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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 5<br />

fischem verbunden ist. Sie hat keine spezifischen Merkmale. In der frühen Kindheit hat das Kind bei der Erfahrung<br />

von Angst<br />

„keine Basis für Differenzierungen und keinerlei Hinweise auf angemessenes Handeln zu ihrer Beseitigung.<br />

Der Säugling hat keine Möglichkeit bzw. keine Fähigkeit in Richtung Angstbeseitigung zu handeln“ (Sullivan<br />

1983: 67).<br />

Im Gegensatz zu den Erfahrungen mit anderen Bedürfnisspannungen, wo der Mensch schon recht früh das damit<br />

verbundene Handeln mit vergangenen Erfahrungen und Elementen der Zukunft wie Vorwegnahme, Erwartung<br />

etc. in Beziehung setzen kann, ist die Erfahrung der Angst<br />

„am wenigsten deutlich von Elementen der Vergangenheit und der Zukunft durchsetzt. [...] die für angemessenes<br />

Handeln oder Energietransformationen in der jeweiligen Situation so wichtigen erklärenden identifizierenden<br />

Elemente der Vergangenheit und der Vorhersage künftiger Linderung (sind) in diesem Bereich<br />

der Angst am leichtesten zu übersehen und am schwierigsten herauszufinden“ (Sullivan 1983: 68).<br />

Der Mensch, der Angst erfährt, hat wenig Einfluss darauf. Er kann sie nicht steuern, da sie durch andere Menschen,<br />

mit denen er sich in einer interpersonalen Situation befindet, induziert wird. Die so erzeugte Angstspannung<br />

beeinträchtigt die Bedürfnisbefriedigung und steht im Gegensatz zu ihr. Die primär biologischen Bedürfnisse<br />

und das Bedürfnis nach Angstfreiheit bzw. interpersonaler Sicherheit stehen nicht in einem hierarchischen<br />

Verhältnis, sondern sind aufeinander bezogen. Das Bedürfnis nach Sicherheit kann alle anderen Bedürfnisse<br />

überlagern (s. Sullivan 1983: 66ff).<br />

Anders ist es, wenn der Mensch sich vor etwas fürchtet. Hier stehen ihm von Geburt an vier Grundmechanismen<br />

oder Bewältigungsmechanismen <strong>zur</strong> Verfügung, um mit den ‚Furchtspannungen’ umzugehen. Die Menschen<br />

können die angstauslösenden Bedingungen:<br />

1. beseitigen oder zerstören<br />

2. ihnen entfliehen oder sie vermeiden<br />

3. sie neutralisieren<br />

4. sie ignorieren (Sullivan 1983: 74).<br />

Über diese Möglichkeiten verfügt der Mensch bei Angstspannungen nicht. Entsteht in interpersonalen Situationen<br />

aufgrund von Spannung Angst, die der Bedürfnisbefriedigung entgegensteht, kann der Mensch im extremen<br />

Fall mit Apathie und somnolenter Gleichgültigkeit reagieren25 . Diese Verhaltensform bezeichnet Sullivan mit<br />

dem Begriff der ‚Dynamismen’. Kommt es aufgrund von Angstspannung <strong>zur</strong> Entspannung, so führt diese nicht<br />

<strong>zur</strong> Erfahrung von Befriedigung, sondern <strong>zur</strong> Erfahrung von interpersonaler Sicherheit. In beiden Fällen wird<br />

Kraft in Form sogenannter Dynamismen freigesetzt, die die Persönlichkeit eines Menschen hervorbringen. Dynamismen<br />

beschreiben überdauernde Energietransformationsmuster26 . Ein wichtiger Dynamismus im Sinne der<br />

Erzeugung von Energietransformationsmustern ist das Selbst-System, wobei die Muster die wiederkehrenden<br />

interpersonalen Beziehungen charakterisieren. In diesem Kontext ist von Bedeutung, dass Sullivan menschliche<br />

Erfahrungen zum einen als Prozess definiert und zum anderen als Funktion. Diese Erkenntnis macht Peplau sich<br />

zu eigen, wenn sie pflegerische Phänomene beschreibt. Auch sie betont den prozessualen wie den funktionalen<br />

Aspekt menschlichen Handelns (s. Peplau in O’Toole/Welt 1989). Beide Aspekte sind für eine ergebnisorientierte<br />

Pflege von Bedeutung.<br />

25 Evans (1996: 67f) betont, dass Sullivan selbstkritisch in Bezug auf sein erreichtes Verständnis <strong>des</strong> Konzepts Angst und<br />

Angstspannung und <strong>des</strong>sen Einfluss in interpersonalen Beziehungen war. Es war für ihn ein in ständiger Arbeit befindliches<br />

Konzept, das eventuell durch ein treffenderes Konzept ersetzt werden kann. In diesem Zusammenhang verweist er auf die<br />

Arbeiten von Bowlby und <strong>des</strong>sen Begriff <strong>des</strong> Attachments/der Bindung.<br />

26 Evans (1996: 71) behauptet, dass Sullivans Konzept <strong>des</strong> Dynamismus einen paradigmatischen Wechsel von Freuds<br />

Trieb<strong>theorie</strong> darstellt.<br />

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