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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 4<br />

„Care 78 is an integral part of life; no life can subsist without care. This is true for any living species. It is true<br />

for mankind. It has been necessary ‚to take care of‘ not only human beings, but also of everything which<br />

could contribute to their survival: fire, plants, hunting tools, domestic animals and so on.“<br />

An anderer Stelle unterstreicht sie die Notwendigkeit, die soziokulturelle Bedeutung von Pflege (care) zu entdecken.<br />

Diese beginnt mit der Kenntnisnahme <strong>des</strong> erkrankten Menschen als Person mit seinen eigenen Gewohnheiten,<br />

Meinungen und seiner eigenen Herangehensweise an die Erkrankung (s. Collière 1998: 128). In eine ähnliche<br />

Richtung weist auch Madeleine Leiningers (2002) Verständnis von ‚care’, das ein grundlegen<strong>des</strong> menschliches<br />

Bedürfnis bzw. Erfordernis ist. Für sie ist caring gleich nursing, d.h. Pflege. Bei ihrer begrifflichen Fassung<br />

von ‚care’ unterstellt sie, dass Pflege vorhanden sein muss, damit Heilung bei den meisten Menschen überhaupt<br />

erfolgen kann. Pflegen (caring) und Heilen (curing) haben unterschiedliche Bedeutungen und therapeutische Ergebnisse.<br />

In jüngster Zeit haben Charlotte und Michael Uzarewicz (2005: 30) den Versuch unternommen, die<br />

Pflege aus der Perspektive einer phänomenologischen Anthropologie zu deuten. Danach ist Pflege ein menschliches<br />

(auch tierisches) Urphänomen wie Essen und Trinken, Schlafen, Defäzieren, Kopulieren, Atmen, Gehen<br />

oder Liegen. Hier ergeben sich erste Anknüpfungspunkte zu dem von Mead beschriebenen menschlichen Impuls<br />

der elterlichen Fürsorge/Pflege (s. Kap. 3).<br />

Auch wenn die Pflege für das Überleben der Menschheit notwendig ist, heißt dies nicht, dass die Pflege als<br />

Handlungszweck zu einem sozialen Wert geworden oder in die bewusste Zielvorstellung der Gesellschaft 79 eingegangen<br />

wäre. Zu den Zielvorstellungen einer Gesellschaft rechnet Rohde (1974: 104) das Gesamte ausgewählter,<br />

von allen geteilter und als wertvoll anerkannter Bedürfnisbefriedigungen. Innerhalb der Zielvorstellungen<br />

und Werte besteht eine hierarchische Ordnung,<br />

„die den Grad der Wertbesetzung der einzelnen Zwecke repräsentiert und damit den Vorrang bestimmter<br />

Ziele gegenüber anderen normativ umschreibt, um stets vorhandene und mögliche Zweckkonkurrenzen der<br />

Ordnung halber bis zu einem gewissen Grade vorzuentscheiden“ (Rohde 1974: 104)<br />

Mit Blick auf den Zweck-Wert, der in die Zielvorstellung der Gesellschaft übergegangen ist, und auf die Institution<br />

Krankenhaus als Verhaltens- und Handlungssystem (soziales System) hat dieser Mittelcharakter. Die Institution<br />

ist das Instrument bzw. Werkzeug der Gesellschaft, mittels <strong>des</strong>sen der Zweck verfolgt oder das Bedürfnis<br />

abgedeckt wird. Es geht hier vor allem darum, dass die notwendig zu leistende Pflegearbeit von der Gesellschaft<br />

als eigenständiger und nicht an Krankheit gekoppelter ‚Zentralwert’ begriffen wird.<br />

Allgemein stellt Krankheit für den Menschen eine Bedrohung dar. Sie tut ihm hinsichtlich seiner Handlungsund<br />

Leistungsfähigkeit etwas an. Sie bedroht ihn, die soziale Gruppe, und im näheren Umfeld die Familie. Die<br />

Bedrohung wird auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene relevant. Rohde (1974: 134ff) hebt hervor,<br />

dass<br />

„die Entfaltung <strong>des</strong> Bedürfnisses an die permanente Bedrohung der Funktionsfähigkeit gebunden ist. An<br />

seiner Wurzel (die bis in die willensunabhängigen Reaktionen <strong>des</strong> Organismus hineinreicht), stellt sich das<br />

Bedürfnis dar als Interesse, der Bedrohung zu entkommen, die Funktionsminderung nach Möglichkeit zu<br />

vermeiden. Das gilt anthropologisch für den einzelnen wie auch soziologisch für die Gruppe der Gesellschaft<br />

(Rohde 1974: 136).<br />

Der Mensch kann dieser Bedrohung nicht vollends entkommen. Er muss Vorsorge treffen. Für eine Vorsorge auf<br />

gesellschaftlicher Ebene muss neben dem Bedürfnis, die mit dem Krankheitsfall verbundenen Bedrohungen zu<br />

78 Collière (1984) spricht von ‚care’ und ‚cure practices’ und geht in ihrem Aufsatz den kulturellen Wurzeln dieser Praktiken<br />

nach. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung und insbesondere mit der Herausbildung<br />

der wissenschaftlichen Medizin, die ‚care-practices’ in den Hintergrund und damit in Vergessenheit geraten sind. Dies hatte<br />

Folgen für die Menschen, vor allem für die Frauen. In dem ‚Care’-Begriff, wie Collière ihn verwendet, ist die Pflege kranker<br />

Menschen lediglich ein Aspekt so genannter ‚caring-practices’.<br />

79 Hier scheint aufgrund <strong>des</strong> unübersehbaren demographischen Wandels allmählich eine Änderung einzutreten. Wie der Broschüre<br />

‚Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen’ von Dez. 2007 <strong>des</strong> BMFJSFJ und <strong>des</strong> BMG zu entnehmen<br />

ist, wird das Phänomen Pflege inzwischen deutlicher wahrgenommen.<br />

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