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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 4<br />

vermeiden, noch das Moment der Belastung berücksichtigt werden. Bei der Suche nach Formen der Entlastung<br />

kommen die Institutionen Familie und Krankenhaus ins Spiel. Rohde (1974: 137ff) nennt drei mögliche Belastungen:<br />

1)To<strong>des</strong>drohung, 2) Leiden und 3) Einengung oder Aufhebung der Handlungsfähigkeit. Diese drei Belastungen<br />

machen sich in der Regel zuerst in der Familie bemerkbar. Liegt das Thema Bedrohung bei Vorliegen<br />

einer Krankheit auf der Hand, sieht dies wegen <strong>des</strong> Phänomens der Pflegebedürftigkeit offensichtlich anders aus.<br />

Letztere verweist vor allem auf die dritte Form der Belastung, die Einengung oder Aufhebung der Handlungsfähigkeit.<br />

Wird allerdings der Blick einseitig auf die Krankheit gerichtet, dann gerät der Umstand aus dem Blick,<br />

dass das Bedürfnis nach Pflege 80 ein dauerhaftes, fortwähren<strong>des</strong> ist (s. auch Collière 1998). Die Notwendigkeit<br />

<strong>zur</strong> kontinuierlichen Pflege besteht schon, bevor sich ein Mensch krank fühlt oder sich aufgrund eines solchen<br />

Gefühls zum Arzt begibt, wohingegen der Bedarf an Pflege durch andere - außer bei Neugeborenen und Kindern<br />

(MMK) - erst in einem zweiten Moment entsteht. Er ergibt sich immer dann, wenn der Bedarf aus eigenem Antrieb<br />

und aus eigner Kraft (s. Henderson/Nite 1978, ICN-Regeln 1977, Orem 1995/97, 2001, Roper et al. 2000,<br />

Behrens 2009) nicht mehr abgedeckt werden kann. In diesem besonderen Fall, der häufig mit einer Erkrankung<br />

zusammenfällt, fällt die Aufgabe der Pflege anderen Menschen, zumeist der Familie zu (s. Rohde 1974: 146).<br />

Erst wenn die Kapazitäten der Familie für die Krankheits- und Pflegebewältigung nicht mehr ausreichen bzw.<br />

von vornherein un<strong>zur</strong>eichend sind, kommt die Institution Krankenhaus zum Tragen. Die Befriedigung <strong>des</strong> Pflegebedarfs<br />

erfolgt primär in der Familie und temporär in einer Institution wie dem Krankenhaus 81 . Deshalb ist die<br />

Familie für Rohde die strukturell früheste Krankenpflegeinstanz. Auf diesen Sachverhalt wird im RLT-Modell<br />

mit dem Lebensmodell Bezug genommen (s. Kap. 2). Auch findet sich dieser Gedanke implizit im Meadschen<br />

Handlungsmodell. Im Folgenden soll der Faden zum pflegerischen Funktionskreis wieder aufgenommen werden.<br />

Auch wenn die Rolle der Pflegekraft eigentlich die krankenhaustypischste ist, besteht ein Problem der beruflichen<br />

Pflege nach Rohde (1974:278) darin, dass die Gesellschaft die medizinische Leistungsfähigkeit <strong>des</strong> modernen<br />

Krankenhauses wertschätzt. Diese Leistungsfähigkeit und die daraus resultierende Wertschätzung werden<br />

mit der Rolle <strong>des</strong> Arztes assoziiert. Im Unterschied zum Arzt-Sein heißt Pflegekraft-Sein im Krankenhaus bei<br />

der Durchführung von Diagnostik und Therapie auf Anforderung <strong>des</strong> Arztes hin tätig zu werden. Dies geschieht<br />

zwar durchaus kooperativ, aber im Gegensatz zum Arzt-Sein bedeutet Pflegekraft-Sein, nicht entscheidend an<br />

der Durchführung von Diagnostik und Therapie mitzuwirken, sondern nach Maßgabe der beteiligten Ärzte zu<br />

handeln. Weiter heißt Pflegekraft-Sein im Krankenhaus, an der Durchführung der Pflege je nach Organisation<br />

der Pflegearbeit auf Station oder in den Funktionseinheiten zwar kooperativ, aber doch nur in Teilaspekten, d.h.<br />

nur bedingt entscheidend beteiligt zu sein (s. unten). Gleichwohl geht Rohde davon aus, dass generelle Rollenerwartungen,<br />

wie sie an den Arzt gerichtet werden, auch auf die Pflegekraft zutreffen. Er sieht den pflegerischen<br />

Funktionskreis eng mit dem medizinischen verbunden, da das Krankenhaus<br />

"sich in seiner Zielsetzung wesentlich und nachdrücklich auf medizinisch begründete Handlungsziele konzentriert".<br />

Hieraus folgert er, dass die Rolle der Pflegekraft soziologisch gesehen an den Grundorientierungen <strong>des</strong> Arztes<br />

partizipiert. Dies trifft à priori und vor jeder ‚Medizin-Erfahrung‘ für die zwei ärztlichen Grundorientierungen<br />

‚Universalismus‘ und ‚Kollektivorientierung‘ zu. Er begründet seine Auffassung folgendermaßen:<br />

"Die Rolle der Krankenschwester ist jene mit einem Beruf getroffene Veranstaltung, die in der Gesellschaft<br />

zustande kommt, um das ‚Grundbedürfnis‘ nach Pflege zu befriedigen, das im Krankheitsfalle dann auftritt,<br />

oder unabgesättigt bleibt, wenn die primären familiären Beziehungen zu seiner Befriedigung nicht ausreichen<br />

oder ganz ausfallen: In der Rolle der Krankenschwester ist also die Pflege Kranker zum ersten Mal außerfamiliär<br />

veranstaltet. Daher muss sie grundsätzlich gegenüber jedermann aktivierbar sein, der nach den<br />

80 Rohde (1974: 146) fasst den Begriff ‚Pflege’ sehr weit, wenn er schreibt, dass die Aufgabe der Pflege als solche bereits vor<br />

der Notwendigkeit einer Für- und Vorsorge für Kranke wesentliche Familienfunktion (ist) in der Form der Aufzucht, Sozialisierung,<br />

An- und Einpassung der Kinder in das soziale Leben.<br />

81 Außerfamiliär erfolgt Pflege neben dem Krankenhaus noch in anderen stationären Einrichtungen. So wurden im Dezember<br />

2005 von den 2,13 Mill. Pflegebedürftigen in Deutschland 677.000, d.h. 32% in 10.400 Pflegeheimen mit 546.000 Beschäftigten<br />

versorgt (s. Datenreport 2008: 243).<br />

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