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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

Peplau, Roy und King haben diese Funktionen einer professionellen Pflegekraft in ihren Arbeiten im Kontext der<br />

Unterstützung und Erhaltung von Lebensprozessen sowie von Gesundheit mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung<br />

gedeutet. In dieser professionellen Beziehung sind analog <strong>zur</strong> Eltern-Kind-Beziehung der zu pflegende<br />

Mensch und die Pflegekraft funktional und strukturell aufeinander bezogen. Bei der Übertragung der Eltern-<br />

Kind-Beziehung auf die professionelle Pflege geht es um die Übertragung der Struktur und Funktionsweise dieser<br />

Beziehung. Die zwischen Kind und Eltern strukturell bestehende wechselseitige Abhängigkeit/Interdependenz<br />

zeichnet auch die Beziehung zwischen einer Pflegekraft und dem zu pflegenden Menschen<br />

aus. Eine zentrale Funktion der Eltern-Kind-Beziehung besteht darin, das Kind in die Gesellschaft hinein zu sozialisieren<br />

und ihm in diesem Prozess grundlegende Kompetenzen oder in den Worten Peplaus ‚Lebenstechniken’<br />

zu vermitteln, zu denen auch die Fähigkeit <strong>zur</strong> auf sich selbst und auf andere Menschen bezogenen Pflege<br />

gehört. Hierbei handelt es sich im Kern um (re)generative und lebenserhaltende Kompetenzen. Beide Formen<br />

pflegerischen Handelns und die damit verbundenen jeweiligen Kompetenzen werden von den Pflegetheoretikerinnen<br />

stillschweigend vorausgesetzt. Ihre Vermittlung von Seiten der Eltern und ihre Aneignung durch das Kind<br />

sind jedoch die Voraussetzung dafür, die von ihnen beschriebenen Lebensprozesse aufrechterhalten zu können,<br />

die Gesundheit erst ermöglichen. Die Kenntnis der Genese und der Bedingungen der Aneignung, Aufrechterhaltung<br />

und Modifikation dieser Kompetenz in beiden Formen <strong>des</strong> Pflegehandelns in menschlichen Beziehungen<br />

ist jedoch ebenso wichtig wie Kenntnisse darüber, welche Beziehungen zwischen diesen Kompetenzen<br />

und den Lebens- und Krankheitsprozessen bestehen. Der in den referierten pflegetheoretischen Ansätzen eingenommene<br />

Blick auf die Pflege muss hier insofern erweitert werden, als das auf sich selbst und auf andere Menschen<br />

bezogene Pflegehandeln als Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Lebensprozesse und damit von<br />

Gesundheit bestimmt wird. Ausgangspunkt und wichtigster Ort <strong>zur</strong> Vermittlung der für beide Formen <strong>des</strong> Pflegehandelns<br />

erforderlichen Fähigkeiten/Kompetenzen ist die Eltern-Kind-Beziehung, d.h. der familiäre Kontext.<br />

Vermittels der elterlichen Kompetenz <strong>zur</strong> Pflege eines anderen Menschen macht das Kind wichtige Erfahrungen,<br />

die sein Verhältnis oder seine Beziehung zu sich selbst und zu seinem Körper sowie zu anderen Menschen nachhaltig<br />

prägen.<br />

An dieser Stelle soll der in Kap. 3 entwickelte Gedanke, wonach Pflege im Kern eine fortwährende Arbeit am<br />

Selbst, am Selbstkonzept und Körperbild ist, weiter ausgeführt werden. Für die Arbeit am Selbst vermittels <strong>des</strong><br />

pflegerischen Handelns ist wichtig, dass das Selbst im Meadschen Verständnis nicht auf eine Persönlichkeitsstruktur<br />

abhebt, sondern auf eine Struktur der Selbstbeziehung. Hierbei handelt es sich eine prozessuale Struktur,<br />

in der das ‚I’ und das ‚Me’ (das ursprüngliche und das gewordene Ich) in einem kontinuierlichen Dialog stehen.<br />

Die vom Menschen zu leistende Arbeit besteht darin, seinen Bezug/seine Beziehungen zu unterschiedlichen<br />

Menschen, Dingen oder Objekten der symbolischen oder natürlichen Umwelt in den verschiedenen sozialen Situationen<br />

zu einem einheitlichen Ganzen, d.h. zu einem Selbst zu synthetisieren. Diese fortwährende Strukturierungsleistung<br />

ist für die Handlungsfähigkeit <strong>des</strong> Menschen essentiell (s. auch Kap. 3.3). In solchen sozialen Beziehungen,<br />

deren primärer Anlass die Pflege eines Menschen ist, erlebt und erfährt der zu pflegende Mensch an<br />

seinem Körper und an seiner Person, wie auf seine menschlichen Erfordernisse, wie auf ihn als Mensch, d.h. auf<br />

seine Handlungserfordernisse und -kompetenzen eingegangen wird. Er lernt über Andere, d.h. über die pflegenden<br />

Personen, wie er auf seine unterschiedlichen Erfordernisse selbst eingehen kann, was akzeptiert wird und<br />

was nicht. Er erfährt, dass durch das pflegerische Handeln sein Selbst, seine Kompetenzen, seine im Mittelpunkt<br />

stehenden ‚Me‘ materiell/körperlich, emotional und sozial bestätigt oder negiert werden. Hierbei kann das Selbst<br />

insgesamt positiv bestärkt werden. Es kann aber auch verletzt und beeinträchtigt werden, wenn die ‚mitfühlende<br />

Haltung‘ der Sympathie in ihr Gegenteil, d.h. in Antipathie umschlägt21 , die sich in Umgangsformen wie<br />

21 In Bezug auf die Pflegekraft-Patient-Beziehung beschreibt Sigridur Halldorsdottir (2008:650) fünf verschiedene<br />

Umgangsformen: 1.das Leben ermöglichen (biogenic), 2. das Leben erhalten (bioactive), 3. dem Leben gegenüber neutral<br />

sein (biopassiv), 4. das Leben be-/einschränken (biostatic), das Leben zerstören (biocidic). Es liegt auf der Hand, dass je<br />

nachdem, welche dieser Umgangsformen das Geschehen in der Pflegebeziehung prägen, sich die Erfahrungen und die<br />

Ergebnisse unterscheiden.<br />

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