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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 1<br />

vermittelt werden. Das Bild ändert sich auf der Ebene der Graduate- und Promotionsstudiengänge. Fawcett<br />

(2006: 275) 42 bemängelt, dass Pflegende sich im Studium statt auf Pflege<strong>theorie</strong>n nach wie vor stark auf das<br />

Wissen anderer Disziplinen stützen, d.h. auf medizinisches Wissen und auf bruchstückhaftes Wissen der Psychologie<br />

und anderer Humanwissenschaften. Eine Folge sei, dass Pflegende sich schwer tun, anderen gegenüber zu<br />

artikulieren was Pflege ist. Dieses wiederum führe dazu, dass sie sich unsichtbar und unterbewertet fühlen. Auch<br />

bei der Theorieentwicklung stütze sich die Pflege stark auf Theorien anderer Disziplinen. Es stelle sich die Frage,<br />

warum die Pflege das Pflegewissen ignoriert. Eine ähnlich lautende Kritik äußert Peggy Chinn (2007: 95),<br />

wonach sich viele Undergraduate-Programme in der Pflege und auch Programme auf der Masterebene in ihrer<br />

inhaltlichen Ausrichtungen mehr an medizinischen Inhalten zu orientieren scheinen. Weiter könne bei den Masterprogrammen<br />

eine Tendenz beobachtet werden, Inhalte in Bezug auf Pflege<strong>theorie</strong>n und Pflegeforschung aus<br />

dem Programm zu streichen. Bezogen auf die Praxis behauptet Birk (2007: 144), dass pflegetheoretische Konzepte<br />

vielen Pflegekräften im Krankenhaus eher unbekannt sind. Sie führt diese Situation auf unterschiedliche<br />

Bildungsniveaus <strong>zur</strong>ück. So haben ca. 60 % der Pflegekräfte im Krankenhaus einen ‚associate degree’ und damit<br />

eine Bildung genossen, die primär auf die Vermittlung von technischen Fertigkeiten statt auf theoretische Konzepte<br />

ausgerichtet ist. In eine ähnliche Richtung argumentieren Reed/Lawrence (2008: 423f). Sie sprechen von<br />

der Marginalisierung <strong>des</strong> Pflegewissens. Dieses führen sie auf die Bildungsstrukturen in den USA und auf die<br />

Praxissettings <strong>zur</strong>ück, die einer aktiven Nutzung <strong>des</strong> vorhandenen Wissens und einer aktiven Produktion von<br />

Wissen nicht immer förderlich seien. Diese Situation führe in der Folge zum Phänomen <strong>des</strong> ‚Black-boxing‘ <strong>des</strong><br />

Wissens der Pflegekräfte. Ihr Wissen wird unsichtbar gemacht, un<strong>zur</strong>eichend verstanden und nicht wertgeschätzt.<br />

Paradoxerweise gilt dieses unsichtbare Wissen als glaubwürdig, das Verständnis <strong>des</strong>selben oder <strong>des</strong>sen<br />

Ersatz jedoch als arbeitsintensiv (Reed/Lawrence 2008: 424). Pflegerisches Wissen wird zu etwas Selbstverständlichem,<br />

das nicht eigens entdeckt und entwickelt werden muss43 . Auch Janet Graham (2006) konstatiert,<br />

dass das Wort ‚Pflege<strong>theorie</strong>’ in der Pflegepraxis unter Pflegekräften nach wie vor ein eher selten zu hören<strong>des</strong><br />

