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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 1<br />

von James Dickhoff30 (seinerzeit Dozent der Philosophie an der Yale <strong>Universität</strong>), Patricia James (ebenfalls Dozentin<br />

für Philosophie an der Yale <strong>Universität</strong>) und Ernestine Wiedenbach (emeritierte Associate Professorin für<br />

Pflege, Yale University) hinsichtlich der Beschaffenheit von Theorien für die Pflege als einer praktischen bzw.<br />

handlungsorientierten Disziplin. Mit Blick auf die pflegerische Praxis schlugen sie die Entwicklung von Situationen<br />

erzeugenden Theorien im Sinne idealtypischer Handlungs<strong>theorie</strong>n31 vor (s. Dickhoff/James/Wiedenbach<br />

1968/1992 a, b, Risjord 2010). An diese Ideen knüpft insbesondere Afaf I. Meleis (2007) an.<br />

Für die in dieser Arbeit beabsichtigte handlungstheoretische Reformulierung <strong>des</strong> RLT-Modells ist ein weiterer<br />

Entwicklungsschritt in der Pflegewissenschaft von Bedeutung. Dieser wird durch Barbara Carpers (1978/1992)<br />

Artikel über vier grundlegende Wissensformen in der Pflege ausgelöst und ist mit dem allmählich einsetzenden<br />

Perspektivenwechsel von einer epistemologischen zu einer ontologischen Fragestellung verbunden (s. Silva/ Sorrell/<br />

Sorrell 1995: 11f). Die von Carper32 (1978/1992) ermittelten vier Wissensformen bzw. –muster in der Pflege<br />

bezeichnete sie entsprechend deren logischer Bedeutung als empirisches Wissen (die Wissenschaft von der<br />

Pflege), als ästhetisches Wissen (die Kunst der Pflege im Sinne einer formgebenden, handlungsleitenden Kategorie),<br />

als personales Wissen (das persönliche Erfahrungswissen, z.B. die Fähigkeit zum therapeutischen Gebrauch<br />

<strong>des</strong> Selbst) und als ethisches Wissen. Auch wenn keine der genannten Wissensformen die Pflege allein<br />

begründen kann, sind alle vier Wissensformen für die vorliegende Arbeit von Bedeutung. Chinn/Kramer (2008)<br />

bauen auf Carpers Wissensformen33 auf, indem sie diese um die für die Praxisentwicklung wichtige Wissensform<br />

<strong>des</strong> emanzipatorischen Wissens ergänzen. Diese Wissensform entsteht aus der kritischen Reflexion <strong>des</strong> Sta-<br />

30 Sowohl unter wissenschaftshistorischen als auch unter wissenschaftstheoretischen Gesichtspunkten wäre es interessant zu<br />

untersuchen, welchen Einfluss diese Artikelserie auf die Entwicklung der Pflegewissenschaft hatte. Eine solche<br />

Untersuchung steht meines Wissens noch aus. Sie ist notwendig, da der von Dickhoff/James/Wiedenbach vorgeschlagene<br />

Ansatz mit einem bestimmten Wissenschaftsverständnis, dem <strong>des</strong> logischen Empirismus, in Verbindung gebracht wird (s.<br />

Silva/Rothbart 1984: 7). Diese Zuordnung ist m. E. nicht richtig, folgt man der von James/Dickhoff (1968/1992: 109ff) selbst<br />

gegebenen Information über ihren theoretischen Hintergrund. Nach Silverstein (2003: 33) erzürnten die Äußerungen von<br />

Dickhoff/James die damaligen Pflegewissenschaftlerinnen, sie scheinen zugleich aber auch Denkanstöße gegeben zu haben.<br />

Eine interessante Sicht zu dieser Debatte liefert die Arbeit von Mark Risjord (2010), der als Philosoph seit 1999 im PhD<br />

Programm der Nell Hodgson Woodruff School of Nursing Wissenschaftsphilosophie und Theorieentwicklung lehrt und sich<br />

in der Folge den Entwicklungen in der Pflegewissenschaft aus einer wissenschaftstheoretischen Perspektive genähert hat.<br />

