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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 4<br />

4.5 PFLEGE ALS REPRODUKTIONS- UND ERWERBSARBEIT: ZUM VERSORGUNGSPROZESS<br />

Wie in Kap. 3 und im vorangehenden Abschnitt dargelegt, handelt es sich bei der Pflege, unabhängig von wem<br />

diese ausgeführt wird, um eine anthropologische Größe, deren Bedeutung durch die bestehende gesellschaftliche<br />

Arbeitsteilung und die Aufsplittung der Arbeit in Reproduktions- und Erwerbsarbeit eher zu- als aufgedeckt<br />

wird. Die mit der Versorgung und Betreuung von Kindern, hilfsbedürftigen Personen und alten Menschen einhergehende<br />

Arbeit ist in den vergangenen Jahren unter dem Gesichtspunkt <strong>des</strong> Caring von verschiedenen Disziplinen<br />

untersucht worden. Im Bereich der Pflegewissenschaft wurde ‚Caring’ Anfang der 1990er Jahre zum Wesen<br />

der Pflegearbeit erklärt (s. Morse et al. 1990, Bottorff 1991, ANA 2003). Dieser Begriff ist in der Pflegewissenschaft<br />

wie im feministischen Diskurs umstritten. Die verschiedenen AutorInnen betonen recht unterschiedliche<br />

Aspekte <strong>des</strong> Caring und der damit einhergehenden Arbeit. Auf eine ausführliche Darstellung der entsprechenden<br />

Literatur wird an dieser Stelle verzichtet. Hier soll der Hinweis genügen, dass in der Regel zu wenig<br />

bedacht wird, dass das ‚Caring‘ 87 (als Mütterlichkeit) eine zutiefst vergeschlechtlichte Konzeption ist. Eine wichtige<br />

Errungenschaft der feministisch inspirierten Wissenschaft besteht darin, immer wieder aufgezeigt zu haben,<br />

dass Konzepte, die ausschließlich von männlichen Lebenserfahrungen abgeleitet werden, weibliche Erfahrungen<br />

weder angemessen darstellen noch empirisch aufhellen (Abel/Nelson 1990: 5). Auf die verschiedenen Positionen<br />

dieser Debatte soll hier ebenfalls nicht eingegangen werden. Die bisherige Debatte hat nach Fisher/Tronto (1990:<br />

36) drei wichtige ‚images’ von ‚caring’ hervorgebracht: die selbstlose Caring-Person, die androgyne Caring-<br />

Person und die sichtbare Caring-Person. Kritisch sei, dass diese Images sich mehr auf die Handelnden fokussieren,<br />

als darauf, was Caring als Handeln (s. auch Hagemann-White 1997) oder als Aktivität im Kern möglicherweise<br />

ist.<br />

Die pragmatistischen Vorstellungen <strong>zur</strong> Entstehung <strong>des</strong> Selbst lassen sich mit den Erkenntnissen feministischer<br />

Wissenschaft, wie Keith (1999) anhand <strong>des</strong> Vergleichs von Feminismus und Pragmatismus am Beispiel der<br />

‚Ethics of Care’ von George Herbert Mead demonstriert und wie Seigfried (1996) und Sullivan (2001) allgemein<br />

für den Pragmatismus herausgearbeitet haben, gut vereinbaren. Der gemeinsame Ausgangspunkt sind menschliche<br />

Erfahrungen in sozialen Situationen (s. Kap. 3.4.2). Im Folgenden wird der Begriff ‚Caring’ exklusiv auf den<br />

Bereich der auf sich selbst oder auf andere Menschen bezogenen Pflege bezogen. Das Strukturmodell <strong>des</strong> Caring-Prozesses<br />

von Berenice Fisher und Joan Tronto dient hier der Formulierung von Fragen für die Analyse der<br />

pflegetheoretischen Ansätze und für die Erarbeitung von Vorschlägen, wie eine pflege<strong>theorie</strong>geleitete Praxis<br />

entwickelt werden kann. Es bietet die Möglichkeit, die verschiedenen Facetten <strong>des</strong> pflegerischen Handelns in<br />

den Blick zu bekommen, die nach Mead entsprechend im Lebensprozess aufzufinden sind. An dieser Stelle sei<br />

die von Davies (1995a+b) vorgenommene Unterscheidung verschiedener Formen von ‚Caring work‘ erwähnt.<br />

Hierbei handelt es sich um ‚care giving’, ‚care work’ und ‚professional care‘. Diese können in einer Vielzahl von<br />

zwischenmenschlichen Beziehungen und in unterschiedlichen institutionellen Arrangements zu Tage treten. Die<br />

erste Form bezieht sich auf unbezahlte Arbeit im Kontext von familiären und freundschaftlichen Beziehungen,<br />

während die beiden anderen Formen auf bezahlte Arbeit verweisen. Unter dem Begriff ‚care work‘ fasst Davies<br />

(1995b: 20) die verschiedenen Hilfs- bzw. Assistenzberufe im Gesundheits- und Sozialwesen zusammen, wohingegen<br />

mit dem Begriff ‚professional care‘ solche Berufe bzw. Professionen gemeint sind, die eine systematische<br />

und formale Ausbildung auf Hochschulebene durchlaufen haben.<br />

Fisher/Tronto (1990: 39) verstehen Caring in einem umfassenden und sehr allgemeinen Sinn:<br />

87 Der Begriff ‚Caring‘ ist im Zusammenhang mit der beruflichen Pflege, aber auch im Zusammenhang mit Frauenarbeit ein<br />

Begriff, der gerne ideologisch aufgebläht wird. Darüber hinaus ist er ein eher vieldeutiger und unscharfer Begriff (s. Brechin<br />

et al. 1998, Stockdale/Warelow 2000). Erwähnenswert ist in<strong>des</strong>, das sich in der feministischen Debatte in Bezug auf ‚Care‘/<br />

‚Caring‘ in jüngster Zeit auch Hinweise <strong>zur</strong> beruflichen Pflege finden (s. z.B. Feministische Studien, Extraheft „Fürsorge –<br />

Anerkennung – Arbeit. 2000, Conradi 2001). Im Deutschen werden die Begriffe Care und vor allem Caring sowohl in der<br />

pflegewissenschaftlichen Diskussion als auch in der feministisch inspirierten Wissenschaft eher mit Sorge bzw. Fürsorge<br />

übersetzt und weniger mit ‚Pflege‘ (s. Conradi 2001; Stemmer 2003; Kohlen/Kumbruck 2008).<br />

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