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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 5<br />

Die Bedeutung <strong>des</strong> Selbst-Systems in der Funktion eines Dynamismus ist nach Sullivan (1983: 117ff) darin zu<br />

sehen, dass der Mensch die im Laufe <strong>des</strong> Lebens ausgebildeten Verhaltensmuster, die das Ergebnis einer Anpassung<br />

an sich ständig ändernde biologische und soziale Anforderungen und Möglichkeiten sind, in immer neue<br />

Muster überführen kann. Dieser Prozess der Organisation und Integration von Erfahrungen in Verhaltensmuster<br />

beginnt mit der Geburt. Er wird als Reifung aufgefasst und verweist auf die dem Menschen innewohnende Fähigkeit<br />

zu lernen. Die hierbei ablaufenden Prozesse verweisen auf den Begriff der Eduktion27 . Bei dieser Erfahrungsbildung<br />

und -strukturierung kommt dem Zeichen, Symbol- und Sprachsystem der sozialen Bezugsgruppe<br />

eine wichtige Rolle zu, insofern über dieselben die Erfahrungen im weitesten Sinn strukturiert und zu Mustern<br />

zusammengefügt werden. Wie dieses geschieht, soll im Weiteren anhand der Entstehung <strong>des</strong> Selbst-Systems<br />

aufgezeigt werden. Der von Sullivan verwendete Begriff der Erfahrung ist vergleichbar mit dem Erfahrungsbegriff<br />

<strong>des</strong> amerikanischen Pragmatismus von Mead oder Dewey (s. Kap. 3). Er ist eng verknüpft mit dem Begriff<br />

<strong>des</strong> Lernens (s. auch Evans 1996, Conci 2005).<br />

5.3.2 ZUR HERAUSBILDUNG DES SELBST-SYSTEMS<br />

Peplaus Vorstellungen von der Persönlichkeitsentwicklung und der Entstehung <strong>des</strong> Selbst-Systems lehnen sich<br />

an die von Sullivan an. Die Persönlichkeitsentwicklung und die Genese <strong>des</strong> Selbst-Systems sind eng miteinander<br />

verwoben und werden als ein in Phasen ablaufender Prozess verstanden. Auf die einzelnen Phasen geht Peplau in<br />

ihrem 1952 veröffentlichten Buch nicht näher ein. Dies geschieht in einer späteren Veröffentlichung (1979), in<br />

der sie sechs Schritte bei der Herausbildung <strong>des</strong> Selbst-Konzepts herausarbeitet und auf einige Phasen der Persönlichkeitsentwicklung<br />

näher eingeht. In einer weiteren Arbeit (1989) greift sie diese Gedanken erneut auf und<br />

setzt sie in Beziehung zu pflegerischen Situationen, die für sie ebenfalls prozesshaft ablaufen. Hierbei arbeitet sie<br />

die Bedeutung der nonverbalen wie der verbalen Kommunikation bei der Entstehung <strong>des</strong> Selbst-Systems deutlich<br />

heraus.<br />

Die frühen Erfahrungen <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> sind geprägt von der Qualität der Verbundenheit <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> mit den es umgebenden<br />

‚bemutternden’ Bezugspersonen. Aus den mit diesen Personen gemachten Erfahrungen erwachsen<br />

spätere Erfahrungen <strong>des</strong> eigenen Selbst mit anderen Menschen (Evans 1996: 81). Die Voraussetzungen für die<br />

Entstehung <strong>des</strong> Selbst-Systems werden in der vorsprachlichen Phase geschaffen. Was mit dem Kind geschieht,<br />

wie auf seine Bedürfnisäußerungen eingegangen wird, erfährt das Kind in der unmittelbaren Beziehung durch<br />

die Reaktionen der Bezugspersonen in Form von wechselseitigem Wohlbefinden oder ‚gefühltem’ Unwohlsein.<br />

Das Neugeborene empfindet zunächst nur Wohlbefinden oder Unwohlsein. Diese beiden Gefühle differenziert es<br />

im weiteren Verlauf aus und entwickelt so erste Verhaltensweisen und -muster der Bedürfnisbefriedigung (s. Peplau<br />

1995: 196). Zur Mitteilung von Unwohlsein, etwa in Form von Hunger, setzt das Kind die ihm <strong>zur</strong> Verfügung<br />

stehenden kommunikativen Mittel wie das Schreien ein. Es schreit solange, bis hierauf reagiert wird. Hierbei<br />

kann das Kind zwei grundlegende Erfahrungen machen, die der ‚guten Mutter’ und die der ‚bösen Mutter’<br />

und sich dabei als ‚gutes Ich’ bzw. ‚böses Ich’ erleben. Letzteres ist mit wechselseitigem Unwohlsein und mit<br />

Angst verbunden. Weiter verfügt es von Geburt an über die Fähigkeit, mittels ‚einfühlender Beobachtung’ die in<br />

der Beziehung <strong>zur</strong> ‚bemutternden’ Bezugsperson erfahrenen Reaktionen, auf seine Bedürfnisse und Wünsche<br />

einzugehen, ‚gefühlsmäßig’ wahrzunehmen. Hierbei handelt es sich um ‚Wahrnehmungen’ bzw. ‚Personifikationen’<br />

und nicht um die reale Mutter als ein vom Kind getrennt wahrgenommenes Wesen, und damit um die Fähigkeit<br />

(Peplau 1979: 70), in sich selbst Gefühle wahrzunehmen bzw. zu (er)fühlen, deren Ursprünge in anderen<br />

Menschen liegen28 . Das Gefühl <strong>des</strong> Wohlbefindens bzw. <strong>des</strong> Unwohlsein <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> vermittelt sich interperso-<br />

27 Diesen Begriff hat Sullivan (1983: 87f) von dem britischen Psychologen Charles Spearman (1863-1945) entlehnt, der ihn<br />

auf kognitive Abläufe bezogen hatte. Sullivan hat mit diesem Be-griff Vermittlungsprozesse beschrieben, die auf eine Fähigkeit<br />

der im zentralen Nervensystem angesiedelten Eduktoren verweisen.<br />

28 Siehe hierzu auch die Ausführungen zu Meads Vorstellungen <strong>zur</strong> Entwicklung <strong>des</strong> emotionalen Bewusstseins und der<br />

Herausbildung der Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme (s. Kap. 3.2.1.1. und 3.2.2.1).<br />

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