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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 5<br />

tiven Fähigkeiten <strong>des</strong> Menschen, der Sprache im weitesten Sinn, eine wichtige Rolle zu (s. Sullivan 1983: 59ff,<br />

Peplau 1979, 1989). Was letztere betrifft, verfügt der Mensch als Ergebnis <strong>des</strong> Evolutionsprozesses über einen<br />

zentralen integrativen Apparat in Form <strong>des</strong> zentralen Nervensystems 16 , der dem Menschen ermöglicht, sich auf<br />

vielfältige Art und Weise auszudrücken und in Beziehung mit anderen Menschen und mit seiner Umwelt zu treten.<br />

Auf diese Erkenntnisse baut Peplau (1995, 1979, 1989) auf. Die wichtigste (soziale) Fähigkeit, über die das<br />

neugeborene Kind bei der Geburt verfügt, ist das Schreien. Mittels <strong>des</strong> Schreiens kann es auf sich aufmerksam<br />

machen. Die Reaktionen seiner Bezugspersonen auf sein Schreien setzen den Prozess in Gang, durch den das<br />

Selbst-System entsteht. Erfahrungen sind hierbei das dafür erforderliche Material. Sullivan (1983: 51f, 59f) unterscheidet<br />

drei Erscheinungsformen der Erfahrung. Diese nennt er Prototaxis, Parataxis und Syntaxis. Sie beschreiben<br />

unterschiedliche Entwicklungsstadien und Stadien <strong>des</strong> Welterlebens und beziehen sich auf die Art und<br />

Weise, wie ein Erlebnis bzw. eine Erfahrung registriert wird, sowie auf die Art und den Grad der inneren Verarbeitung<br />

von Ereignissen bzw. Erfahrungen (s. auch Lin<strong>des</strong>mith et al. 1999: 248; Evans 1996: 61f).<br />

Die verschiedenen Erfahrungsformen17 spielen in dem ablaufenden Formungsprozess der individuellen Persönlichkeit<br />

eine wichtige Rolle. Sie verweisen auf die aktive Rolle <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> in diesem Prozess und darauf, dass es<br />

sich hierbei um einen sozialen und interpersonalen Prozess handelt, der durch das Zeichen-, Symbol- und<br />

Sprachsystem der sozialen Bezugsgruppe geprägt ist. Bezogen auf die erwähnten drei Erfahrungsformen<br />

• Ist die prototaktische Erfahrungsform diejenige, die die Grundlage für das Gedächtnis zu sein scheint,<br />

der gröbste oder einfachste, der früheste und wahrscheinlich der weitaus umfassendste Erfahrungsmodus.<br />

[...].Die Prototaxis lässt sich beschreiben als unverknüpfte Kette von ‘Augenblickszuständen’ <strong>des</strong><br />

sensitiven Organismus, mit besonderer Beziehung zum Bereich der Interaktion mit der Umwelt (Sullivan<br />

1983: 52). Dieser Erfahrungsmodus repräsentiert das nicht Kommunizierbare oder Unsagbare. Es handelt<br />

sich um ‘gefühlte’, fließende und undifferenzierte Erfahrungen<br />

• Ist die parataktische Erfahrungsform die Form, über die Wissen möglich ist, da die Erfahrungen zum<br />

Teil kommunizierbar sind. Erfahrungen in diesem Modus zeichnen sich dadurch aus, dass sie in Beziehung<br />

zu anderen Erfahrungen gesetzt werden, d.h. das Kind fängt an, sich zu erinnern, z.B. an die mit<br />

einer Erfahrung verbundenen Konsequenzen, und beginnt die mit diesen Erfahrungen verbundenen Konsequenzen<br />

vorauszusehen sowie die notwendigen Handlungen, um diese Erfahrungen zu verändern. Das<br />

In-Beziehung-Setzen von Erfahrungen einschließlich der damit verbundenen Folgen erfolgt nicht in einem<br />

streng logischen Sinn, sondern mehr assoziativ. Durch das Erinnern und Vorausehen von Erfahrungen<br />

und ihren Folgen werden diese für das Kind zu Zeichen und Signalen für die damit verbundene Befriedigung/Zufriedenheit,<br />

Frustration, Sicherheit oder Unsicherheit. Diese Zeichen wiederum werden<br />

vom Kind mit einer Bedeutung verbunden<br />

• Ist die syntaktische Erfahrungsform diejenige, über die am leichtesten gesprochen werden kann. Sie ist<br />

an die kommunikative, die verbale wie nonverbale Fähigkeit <strong>des</strong> Menschen gebunden 18 (s. Sullivan<br />

1983: 59, Lin<strong>des</strong>mith et al. 1999: 248, Evans 1996: 62).<br />

Da Pflegekräfte mit Menschen in allen Lebensphasen und jeder Altersgruppe konfrontiert werden, spielen in<br />

pflegerischen Situationen alle drei Erfahrungsformen eine Rolle. Peplau (1979: 54) fasst die in der Prototaxis<br />

16 Dieser Apparat ermöglicht einzigartige Fähigkeiten dreierlei Art:<br />

1. „die Wechselbeziehung von Gesicht/Auge und dem Tastorgan Hand - neben dem Mund die bedeutendsten Instrumente<br />

der Wechselbeziehung<br />

2. die Wechselbeziehung von Gehör und Stimmapparat, die so ungemein subtil ausgearbeitet ist, daß sie eine so phantastische<br />

evolutionäre Entwicklung wie die der Sprache möglich macht; und<br />

3. die Wechselbeziehung dieser und aller anderen Rezeptor-Effektor-Systeme in einem unglaublich komplizierten<br />

Vorderhirn, die es ermöglicht, mit vielerlei abstrakten Erfahrungen zu operieren (Sullivan 1983: 43).<br />

17 Diese drei Erfahrungsformen erinnern von Ferne an die drei Meadschen Sprachmodi, den imperativen Modus, den konjunktiven<br />

und optativen Modus sowie den indikativen Modus. Beim ersten Modus fühlt sich der Mensch in einer Situation<br />

zum Handeln aufgefordert, ohne zu wissen warum (s. Carreira da Silva 2008, ISS: 160f, s. Kap. 3.2.1.2). Hier liegt eine ähnliche<br />

Situation wie bei der prototaktischen Erfahrungsform vor.<br />

18 Sullivan (1983: 51f) bindet die drei Erfahrungsmodi an die Wahrnehmungsfähigkeit und kommunikative Fähigkeit <strong>des</strong><br />

Menschen. Beide bilden sich nach und nach aus, und der Mensch lernt, das Erfahrene miteinander zu verknüpfen und in Beziehung<br />

zu setzen. Hierbei kommt dem Erfassen von Zeichen und der Zuschreibung von Bedeutungen eine wichtige Rolle zu.<br />

Sie markieren den Beginn <strong>des</strong> Spracherwerbs. Mit dem Spracherwerb und dem Erlernen der sprachlichen Symbole erwirbt<br />

und erlernt der Mensch den syntaktischen Erfahrungsmodus.<br />

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