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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 5<br />

den. Im Mittelpunkt dieser Beziehung stehen die pflegerischen Erfordernisse <strong>des</strong> Patienten, die in Beziehung zu<br />

den im Laufe der Sozialisation herausgebildeten Handlungsweisen und –mustern stehen und damit auch zu seinem<br />

Selbst-System. Die für den Patienten typischen Handlungsmuster drücken sich in den verschiedenen Aktivitäten<br />

<strong>des</strong> Lebens aus. Das Konzept der Aktivitäten <strong>des</strong> Lebens ist für das Verständnis dieser Handlungsmuster<br />

von außerordentlicher Bedeutung. Abstrakte Phänomene, wie Abhängigkeit oder Hilflosigkeit, können am Beispiel<br />

einzelner Aktivitäten ganz konkret in ihrer praktischen Wirkung für das Leben <strong>des</strong> Patienten nachvollzogen<br />

werden. Weiter ermöglicht das Konzept der AL, insbesondere deren Entwicklungsgeschichte nachzuvollziehen<br />

und zu klären, wie diese zu einem spezifischen Selbst geführt hat. Bei der Ausbildung spezifischer Handlungsmuster<br />

sind dem sich entwickelnden Selbst und Selbstkonzept in den verschiedenen Entwicklungsphasen Inputs<br />

beigefügt worden, zu denen in der Pflege neue Inputs hinzugefügt werden. Diese wirken in der Pflegesituation<br />

allesamt mehr oder weniger offen oder verdeckt. So sind die im Handeln der Pflegekraft mitgeteilten Beurteilungen<br />

der Handlungen <strong>des</strong> Patienten Teil der Basis für weitere Handlungen und Interaktionen. Peplau hat in ihrer<br />

Arbeit immer wieder aufgezeigt, dass sich die Pflege vor allem mit der Funktion <strong>des</strong> Selbst als Anti-Angst-<br />

System auseinandersetzen muss. Krankheit löst beim Menschen tendenziell Angst aus. Deshalb muss die Pflegekraft,<br />

mit dem Phänomen der Angst umgehen können. Die Angst eines Patienten vor einer dauerhaften Abhängigkeit<br />

von der Pflege eines anderen Menschen kann durch die Pflegekraft verstärkt werden, wenn sie im Sinne<br />

der Stabilität ihres eigenen Selbst-Systems nur ihre Kompetenz bestärkt sehen möchte, indem sie dem Patienten<br />

alles abnimmt statt auf kleinste Hinweise <strong>des</strong> Patienten nach Autonomie zu reagieren. Dass es sich hier um äußerst<br />

subtile und höchst komplexe Dinge handelt, ist inzwischen in einigen Studien belegt worden (s. Graham<br />

2006, Schafer/Middleton 2001).<br />

Pflegehandeln ist Handeln in Beziehungen. Es ist aufgrund der sehr unterschiedlichen einzunehmenden Rollen,<br />

die situations- und kontextgebunden sind, höchst variabel, schwer vorhersagbar, vielfältig und vielschichtig.<br />

Dieser Aspekt wird in Äußerungen, in denen die berufliche Pflege mit ‚Töpfe schwenken’ assoziiert wird, leicht<br />

übersehen. Auch das in der Pflege auszubalancierende Spannungsverhältnis, das zwischen dem ‚Alltäglichen<br />

und Profanen menschlicher Gewohnheiten’ und der besonderen Persönlichkeit eines Menschen besteht, wird in<br />

solchen Äußerungen ausgeblendet. Dass hier noch viel inner- wie intraprofessionelle Aufklärungsarbeit zu leisten<br />

ist, zeigt die Analyse der Pflegefachliteratur im Bereich der psychiatrischen Pflege in der Zeit von 1946 bis<br />

1974 von Suzanne Lego (1995) 55 . Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Rolle der Pflegekraft in der Pflegekraft-<br />

Patient-Beziehung in diesem Bereich in dem Zeitraum von 1946 bis zum Erscheinen von Peplaus Buch eher nebulös<br />

und verschwommen war. Peplaus Leistung war es, die Notwendigkeit aufgezeigt zu haben, dass die Pflegekraft<br />

ihr eigenes interpersonales Handeln und Verhalten selbstkritisch einzuschätzen lernen muss. Ihr Handeln<br />

wirkt sich auf die Eins-zu-eins-Beziehung, auf ihre Arbeitsrollen und auf die Phasen der Pflegekraft-Patient-<br />

Beziehung aus. Legos (1995: 79) Aufarbeitung der Literatur <strong>zur</strong> Pflegekraft-Patient-Beziehung unterstreicht die<br />

Bedeutung, die dem Selbst und dem Selbst-System der Pflegekraft in dieser Beziehung zukommt. Dieser Sachverhalt<br />

wird auch mit dem Begriff ‚therapeutic use of the self’ umschrieben. Die wirksame Gestaltung der Pflegekraft-Patient-Beziehung<br />

verlangt der Pflegekraft eine gewisse Sensibilität und Wachsamkeit ab, da Menschen<br />

sich beim Handeln in Beziehungen auf ihnen vertraute Verhaltensmuster, vor allem auf jene stützen, die aus den<br />

ihnen am meisten vertrauten Beziehungen innerhalb der Familie stammen. So ist es für Patienten nicht ungewöhnlich,<br />

sich auf Pflegekräfte in ‚eingefrorenen Rollen’, d.h. in Rollen zu beziehen, die innerhalb <strong>des</strong> familiären<br />

Netzwerks erfolgreich waren. Bei Patienten wie bei Pflegekräften kann beobachtet werden, dass sie innerhalb<br />

solcher vertrauten Rollen agieren, obgleich diese in der gegenwärtigen Situation weder passend noch angemessen<br />

sind (s. Peplau 1997: 163). Verkompliziert wird das Ganze dadurch, dass Gesundheitssysteme aus einem<br />

Netzwerk von Beziehungen bestehen, die unterschiedliche Grade von Macht, Autorität und Verantwortung mit<br />

55 Dieser Aufsatz erschien zuerst 1975 im Rahmen eines Kongressberichts: ‘Psychiatric Nursing 1946 to 1974: A Report on<br />

the State of the Art’, herausgegeben von Florence L. Huey in Anderson (1995).<br />

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