Wort ist. Sie glaubt, dass dies damit zusammenhängt, dass die Vermittlung von Pflege<strong>theorie</strong>n und die Vermittlung<br />

pflegerischer Kompetenzen von unterschiedlichen Personenkreisen wahrgenommen werden. Eine Folge ist,<br />

dass das in den Pflege<strong>theorie</strong>n steckende Potenzial von den Pflegekräften nicht erkannt wird. Weiter wird verkannt,<br />

dass es beim Transfer pflegetheoretischer Ansätze um den Erwerb und um die Aneignung neuen Wissens<br />

und um das Verlernen alter Modelle geht (s. Wimpenny 2002, Eraut 2003). Geraldine Macdonald (2002) spricht<br />

von der heute bestehenden Notwendigkeit <strong>des</strong> beständigen ‚unlearning‘ (Verlernens). Es liegt auf der Hand, dass<br />

dieser Prozess maßgeblich das berufliche Selbst und Selbstkonzept tangiert. Damit Pflege<strong>theorie</strong>n als Instrumente<br />

der Wissensentwicklung und <strong>zur</strong> aktiven Gestaltung der Pflegepraxis begriffen werden können, bedarf es eines<br />

erweiterten Theorieverständnisses, in dem Theorie und Praxis nicht als Gegensätze, sondern als sich wechselseitig<br />

durchdringende Phänomene begriffen werden. Ein solches Theorieverständnis wird von den Vertreterinnen<br />

<strong>des</strong> ‚practice-based knowledge‘-Paradigma vertreten (s. Reed/Lawrence 2008: 425ff), das diverse Bezüge zum<br />

42 Fawcett (2005) greift Ideen von Martha E. Rogers, einer kanadischen Pflegewissenschaftlerin auf, wonach die ‚meaning<br />

perspectives’ vieler Pflegekräfte eher von einem medizinischen oder einem institutionellen Modell abgeleitet zu sein scheint<br />

als von einem pflegerischen. Wenn es darum geht, pflegetheoretische Ansätze in die Praxis einzuführen, erfordert dies nicht<br />

nur den Erwerb neuen Wissens, sondern eine grundlegende Transformation der bisherigen ‚meaning perspektive’. Diesen in<br />

mehreren Phasen ablaufenden Vorgang bezeichnet Rogers (1989: 113) in Anlehnung an Mezirow als ‚perspective<br />

transformation’. Diese Vorstellungen macht sich Fawcett (2005: 42ff) zunutze in dem von ihr mit Blick auf den Transfer<br />

pflegetheoretischer Ansätze entwickelten Conceptual-Theoretical-Empirical (C-T-E) Based Nursing System’. Hier verbindet<br />

sie das Wissenssystem der Pflege als wissenschaftlicher Disziplin mit der Pflegepraxis. Pflegetheoretische Ansätze stellen für<br />

Fawcett formale, explizite Repräsentationen eines ‚Images von Pflege’ dar anstelle eines impliziten ‚privaten Images von<br />

Pflege‘. Bei dem mittels der „Perspective Transformation’ gezielt angestrebten Wandels von einem individuellen impliziten<br />

Bezugsrahmen einzelner Pflegekräfte hin zu einem expliziten, offiziellen pflegetheoretischen Bezugsrahmen in einer<br />

Organisation werden neun Phasen durchlaufen: Stabilität, Dissonanz, Konfusion, Dissonanz, Verweilen in Unsicherheit,<br />

Durchdringung/Sättigung, Synthese, Lösung, Rekonzeptualisierung und Rückkehr <strong>zur</strong> Stabilität.<br />

43 Reed/Lawrence (2008: 426) behaupten, dass das 21. Jh. und postmoderne Perspektiven ein neues Denken in Bezug auf<br />

Theorien in Gang gesetzt haben. „Rigide Anwendung und Konservierung von Pflege<strong>theorie</strong>n haben die Wertschätzung von<br />

Pflege<strong>theorie</strong>n seitens der Pflegekräfte abgekühlt. Es geht weniger darum, dass Pflege<strong>theorie</strong>n zu abstrakt und zu schwer zu<br />

verstehen sind, sondern vielmehr darum, dass sie die Pflegepraxis und Kreativität einengen, wenn sie als eine unveränderbare<br />

Stimme der Autorität betrachtet werden“ (s. auch Kap. 9.4.1).<br />

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