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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 5<br />

tion bei der Befriedigung seiner Bedürfnisse angewiesen. Umgekehrt lösen die Bedürfnisse <strong>des</strong> Säuglings bei<br />

seinen Bezugspersonen ebenfalls Bedürfnisse im Sinne <strong>des</strong> Zärtlichkeitsbedürfnisses aus, was auf die wechselseitige<br />

Abhängigkeit von Säugling und Bezugsperson hinweist. Beide sind für die Lösung bzw. Befriedigung <strong>des</strong><br />

geäußerten Bedürfnisses erforderlich. Die Entspannung der durch das Bedürfnis entstandenen Spannung erfolgt<br />

durch die Befriedigung <strong>des</strong>selben, d.h. die durch die Spannung erzeugte Gleichgewichtsstörung wird über die<br />

Befriedigung in ein neues Gleichgewicht überführt23 . Der Wechsel von Bedürfnis und Befriedigung, die zwischen<br />

diesen Zuständen bestehende Abhängigkeit, ist das, was Sullivan Erfahrung nennt. Dieses Theorem greift<br />

Peplau mit dem Konzept der Wechselseitigkeit24 (s. Pkt. 5.4.1.1) auf. In diesem Zusammenhang kommt dem<br />

Handeln <strong>des</strong> Patienten wie dem Handeln der Pflegekraft, d.h. ihren Interaktionsmustern und ihren auf den jeweils<br />

anderen Menschen bezogenen Verhaltensmustern für den Verlauf der Beziehung eine entscheidende Rolle<br />

zu. Die Art, wie die Pflegekraft auf die situativen Erfordernisse <strong>des</strong> Patienten eingeht, führt entweder dazu, dass<br />

dem Erfordernis entsprochen wird (es befriedigt wird) oder es führt zu deren Nichtbeachtung mit den entsprechenden<br />

Folgen (z.B. Steigerung der Angst etc.).<br />

Anders verhält es sich bei der zweiten Kategorie von Spannungen, den sogenannten Angstspannungen, die auf<br />

das Bedürfnis nach interpersonaler Sicherheit verweisen und damit auf die Beziehungen zu anderen Menschen.<br />

Dieses Bedürfnis bezeichnet Sullivans auch als das ‚Bedürfnis nach Angstfreiheit’. Beiden Arten von Erfahrungen,<br />

d.h. von Spannungen und Energietransformation, können nicht isoliert betrachtet werden. Sie sind nur aus<br />

der Summe der gesamten Lebenserfahrungen zu verstehen. Sie verweisen auf Vergangenes, sie bestimmen das<br />

unmittelbare Handeln und wirken in die Zukunft. Für die Persönlichkeitsentwicklung <strong>des</strong> Menschen ist von zentraler<br />

Bedeutung, ob die von ihm gewählte Art der Bedürfnisbefriedigung von den für ihn wichtigen Bezugspersonen<br />

gebilligt wird. Ist dies der Fall, vermittelt die damit verbundene Erfahrung ein Gefühl von Wohlbefinden<br />

und Sicherheit. Wird das Bedürfnis jedoch nicht erkannt oder beachtet, wird es als Frustration und Ablehnung<br />

erlebt. Der Mensch wird aus seinem Zustand <strong>des</strong> Wohlbefindens herausgerissen und dieses Ereignis wird als<br />

Angst erlebt. Jeder Mensch hat das Bedürfnis, solche Erfahrungen zu vermeiden.<br />

Welche Bedeutung der wechselseitigen Abhängigkeit der Menschen in interpersonalen Situationen zukommt,<br />

zeigen vor allem Erfahrungen von Angstspannungen. Hier geht Sullivan (1983: 65) von folgendem Theorem aus:<br />

„Spannung infolge von Angst in der mütterlichen Bezugsperson induziert im Säugling Angst.“<br />

Dieses lässt sich auf andere interpersonale Situationen übertragen. Gerade mit Blick auf pflegerische Situationen<br />

ist der Stellenwert, den Sullivan und Peplau dem Thema Angst widmen, von zentraler Bedeutung. Sullivan betont,<br />

dass das Bedürfnis nach Sicherheit bzw. Angstfreiheit sich von Geburt an fundamental von allen anderen<br />

Bedürfnissen unterscheidet. Der Unterschied zu anderen Bedürfnissen besteht darin, dass Angst mit nichts Spezi-<br />

Funktionsweise <strong>des</strong> ‚Bemutterns’ beimisst. Auch Peplau (1979: 67) meint, dass der Begriff ‚Mutterliebe’ in der heutigen Zeit<br />

angemessener mit ‚significant-one parenting’ oder ‚parenting love’ bezeichnet werden kann; im Kern geht es um die liebevolle<br />

Beziehung zwischen einer ‚bemutternden Person’ und dem Kind. Das Kind ist für sein Überleben auf die Kooperation<br />

eines anderen Menschen angewiesen, der auf seine zunächst nur gestisch artikulierten Erfordernisse eingeht. Der Kern der<br />

Pflege lässt sich auf das Eingehen auf diese leiblichen, psychischen, sozialen/kommunalen und geistigen Erfordernisse eines<br />

Menschen <strong>zur</strong>ückführen. Der in diesem Zusammenhang von Sullivan benutzte Begriff <strong>des</strong> ‚Bemutterns’ wird von Peplau<br />

durch die Bezeichnung <strong>des</strong> damit gemeinten Vorgangs als ‚significant-one-parenting’ aus der engen Assoziation mit Frauen,<br />

mit der Mutter gelöst und auf die Personen bezogen, die für das Kind sorgen bzw. es pflegen. Mit der Pflege <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> setzt<br />

<strong>des</strong>sen Sozialisierung ein. Der Prozess <strong>des</strong> ‚Bemutterns’ beschreibt erste Formen <strong>des</strong> Pflegens.<br />

23 Für Sullivan (1983: 61) erhält „ein Bedürfnis, das man im biologischen Sinn weitgefasst als Gleichgewichtsstörung bezeichnen<br />

könnte, seine Bedeutung aus den Aktionen oder Energietransformationen, die zu <strong>des</strong>sen Befriedigung führen“.<br />

24 Bezogen auf die Pflegesituation bedeutet dies: Der Patient hat einen Bedarf an Pflege und Versorgung. Um diesen befriedigen<br />

zu können, ist er in unterschiedlichem Ausmaß auf die Kooperation der Pflegekraft angewiesen. Hierin besteht seine<br />

Abhängigkeit von der Pflegekraft. Umgekehrt spricht der Bedarf an Pflege bzw. Versorgung seitens <strong>des</strong> Patienten, die Motivation<br />

der Pflegekraft für ihre Berufsausübung an. Die Pflegekraft kann ihren Beruf nur aufgrund <strong>des</strong> Vorhandenseins <strong>des</strong><br />

Patienten ausüben.<br />

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