31 Dickhoff et al. (1968/1992) warnen ausdrücklich vor dem Missverständnis, dass Pflegewissenschaft lediglich angewandte<br />

Biologie, Psychologie etc. sei. Die in diesen Disziplinen entwickelten Theorien können Bausteine für das Gebäude einer<br />

Pflege<strong>theorie</strong> liefern. Die Aufgabe der Pflegewissenschaft besteht darin, diese auf intelligente Art und mit Blick auf pflegerische<br />

Aufgaben in Pflege<strong>theorie</strong>n zu integrieren. Nach Risford (2010. 16ff) waren die Vorstellungen von Dickhoff und James<br />

für die damalige Zeit geradezu revolutionär. Ihre Situationen erzeugenden Theorien beinhalteten in einer Zeit, in der Wissenschaft<br />

als ein wertfreies Unternehmen postuliert wurde, explizit eine Wertkomponente, insofern jene sich auf die Praxis der<br />

Pflege beziehen und ein Ziel der Pflege<strong>theorie</strong> im Ermöglichen von Veränderungen (change) besteht.<br />

32 Silva/Sorell/Sorell sehen einen zentralen Beitrag von Carpers Artikel darin, dass die vier Wissensformen vielen<br />

Pflegekräften halfen, sich aus einengenden Denkmustern zu befreien. Er erlaubte ihnen, ihre verlorene und latente Kreativität<br />

wertzuschätzen und zu behaupten. Der damit verbundene Perspektivenwechsel führte zu einem Abrücken von medizinischen<br />

und anderen theoretischen Perspektiven hin zu pflegerischen Perspektiven in ihrer Reichhaltigkeit und Vielfalt. Nach<br />

Silverstein (2003: 56) erweiterte Carper mit ihren vier Wissensformen die Idee von Dickhoff/James, die Praxis als<br />

Ausgangspunkt der Wissensentwicklung zu nehmen. […] Um die Kreativität (de Groot in Silverstein 2003: 59) in der Pflege<br />

entfalten zu können (wissenschaftliche Produktivität) muss auf Konformität im Bereich der wissenschaftlichen<br />

Untersuchungen verzichtet werden. Statt<strong>des</strong>sen sollte ein methodologischer Relativismus akzeptiert werden, und es sollte<br />

zum Individualismus in der Pflegeforschung <strong>zur</strong>ückgekehrt werden. Auf diese Weise könnte die Fähigkeit, Theorien auf allen<br />

Ebenen zu formulieren, gefördert werden.<br />

33 An die verschiedenen Wissensformen wird im Ansatz der Praxisentwicklung angeknüpft. Hier wird ganz allgemein<br />

zwischen einem propositionalem Wissen (posteriori [induktiv]; a priori [deduktiv]], das aus Theorien und Forschung<br />

generiert wird sowie einem persönlichen, aus Erfahrung abgeleiteten Wissen und einem, über professionelle Erfahrungen<br />

entstehenden professionellen Handwerkswissen, unterschieden (s. Higgs/Andresen 2001:10ff). Angie Titchen und Steven<br />

Ersser (2001: 36) kritisieren in Bezug auf die von ihnen gebrauchte Metapher <strong>des</strong> ‚professionellen Handwerkswissens‘ die<br />

von Carper beschriebenen Wissensformen/-muster, da diese Formen künstliche und starre Grenzen um das Wissen bilde und<br />

die praktische Erfahrung unterbewerte. Sie beschreiben mit Blick auf das professionelle Handwerkswissen acht<br />

erkenntnistheoretische Konzepte. Diese sind: praktisches Wissen, knowing-in-practice, erfahrungsbezogenes Wissen,<br />

ästhetisches Wissen, intuitives Wissen, ethische/moralisches Wissen, verkörpertes Wissen (embodied knowledge) und<br />

persönliches Wissen (Titchen/Ersser 2001: 37ff). Heiner Friesacher (2008: 199ff) greift in seiner Dissertation die Diskussion<br />

über die verschiedenen ‚Wissensmuster‘ in der Pflege auf und setzt sich kritisch mit dem ästhetischen Wissen auseinander<br />

und verweist hier auf eine Arbeit von LeVasseur (1999), die ihrerseits an John Dewey anknüpft.<br />

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