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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 1<br />

ne wurde den Pflegekräften aufgrund dieser Arbeitsteilung ein doppeltes Mandat zugesprochen: das Mandat <strong>zur</strong><br />

Ausführung der an sie delegierten für die medizinische Versorgung <strong>des</strong> Kranken notwendigen Aufgaben und das<br />

Mandat, sich um die für die Ausführung dieser medizinischen Aufgaben erforderlichen psychologischen und<br />

moralischen Untertöne zu kümmern. Letzteres Mandat verweist auf den so genannten autonomen oder eigenständigen<br />

Bereich der Pflege (s. ANA 1980, 2003). Strauss (1966/2001: 67) betrachtet das zwischen Medizin<br />

und Pflege bestehende ‚subordinate-superdominate pattern‘ als Innovationshindernis, welches überwunden werden<br />

muss. Johann Jürgen Rohde (1974) konstatierte in seiner inzwischen klassischen Arbeit <strong>zur</strong> ‚Soziologie <strong>des</strong><br />

Krankenhauses‘, dass das Begründungs- und Legitimationsmuster <strong>des</strong> von ihm beschriebenen pflegerischen<br />

Funktionskreises aufgrund gesellschaftlicher und medizinischer Entwicklungen nicht mehr tragfähig sei und einer<br />

Neubegründung sowie Legitimation bedürfe. Bei seinen Vorstellungen einer solchen Neubegründung <strong>des</strong><br />

pflegerischen Funktionskreises greift er auf Ideen aus den USA zu dem zuletzt genannten Mandat <strong>zur</strong>ück, wobei<br />

er in Anlehnung an Whiting vier pflegerische Aufgaben wie z.B. die emotionale Abstützung <strong>des</strong> Patienten oder<br />

die Erziehung <strong>des</strong> Patienten nennt (s. Kap. 4). Die unter dieses Mandat fallende Arbeit beschreiben Strauss et al.<br />

(1985) viele Jahre später u.a. mit dem Begriff ‚Gefühlsarbeit’. Celia Davies (1995a) analysiert in ihrer Arbeit<br />

‚Gender and the Professional Predicament in Nursing’ die professionelle Zwickmühle, in der sich die Pflege<br />

aufgrund der seit dem 19. Jahrhundert bestehenden vergeschlechtlichten Arbeitsbeziehung zwischen Medizin<br />

und Pflege befindet. Die den Frauen aus dieser Arbeitsteilung und dem daraus abgeleiteten Arbeitsarrangement<br />

erwachsende Vermittlungs- und Gewährleistungsarbeit zwischen der Haus- und Erwerbsarbeit einerseits sowie<br />

zwischen der medizinischen und pflegerischen Arbeit anderseits erschwert auf vielfältige und höchst subtile<br />

Weise die praktische Umsetzung der von der Pflegewissenschaft entwickelten Ideen und verhindert die Entwicklung<br />

eines positiven beruflichen Selbst und Selbstkonzepts. Sie führt zu einer Verzerrung und Verdunklung <strong>des</strong><br />

Gegenstandsbereichs der Pflege. Die spezifische Konstruktion <strong>des</strong> Pflegeberufs im 19. und Anfang <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts,<br />

die in den verschiedenen Ländern Gemeinsamkeiten und Variationen aufweist, kommt bei der Umsetzung<br />

der in Kap. 8 entfalteten Theorie <strong>des</strong> Pflegehandelns zum Tragen. Laut vorliegenden Erkenntnissen werden<br />

pflegetheoretische Ansätze im Gegensatz zu medizinischem Wissen in der Praxis kaum genutzt (s. bspw. Chinn<br />

2007). Was Davies als Zwickmühle beschreibt, diskutiert Ursula Holtgrewe (1997: 97ff) unter dem Stichwort<br />

‚Assistenz’. Sie unterscheidet zwei Muster von Assistenz, die sie als ‚Zunft‘- und ‚Eheparadigma’ 6 bezeichnet.<br />

Die Pflege ist dem letzteren zu<strong>zur</strong>echnen. Im Eheparadigma übernehmen Frauen die Assistenz in Bezug auf die<br />

Arbeit eines anderen, häufig die eines Professionellen wie eines Arztes, Rechtsanwalts oder Pfarrers/Theologen.<br />

Für die Entwicklung der Pflege in Deutschland ist von Bedeutung, dass die berufliche Pflege im 19. Jahrhundert<br />

ihren Ausgangspunkt und ihre Legitimation zunächst in der religiös motivierten Heilspflege nahm und erst später<br />

in der an der Medizin orientierten Heilpflege (s. Schaper 1987, Mischo-Kelling 1995b sowie Kap. 4). Dieses<br />

Muster findet bis heute in der Definition der Pflege sowie in entsprechenden Gesetzen seinen Niederschlag. Erste<br />

Ansätze <strong>zur</strong> Überwindung dieses Musters setzen mit den Professionalisierungsbestrebungen der eingangs erwähnten<br />

Pflegeführungskräfte in den USA ein. Dieser Prozess kann grob in drei Phasen eingeteilt werden. In der<br />

ersten Phase, die ich als Phase der Modifikation <strong>des</strong> männlich konnotierten ‚Professionskonzepts’ bezeichnen<br />

möchte, werden wichtige Etappen bei der Herausbildung <strong>des</strong> Gegenstandsbereichs der Pflege in den USA <strong>zur</strong>ückgelegt.<br />

Sie reicht vom Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts bis zum Ende <strong>des</strong> Zweiten Weltkriegs. In dieser Zeit bildet<br />

sich ein erster Bezugsrahmen für das neue Professionsverständnis in der Pflege heraus. Vor diesem Hintergrund<br />

setzt 1952 mit der Veröffentlichung von Peplaus Buch ‚Interpersonal Relations in Nursing’ die zweite<br />

Phase ein, in der es um eine theoretische, wissenschaftlich abgestützte Begründung <strong>des</strong> ‚autonomen Bereichs der<br />

Pflege’ geht. Wurde in der ersten Phase noch das Geschlecht <strong>zur</strong> Legitimation und besonderen Eignung der<br />

Frauen für die professionelle Pflege bemüht, spielte dieses Argument in dieser zweiten Phase vordergründig kei-<br />

5 Diese Einschätzung wird in einer neueren historischen Untersuchung von Susan Gelfand Malka (2007: 17) bestätigt. Sie<br />

zitiert eine Untersuchung aus den 1960er Jahren, in der 21 von 22 befragten Pflegekräften angaben, dass sie den<br />

Anordnungen <strong>des</strong> Arztes ohne Fragen zu stellen folgen. Sie konstatiert eine völlige Abhängigkeit der Pflege von der Medizin.<br />

6 Beim Zunftparadigma stellt der Status ‚Assistenz’ nach Holtgrewe (1997: 98) idealtypisch einen Abschnitt in der<br />

Ausbildung dar bzw. eine Etappe der Karriere im eigentlichen Beruf bzw. in der Profession.<br />

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