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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 5<br />

das, was sie lehrten66 (s. Peplau 1999/1966: 31). So bestand die Tendenz, dass sich Pflegekräfte mehr oder weniger<br />

an der Medizin orientierten. An anderer Stelle beschreibt Peplau, wie die in Kap. 4 erwähnte Mülleimer-<br />

Fahrstuhl-Theorie in der Praxis funktionierte. Den ‚benefit’ hatte der Arzt. Er konnte sich immer neuen Entwicklungen<br />

zuwenden, weil er das Routinemäßige an die Pflegekräfte weiterreichte. Der andere Nutznießer war der<br />

Krankenhausträger. Dadurch, dass er in der Pflege ‚billige bzw. unbezahlte Kräfte’ (Auszubildende) hatte, konnte<br />

er das eingesparte Geld für Investitionen in Medizintechnologie einsetzen. Der Zuwachs an Arbeit der Pflegekräfte<br />

wurde weder belohnt, noch brachte er Prestige. Dieses Verhaltensmuster der Ärzte und der Krankenhausträger<br />

wurde nur von wenigen Pflegekräften beklagt67 . Eine Wende in der Beziehung Pflegekraft-Arzt trat 1929<br />

mit der großen Depression ein. Es kam zu Veränderungen in der Pflege- und Medizinausbildung (s. auch Peplau<br />

1987b). In der klinischen Ausbildung ersetzte der in der Ausbildung befindliche Arzt immer mehr die Pflegeauszubildende.<br />

Jetzt war die Pflegekraft nicht mehr die rechte, sondern die linke Hand. Das Beziehungsmuster änderte<br />

sich von einem, das aus einer gegenseitigen Abhängigkeit bestand hin zu einem, in dem der Arzt die Pflegekraft<br />

kontrollierte. Die ins Krankenhaus verlagerte ‚Ersatzfamilie’ wandelte sich zu einem komplexen sozialen<br />

Netzwerk bestehend aus Statusbedürfnissen und konkurrierenden Interessen (Peplau 1999/1966: 33).<br />

Was die Pflege selbst betrifft, wurde der Blick auf das Verhältnis Medizin-Pflege in den 40er Jahren genauer.<br />

Einige Pflegekräfte vertraten immer stärker die Auffassung, dass die Pflege etwas von der Medizin Verschiedenes<br />

sei. Medizinische Anordnungen waren ein Teil der Pflegearbeit. Dies war der abhängige Teil. Die restliche<br />

Arbeit wurde von der Pflege definiert und von Pflegekräften praktiziert, darunter von einigen professionellen,<br />

d.h. akademisch gebildeten Pflegekräften. Im Zusammenhang mit der akademischen Ausbildung, die Anfang der<br />

1940er Jahre ganz langsam einsetzte, begannen die Pflegekräfte über die Autonomie der Pflegeprofession zu<br />

sprechen. Das Ende <strong>des</strong> Zweiten Weltkriegs brachte einen Wendepunkt für die Pflege, und damit auch einen<br />

weiteren Wendepunkt in der Pflegekraft-Arzt-Beziehung. Hier unterschied sich die Pflege in der Psychiatrie<br />

stark von der Pflege in einem Allgemeinen Krankenhaus. Nach Peplau (1999/66: 34) erfordern psychiatrische<br />

Krankheitsbilder seitens <strong>des</strong> Professionellen eine intellektuelle Kompetenz und überlegte Antworten auf die Patienten.<br />

Hier reichten technische Maßnahmen allein nicht aus. Hier musste das interpersonale Verhalten <strong>des</strong> Patienten<br />

aus der Krankheit abgeleitet werden, und hier musste man sich beharrlich auf die korrigierenden Antworten<br />

beziehen, um die latenten Fähigkeiten <strong>des</strong> Patienten zu entwickeln. Diese Vorstellung war den Ärzten damals<br />

genau so fremd wie den Pflegekräften, die gewohnt waren zu handeln und irgendetwas zu tun. Eine solche intellektuelle<br />

Herangehensweise war vielen aus der Unterschicht stammenden Pflegekräften fremd. So gesehen hatten<br />

sie keine Ausgangsbasis, um eine überlebensfähige und lebendige Pflegepraxis zu entwickeln. Insbesondere<br />

Pflegekräfte, die während <strong>des</strong> Krieges in der Armee waren, hatten hier die Erfahrung gemacht, dass sie unabhängig<br />

denken können mussten. Viele ergriffen nach dem Zweiten Weltkrieg die Chance zu studieren. Die akademische<br />

Ausbildung von Pflegekräften führte <strong>zur</strong> allmählichen Verdrängung der Ärzte als Lehrer. Weiter kam es bei<br />

einigen Pflegekräften zu einer Veränderung ihres Selbstbilds. Sie fingen an ‚zu denken’, wobei sie ‚die Bedürfnisse<br />

der Patienten’ als Ausgangspunkt nahmen. Dies war eine Vorstellung, die sehr verschieden von der eines<br />

66 Peplau betont, dass diese Situation auf die Struktur der Pflegeschulen <strong>zur</strong>ückzuführen ist, die bis 1929 bestanden. Bis dahin<br />

war das, was führende Pflegekräfte unter Pflege verstanden, von der Mehrheit der Pflegekräfte nicht wahrgenommen<br />

worden. Für die meisten bestand die Pflege darin, dem Arzt zu helfen. Dies muss auch vor dem Hintergrund <strong>des</strong> gesellschaftlichen<br />

Klimas gesehen werden, wonach den Frauen nur langsam gestattet wurde, ‚selbst zu denken’. Sie verweist auf die<br />

Herkunft der Pflegekräfte, die mehrheitlich aus niederen Schichten stammten oder aus Immigrantenfamilien; ihre Art zu denken<br />

und zu handeln war verschieden. Während die Kinder aus niederen Schichten mit dem nackten Leben klar kommen<br />

mussten, tendierten Kinder aus Mittelschichten eher dazu, in Standards zu denken, bzw. Situationen aus einer abstrakten<br />

Sicht zu durchdenken und auf der Basis von Prinzipen zu handeln. Erstere agierten mehr im Rahmen von rigiden, konkreten<br />

Regeln und waren gewohnt, den Gehorsam gegenüber Autoritäten unhinterfragt zu akzeptieren. Diese Erwartung, die den<br />

Mädchen aus diesen Schichten schon früh eingeimpft wurde, verband sich gut mit den Erwartungen und dem dominanten<br />

Klima der Pflegeschulen. Das Nightingale-Gelöbnis/Vermächtnis wurde wortwörtlich genommen.<br />

67 Laut einem 1966 veröffentlichten Artikel (s. Gelfand Malka 2007: 17) befanden sich damals nicht wenige Pflegekräfte mit<br />

dem beschriebenen System in voller Übereinstimmung und wollten es fortsetzen.<br />

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