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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 1<br />

tus quo und einer Vision bezüglich der erforderlichen Veränderungen, damit alle Menschen vollen Gebrauch von<br />

ihren Potenzialen machen können. Sie findet ihre Ausdrucksform im menschlichen Handeln und ist insofern mit<br />

der Praxis und den hier erforderlichen Veränderungen aufs engste verwoben. Auch von dieser Wissensform finden<br />

sich Spuren in der frühen Geschichte der Pflege. Ihr kommt für die Transformation der Pflegepraxis eine<br />

hohe Bedeutung zu.<br />

Bis weit in die 1970er Jahre ist die Theorieentwicklung in der Pflege stark vom logischen Empirismus beeinflusst<br />

(s. Silva/Rothbart 1984: 7ff). Dieses Wissenschaftsverständnis spiegelt sich in der Durchsetzung und Akzeptanz<br />

quantitativer Forschungsmethoden in der Pflegeforschung ebenso wider wie in der metatheoretischen<br />

Diskussion über Pflege<strong>theorie</strong>n, über Theorieentwicklung einschließlich der empirischen Überprüfung von Theorien34<br />

. Letztere Diskussion setzt nach dem Vorliegen erster Theorieentwürfe zeitgleich mit dem Erscheinen einer<br />

zweiten Generation von Theorieentwürfen in der Pflege ein (s. Silva/Rothbart (1984: 9). Das Übergewicht<br />

der metatheoretischen Bewegung in der theoretischen Fachdiskussion seit den 1970er Jahren mag dazu beigetragen<br />

haben, dass ein anderes Wissenschaftsverständnis, welches in der Tradition <strong>des</strong> amerikanischen Pragmatismus<br />

(s. Kap. 3.) und <strong>des</strong> symbolischen Interaktionismus steht, zunächst in den Hintergrund gedrängt worden ist.<br />

Auch dieses Wissenschaftsverständnis hat sich in der Pflege von Anfang an niedergeschlagen (s. die frühen Arbeiten<br />

der Yale School und die Arbeiten von Anselm Strauss und MitarbeiterInnen, die frühen Arbeiten von<br />

Jeanne Quint Benoliel 1977/199235 aus den 1960er Jahren, Corbin 2008).<br />

Die Rezeption der Arbeiten von Thomas Kuhn, insbesondere sein Buch ‚The Structure of Scientific Revolutions’<br />

sowie die Arbeiten von Larry Laudan und Stephen Toulmin führten Mitte der 1970er Jahre zu einer neuen Betrachtung<br />

der Wissensgenerierung und von Wissenschaftsdisziplinen. Im Mittelpunkt standen nicht mehr das<br />

Produkt von Wissenschaft, sondern der Prozess und die Revolution (s. Silva / Rothbart 1984: 9). In den 1990er<br />

Jahren zeichnete sich eine Öffnung der Pflegewissenschaft ab, indem die Erkenntnis um sich griff, dass die Wissensgenerierung<br />

innerhalb einer Disziplin von unterschiedlichen philosophischen und wissenschaftlichen Verständnissen<br />

aus erfolgen kann (s. z.B. Newmann/Sime/ Corcoran-Perry 1991: 2). Es kam erneut zu einer intensiven<br />

und kritischen Auseinandersetzung mit den in der metatheoretischen Diskussion als zentral erachteten Konzepten<br />

‚Mensch, Umwelt, Pflege und Gesundheit‘, die inzwischen als „zu restriktiv“ erachtet wurden (s. Thorne<br />

et al. 1998, George 2002: 4, Parker 2001:5f, Fawcett 2005). Sie wurden im Zuge der Offenheit für verschiedene<br />

wissenschaftliche Richtungen und methodologische Ansätze um weitere Konzepte ergänzt. Eines dieser zum<br />

‚metaparadigm‘ zählenden Konzepte ist das ‚caring’. Einige Autoren gehen soweit zu behaupten, dass das ‚caring’<br />

der Kern und zugleich das Wesen der Pflege sei (s. kritisch hierzu Morse et al. 1990, Bottorff 1991, Thorne<br />

et al. 1998, Stockdale/Warelow 2000, Cloyes 2002). Die Diskussion <strong>des</strong> Konzepts ‚caring’ 36 leitete eine erneute<br />

Positionsbestimmung in der Pflegewissenschaft ein. Hierbei ging es um die Klärung <strong>des</strong> Verhältnisses zwischen<br />

Disziplin und Wissenschaft und um die Klärung der Frage, ob die Pflegewissenschaft eine Grundlagenwissenschaft<br />

ist, eine angewandte, oder eine ‚practical science’, d.h. ob sie eine Handlungswissenschaft ist. Das Pendel<br />

34 Hardy wird von Silva/Rothbart (1984: 9) als eine der prononciertesten Vertreterinnen <strong>des</strong> logischen Empirismus<br />

betrachtet. Risjord (2010) untersucht die Folgen dieses Wissenschaftsverständnisses anhand der sich zwischen Theorie und<br />

Praxis auftuenden Kluft, die er als ‚relevance gap‘ bezeichnet.<br />

35 Jean Quint Benoliel (1977/1992: 623) beschreibt, wie ihre Karriere in der Forschung durch ihre Beobachtungen in der<br />

Pflege beeinflusst wurde. So löste die Beobachtung der Verhaltensweisen von Patienten nach einem den Körper verunstaltenden<br />

chirurgischen Eingriff Fragen bei ihr aus, ob Pflegekräfte wirklich Kenntnis über die emotionalen Erfordernisse von<br />

Menschen haben, die mit den Folgen eines solchen Eingriffs leben müssen, ungeachtet der in den 1970er Jahren in der Pflege<br />

vorherrschenden Rhetorik, dass es wichtig sei, auf die emotionalen Bedürfnisse der Patienten einzugehen.<br />

36 Siehe z.B. die Arbeiten von Benner 1984, Benner/Wrubel 1989; Benner/Tanner/Chesla 1996 oder die Arbeiten von<br />

Watson 1988, 2002, Locsin 2005).<br />

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