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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 4<br />

Regeln der Kultur als Kranker definiert werden kann (Universalismus); und die Vernachlässigung <strong>des</strong> Eigeninteresses,<br />

die Selbstverleugnung und Aufopferungswilligkeit für den Pflegling (Kollektivorientierung)<br />

sind normativer Kern dieser Rolle und in einem tieferen Sinn sogar ihre ratio essendi; denn Kollektivorientierung<br />

ist zunächst einmal nur selbstverständlich in den partikularistischen Beziehungen <strong>des</strong> engeren und<br />

weiteren Familienumkreises, [...]“ (Rohde 1974: 280f).<br />

Ein weiteres Problem der beruflichen Pflege ist die im 19. Jahrhundert historisch gewachsene und bis weit ins<br />

20. Jahrhundert reichende Kollektivorientierung (Pflegeorden, Mutterhaussystem), die religiös bzw. ideologisch<br />

geprägt war und im Zuge der Säkularisierung und Verberuflichung <strong>des</strong> Pflegeberufs an Bindungskraft verlor.<br />

Diese religiös oder ideologisch begründete Kollektivorientierung (das Dienen, die besondere Eignung aufgrund<br />

der dem weiblichen Geschlecht zugewiesenen Merkmale und Charaktereigenschaften etc.) muss durch eine neue<br />

Kollektivorientierung ersetzt werden, die ihrerseits sozial bzw. anthropologisch legitimiert ist 82 . Eine solche neue<br />

Kollektivorientierung bedarf einer gewissen Begründung und gesellschaftlichen Stützung, worauf Rohde (1974:<br />

282ff) mit aller Deutlichkeit hinweist. Diese Kollektivorientierung verweist auf die Notwendigkeit eines von den<br />

Pflegekräften als Mitgliedern der Pflegeprofession geteilten pflegespezifischen Wissenssystems.<br />

Die Funktion der Gesundheits- und Krankenpflegerin leitet sich nach Rohde von der Pflegeaufgabe in der Institution<br />

Krankenhaus ab:<br />

„Ihre Position liegt mithin im pflegerischen Funktionskreis, der ihre Aufgabe zunächst einmal auf jene Fürsorge<br />

für den Patienten begrenzt, die keine spezifisch medizinischen Maßnahmen erfordert. Diese Grundpflege<br />

83 , die zahlreiche regulierte, aber auch unvorhergesehene Aufgaben umfasst (Betten, Waschen, Baden,<br />

Essenverabreichen ...) ist sicher Wurzelfunktion dieser Rolle und umschreibt einen Komplex von Stammaufgaben,<br />

der tatsächlich als eine Übertragung familiärer (partikularistischer) Aufgaben auf eine universalistisch<br />

orientierte Rolle betrachtet werden kann" (Rohde 1974: 288).<br />

Diese Funktionen, die sich insgesamt auf die elementaren Bedürfnisse <strong>des</strong> Menschen beziehen, bezeichnet<br />

Rohde als ‚mutterähnliche’ Funktionen. Sie erscheinen zunächst einmal als diffus und nicht spezifisch funktional<br />

orientiert:<br />

„[...] das Besorgen, das ‚Bemuttern‘ <strong>des</strong> Patienten umschließt ja eine Reihe von Tätigkeiten, die in vielerlei<br />

Hinsichten verlaufen und nicht sämtlich erst durch das Kranksein notwendig werden" (Rohde 1974: 289).<br />

Früher bestimmte die folgende, tatsächlich unaufgebbare Aufgabe die Gesamtfunktion der Pflegekraft:<br />

„zuverlässigen Ersatz für den (temporären) Mangel an primär-intimer (familiärer) Hilfestellung und Mitmenschlichkeit<br />

zu schaffen" (Rohde 1974: 289).<br />

Rohde untersucht nicht, wie diese ‚mutterähnliche Funktion’ in der konkreten beruflichen Situation, d.h. in der<br />

Beziehung der Pflegekraft zum Patienten, realisiert werden kann. Er stellt lediglich fest, dass der pflegerische<br />

Funktionskreis, d.h. die zuvor erwähnte Gesamtfunktion der Pflegekraft, in der Sonder-Kultur der Medizin ‚umgeprägt,<br />

differenziert und modifiziert’ worden ist. Dieser Vorgang ist von zentraler Bedeutung 84 , da sich zu der<br />

Funktion, die seit den 1960er Jahren allgemein mit dem Begriff der Grundpflege beschrieben wurde, nun neue<br />

aus den medizinischen Erfordernissen erwachsende Aufgaben hinzugesellen, die allgemein unter dem Begriff<br />

82<br />

Hier sind die Vorstellungen von Rohde m.E. diffus; beim Arzt ist die Kollektivorientierung mit bestimmten Verhaltensweisen<br />

gegenüber dem Patienten verbunden, die für die Gestaltung der Beziehung zum Patienten wichtig sind.<br />

83<br />

Rohde verwendet den Begriff ‚Grund- und Behandlungspflege‘ relativ unbekümmert. Ihmzufolge eignen sich beide Begriffe<br />

nicht, den pflegerischen Funktionskreis im Kontext <strong>des</strong> ‚Heilungsprozesses‘ zu beschreiben. In ihrer kritischen Auseinandersetzung<br />

mit Rohde versäumt Elke Müller (2001a), diesen – wie ich finde - wichtigen Aspekt zu erwähnen. Rohde öffnet<br />

damit den pflegerischen Funktionskreis und gibt Hinweise für Entwicklungsmöglichkeiten. Diese Hinweise können allerdings<br />

leicht überlesen werden, da er den pflegerischen Funktionskreis immer im Kontext <strong>des</strong> medizinischen diskutiert. Die<br />

Begriffe ‚Grund- und Behandlungspflege’, die sich seit den 1950erJahren in der deutschsprachigen Pflege eingebürgert haben,<br />

haben fatale Folgen für die berufliche Pflege. Hierauf haben Sabine Bartholomeyczik (1997) und Elke Müller (2001a,<br />

2001b) mit Blick auf die Pflegearbeit, auf die damit verbundenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie deren Entwicklung<br />

und Wahrnehmung und nicht zuletzt auf die damit einhergehende gesellschaftliche Wertschätzung hingewiesen.<br />

Der Begriff der ‚Grundpflege’ verdeckt die Bedeutung, die diesem Bereich insgesamt zukommt. Deshalb schlägt Helga Krüger<br />

(2001b) vor, statt von Grundpflege von ‚präventiv-rehabilitativer’ Pflege zu sprechen.<br />

84<br />

Im Rahmen <strong>des</strong> Prozesses der Umprägung, Differenzierung und Modifikation findet zugleich auch eine gesellschaftliche<br />

Abwertung statt.<br />

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