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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 8<br />

dere bestimmte Dinge wie gehen oder eine Tasse halten nicht alleine leisten kann, dass er Schmerzen empfindet<br />

etc., oder dass er stolz auf bestimmte Leistungen ist wie etwa das Kleinkind, wenn es alleine auf dem Topf sitzt<br />

und etwas produziert). Der kooperative Charakter <strong>des</strong> Mitfühlens markiert laut Mead (MSS 299f; GIG 347f)<br />

zugleich auch <strong>des</strong>sen Grenze. Um dem Mitfühlen einem Anderen gegenüber Ausdruck verleihen zu können, ist<br />

die mitfühlende Person auf eine Antwort <strong>des</strong> Anderen angewiesen. Ohne diese Antwort ist ein aktives Mitfühlen<br />

nicht möglich. Um über die zuerst genannte Form <strong>des</strong> Mitfühlens im Sinne der Bereitschaft, einem Anderen<br />

zu helfen, hinaus zu gelangen, muss die pflegende Person erkennen, worauf sie antworten soll. Sie muss zu einer<br />

Vorstellung <strong>des</strong>sen gelangen, was den Handlungsfluss <strong>des</strong> Anderen hemmt und wie sie den Anderen durch<br />

ihr pflegerisches Handeln bei der Wiederaufnahme <strong>des</strong> unterbrochenen Handlungsflusses unterstützen kann. Da<br />

das Objekt <strong>des</strong> pflegerischen Handelns, auf das sich sowohl die pflegende Person wie der zu pflegende Mensch<br />

beziehen, nicht einfach da ist, muss es im Handeln von beiden aktiv hergestellt werden. Dies geschieht in der der<br />

zweiten Phase <strong>des</strong> Meadschen Handlungsmodells, in der Wahrnehmung. In dieser Phase wird die problematische<br />

Situation definiert und das Objekt <strong>des</strong> pflegerischen Handelns bestimmt. Erst diese Bestimmung erlaubt, die<br />

unterbrochene Handlungslinie wieder aufzunehmen. Es handelt es sich dabei um einen interpretativen Vorgang,<br />

bei dem Metaphern (bildliche Vorstellungen), Ideen, Vorstellungen, Begriffe, soziale Objekte und Erfahrungen<br />

zentrale Rollen spielen. Diese sind das Material mittels <strong>des</strong>sen das angestrebte Objekt <strong>des</strong> pflegerischen Handelns<br />

zwischen den involvierten Personen konstruiert wird. In der nächsten Handlungsphase, der Manipulation,<br />

kann das Objekt aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden, bzw. man kann sich von unterschiedlichen<br />

Standpunkten auf es und auf seine Bedeutung beziehen, die in der Handlungsbereitschaft besteht, und den<br />

angestrebten Handlungsverlauf ermitteln. Grundsätzlich zwingt ein unterbrochener Handlungsfluss den Menschen<br />

<strong>zur</strong> Anpassung an die neue Situation und <strong>zur</strong> Bestimmung <strong>des</strong> Objekts, in Bezug auf das er handelt. Erfolgt<br />

die Neuausrichtung der Handlungslinie bewusst, so wird es möglich, das Objekt <strong>des</strong> Pflegehandelns zu untersuchen,<br />

über es nachzudenken und einen Plan zu entwickeln, wie in Bezug auf es zu handeln sei (s. Blumer<br />

1966: 539). Die Basis für die Anfänge dieser zweiten Form <strong>des</strong> Mitfühlens wird wiederum innerhalb der Struktur<br />

der Eltern-Kind-Beziehung gelegt.<br />

Übertragen auf das pflegerische Handeln in seinen verschiedenen Varianten bedeutet dies, dass die ‚mitfühlende<br />

Haltung16 , die für die zweite Form der Sympathie bestimmende ist. Zur Abgrenzung von der ersten Form von<br />

Sympathie wird diese Form im Weiteren als ‚intelligentes Mitfühlen‘ bezeichnet. Diese ist für beide Formen<br />

pflegerischen Handelns wichtig. Sie steht nicht einfach <strong>zur</strong> Verfügung, sondern muss im wahrsten Sinne <strong>des</strong><br />

Wortes zuerst entwickelt, aktiv angeeignet und kultiviert werden. Dies gilt erst recht, wenn die im familiären<br />

Bereich entwickelten Pflegekompetenzen in den öffentlichen Raum und auf Institutionen übertragen und in einer<br />

Beziehung zwischen Fremden17 angewandt werden. In dieser Beziehung sind gewisse Bedingungen der Eltern-<br />

Kind-Beziehung wie ‚gefühlsmäßige Bande‘ (etwa in Form von Vertrauen, Sicherheitsempfinden) oder eine<br />

oder anders ausgedrückt mit der Vermittlung von elementaren Kompetenzen zu tun. Erfahrungsbildung beinhaltet<br />

Lernprozesse.<br />

16 Alle Eltern benötigen eine gewisse Zeit, bis sie die vielfältigen Äußerungen ihres Kin<strong>des</strong> lesen und richtig deuten können,<br />

und umgekehrt benötigt das Kind seinerseits Zeit für die richtige Interpretation der von den Eltern an es gerichteten Gesten<br />

und Zeichen. Eltern wie Kind müssen sich kennen lernen und aneinander gewöhnen. Dieser Gedanke klingt in der in Kap. 3<br />

dargestellten Tabelle 3.1 bei der Gruppe von Impulsen an, wo von der Anpassung <strong>des</strong> kindlichen Körpers an die elterliche<br />

Vorsorge die Rede ist. Angelehnt an die von Mead benutzte Metapher der Gebärmutter, wonach die Eltern analog der Gebärmutter<br />

für das Kind die besten Möglichkeiten zu seiner Entfaltung bereit halten sollen, würde eine ‚entwickelte Fähigkeit<br />

<strong>des</strong> Mitfühlens’ eine Orientierung an der situationsspezifischen Unterstützung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> bei der selbstbezogenen, später bei<br />

der auf andere Menschen bezogenen Fähigkeit beinhalten und dabei die Möglichkeiten <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> und die Bedingungen der<br />

jeweiligen Situation berücksichtigen.<br />

17 Auch wenn es gewisse Ähnlichkeiten bezüglich Struktur und Funktion zwischen den Beziehungen gibt, unterscheidet sich<br />

die Eltern-Kind-Beziehung von der Pflegekraft-Patient-Beziehung dadurch, dass es sich bei ersterer um eine diffuse<br />

Sozialbeziehung handelt und bei letzterer um eine spezifische, rollenförmige Sozialbeziehung. Als ein entscheiden<strong>des</strong><br />

Merkmal der ersten Beziehung erachtet Oevermann (2004: 175f) die Nicht-Substituierbarkeit aufgrund folgender vier<br />

Strukturbedingungen: die konstitutive Körperbasis (man ist das Kind von diesen Eltern), die prinzipielle Unkündbarkeit (man<br />

bleibt lebenslang das Kind dieser Eltern), eine nicht formalisierbare Form der bedingungslosen Vertrauensbildung sowie eine<br />

generalisierte Affektbindung (s. hierzu auch Raven 2009a: 144).<br />

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