Verhaltensmuster. Die Muster und ihre Funktion haben Auswirkungen auf das<br />

Handeln, auf den Verlauf der Beziehung und damit auf das Ergebnis. Sie bedingen das interpersonale Handeln.<br />

22 Dies ist das Thema vieler Untersuchungen über chronisch Kranke (s. bspw. hierzu die Arbeiten von Strauss et al. 1985,<br />

Corbin/Strauss 1988, Charmaz 1983, 1997, 1999a +b, 2000, Morse/Johnson 1991, Schaeffer 2009, Schaeffer/Moers 2011).<br />

23 In ihrer Untersuchung von Sterbeverlaufskurven haben Glaser/Strauss (1965/2009) auf vier unterschiedliche<br />

Bewusstheitskontexte hingewiesen: ein geschlossener Bewusstheitskontext, ein befürchteter /geargwöhnter<br />

Bewusstheitskontext, ein Bewusstheitskontext wechselseitiger Täuschungen und ein offener Bewusstheitskontext. Jeder<br />

Bewusstheitskontext ist durch verschiedene Interaktionsformen charakterisiert.<br />

24 An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die ‚mitfühlende’ Haltung im Rahmen von Beziehungen mit Menschen<br />

ausgebildet wird, mit denen man vertraut ist und sich verbunden fühlt.<br />

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