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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

‚Vertrautheit‘ miteinander weder gegeben, noch stellen sie sich automatisch her. Das in der Meadschen Metapher<br />

der Gebärmutter bildlich verkörperte pflegerische Umfeld der Eltern-Kind-Beziehung kann auf eine Beziehung<br />

zwischen Fremden und deren institutionellen Rahmen nicht ohne weiteres transferiert werden. Statt<strong>des</strong>sen<br />

muss ein solches, dem familiären verwandtes Umfeld in jeder neuen Beziehung zwischen einem professionell<br />

Pflegenden und einem zu pflegendem Menschen immer wieder aktiv hergestellt werden. Das aktive Herstellen-<br />

Können eines solchen Umfel<strong>des</strong> unter Fremden und wie im Fall <strong>des</strong> Krankenhauses in einer fremden Umgebung<br />

bedeutet ein Arbeiten, das professionell erlernt werden muss. Hierbei kommen die von Peplau beschriebene<br />

Funktion <strong>des</strong> Selbst als Anti-Angst-System und damit die mit ihm verbundenen Erfahrungsformen der Spannungen<br />

und Energietransformation zum Tragen (s. auch Pkt. 8.3.1). Mit anderen Worten, die ‚mitfühlende‘ Haltung<br />

(der Pflege) erfordert wie die Fähigkeit <strong>zur</strong> Perspektivenübernahme mehr, als ein bloßes sich an die Stelle <strong>des</strong><br />

Anderen Setzen oder ein sich mit ihm Identifizieren. Den Ausführungen zu dieser Fähigkeit in Kap. 3 kann entnommen<br />

werden, dass es sich hier um eine äußerst komplexe Fähigkeit handelt, deren Entwicklung höchst unterschiedliche<br />

Qualitäten annehmen und Dimensionen aufweisen kann und die aus unterschiedlichen Standpunkten<br />

heraus erfolgen kann. Es geht um mehr als um Identifikation. Letztere beinhaltet nach Mead, dass Unterschiede<br />

beseitigt werden, was bei einer emotionalen Identifikation mit einem anderen Menschen der Fall ist18 . Intelligentes<br />

Mitfühlen hingegen erfordert das Anerkennen von Unterschieden19 . Dies setzt die Fähigkeit <strong>zur</strong> Grenzziehung<br />

voraus, <strong>zur</strong> Trennung zwischen sich selbst und dem Anderen. Für die professionelle Pflege geht es im<br />

ersten Schritt um die Identifikation der Kompetenz <strong>des</strong> zu pflegenden Menschen hinsichtlich der auf sich selbst<br />

und auf andere Menschen bezogenen Pflege und <strong>des</strong> vorliegenden Handlungsproblems, in den Worten Roys um<br />

die Identifikation <strong>des</strong> fokalen Stimulus, in denen von Mead um die Identifikation <strong>des</strong> Objekts <strong>des</strong> pflegerischen<br />

Handelns. Im zweiten Schritt geht es sodann um die Anerkennung der Unterschiede, die zwischen der doppelten<br />

Kompetenz der zu pflegenden Person und der doppelten Kompetenz der pflegenden Person bestehen. Gegenstand<br />

der in einer Pflegebeziehung zu leistenden Arbeit ist der ins Stocken geratene Handlungsfluss der selbstbezogenen<br />

und/oder auf andere Menschen bezogenen Pflege und/oder der ins Stocken geratene Handlungsfluss der<br />

Menschen, die den zu pflegenden Menschen pflegen (sein pflegerisches Bezugssystem). Die Notwendigkeit, den<br />

zu Pflegenden in Bezug auf seine auf sich selbst bezogene Pflege20 bzw. in seiner Fähigkeit <strong>zur</strong> Pflege anderer<br />

zu unterstützen, ist in diesem ‚Stocken‘ zu suchen. Es gilt, das situationsbezogene konkrete Ausmaß <strong>des</strong> Zusammenbruchs<br />

der Gewohnheiten in einer bzw. beiden Formen <strong>des</strong> Pflegehandelns <strong>des</strong> zu Pflegenden zu identifizieren<br />

und in Bezug darauf, zu welchen Objekten die Gewohnheiten ausgebildet worden sind. Erst auf dieser<br />

Basis kann - wenn der zu pflegende Mensch dazu nicht imstande ist -, die Art der konkreten ‚Unterstützung‘ <strong>des</strong><br />

zu Pflegenden durch einen Anderen bestimmt werden, damit der unterbrochene Handlungsfluss fortgesetzt werden<br />

kann. Für die Entwicklung der auf sich selbst und auf andere Menschen bezogenen pflegerischen Kompetenzen<br />

der pflegenden Person ist es wichtig, beide Kompetenzen im Kontext der spezifischen Pflegebeziehungen<br />

zu reflektieren, da diese, wie Peplau herausgestellt hat, das Geschehen in einer pflegerischen Beziehung beeinflussen.<br />

Wie erwähnt, kann das in der Eltern-Kind-Beziehung zum Tragen kommende elterliche Pflegehandeln<br />

auch andere institutionelle Formen annehmen, etwa die Form der Beziehung zwischen einer professionellen<br />

Pflegekraft und einem zu pflegenden Menschen. So wie Eltern bestimmte Funktionen gegenüber dem Kind<br />

wahrnehmen, nimmt die Pflegekraft bestimmte Funktionen gegenüber dem zu pflegenden Menschen wahr.<br />

18 Hier kann es zu einer Verschmelzung kommen, die der geforderten kreativen Problemlösung geradezu im Weg steht.<br />

Emma Engdahl (2005: 57) beschreibt anhand <strong>des</strong> Meadschen Handlungsmodells drei verschiedene Formen <strong>des</strong> menschlichen<br />

Austauschs mit der Umwelt, die für die Herausbildung eines Selbst und emotionalen Selbst wichtig sind und mit dem Erwerb<br />

der Fähigkeit <strong>zur</strong> Perspektivenübernahme einhergehen: 1) funktionale Identifikation, 2) Übernahme der Haltung in Bezug auf<br />

ein Ding/Sache/Gegenstand [thing] (in Bezug auf sich selbst) und 3) Übernahme der Haltung von Anderen (in Bezug auf sich<br />

selbst). Die erste Form ist die Basis auf der sich die beiden anderen Formen infolge <strong>des</strong> gestörten Handlungsflusses erst<br />

herausbilden.<br />

19 Meads Verständnis von Mitfühlen basiert auf seinem Demokratieverständnis. Nur vor diesem Hintergrund wird<br />

nachvollziehbar, was er unter einer ‚sympathetic relationship’ versteht.<br />

20 Bei der Konzentration auf die auf sich selbst bezogene Pflege eines zu pflegenden Menschen gerät <strong>des</strong>sen Fähigkeit,<br />

andere Menschen zu pflegen, in der Regel aus dem Blick.<br />

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