zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen
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Kapitel 4<br />
hungen, die formalen wie informellen, sind ein nicht zu unterschätzender Dreh- und Angelpunkt bei der Verteidigung<br />
<strong>des</strong> Zuständigkeitsbereichs, da sich die Grenzen zwischen den Berufen wie auch die Arbeitsinhalte verschieben<br />
können 42 . Allerdings sind die Ausgangspunkte der verschiedenen Berufe höchst unterschiedlich 43 . An<br />
dieser Stelle kommen das zwischen Pflege und Medizin bestehende Arbeitsarrangement und die damit verbundene<br />
Berufskonstruktion einschließlich der Kopplung der Pflege an die Krankheit zum Tragen. Jene werden von<br />
diesen Entwicklungen nachhaltig berührt. Ebenso können sich die Beziehungen zwischen den Berufen und die<br />
Konfliktlinien verschieben. Die Konfliktfelder der verschiedenen Berufe untereinander betreffen in erster Linie<br />
die Arbeit, d.h. den Arbeitsgegenstand und -inhalt, die Gestaltung und damit die Kontrolle der Arbeit sowie die<br />
Differenzierung innerhalb von Typen der Arbeit und deren Wertschätzung. Die gesamte Organisation der Arbeit<br />
steht <strong>zur</strong> Disposition, da diese ebenfalls einem kontinuierlichen Wandel unterliegt (s. hierzu auch Hughes 1993,<br />
Strauss/Bucher 1966/2001, Strauss 2001). Mit Blick auf die Arbeit einer Profession, die empirisch eine breite<br />
Vielfalt von Aufgaben aufweisen kann, sprechen Strauss/Bucher (1966/2001: 20ff) von ‚beweglichen Segmenten‘<br />
oder anders formuliert von Segmenten als Ausdruck sozialer Bewegungen innerhalb einer Profession. Was<br />
die einzelnen Segmente als den Kern ihres professionellen Handelns bzw. ihrer Arbeit ansehen, kann beachtlich<br />
variieren, ebenso das, was als die spezifischen Methodologien und Technologien der Arbeit angesehen oder das,<br />
was als Beziehung zum Arbeitsgegenstand begriffen wird.<br />
Der Zuständigkeitsbereich und die Beziehungen zwischen den Professionen können, müssen aber nicht, staatlicherseits<br />
reguliert sein. Auch hier kann es zu Veränderungen kommen, die den einzelnen Professionen Anpas-<br />
Pflege (2000), und Carolyn Wiener (2000) mit Blick auf die Organisation Krankenhaus. Fitzpatrick (1977: 826ff) beschreibt<br />
die Anfänge einer erweiterten Pflegerolle, die sich im Kontext <strong>des</strong> Mülleimer-Fahrstuhlphänomens abspielen und zu einer<br />
Zeit erfolgen, wo es aufgrund <strong>des</strong> technologischen Fortschritt zu einer Ausdifferenzierung ärztlicher Fachgebiete (Spezialisierung)<br />
kommt. Fairman/Lynaugh (1998) gehen diesen Entwicklungen im Bereich der Intensivmedizin und –pflege nach.<br />
Sie zeigen auf, wie die Entwicklungen in der Medizin <strong>zur</strong> Übernahme von immer mehr ‚ehemals’ ärztlichen Aufgaben geführt<br />
haben. Der ‚arztabhängige’ Bereich wurde immer weiter ausgedehnt (s. Fahrstuhl<strong>theorie</strong>). Eine ähnliche Ausdehnung<br />
<strong>des</strong> arztabhängigen Bereichs ist seit der Entstehung der ‘nurse practitioners’, und ‘clinical specialist’ in den 1960er und<br />
1970er Jahren zu beobachten. Zeitgleich entsteht innerhalb der Medizin die Figur <strong>des</strong> Physician Assistant. (s. Fairman/Lynaugh<br />
1998, Weiland 2008, Fairman 2008, Hobbs 2009). Keeling (2006) hebt hervor, dass in den 1960er/1970er Jahren<br />
Begriffe wie expanded role (angereicherte) und extended role (ausgedehnte) benutzt wurden. Der Begriff ‚advanced practice‘,<br />
der seit den 1980er mehr und mehr verwendet wird, verweist auf die akademische Ausbildung und bezieht die Pflege<br />
mit ein. Seit der Institutionalisierung der Ausbildung von CNS, NPs und APNs auf der Masterebene zeichnet sich diese trotz<br />
gegenteiliger Behauptungen durch ihre starke Medizinorientierung aus. Auch die Praxis ist mehr am medizinischen Modell<br />
orientiert. Diese Entwicklung wird durchaus kritisch betrachtet. Nach Burman et al. (2009) ist es mit der angestrebten Anhebung<br />
der Qualifizierung auf der Promotionsebene mehr als überfällig, dass diese neu und entlang <strong>des</strong> vorhandenen Wissens<br />
in der Pflege ausgerichtet wird. Dies ist wichtig, um über das Konzept <strong>des</strong> ‚physician extenders’ hinauszugelangen und um<br />
den ‚added value’ für die Gesellschaft aufzeigen zu können. Die skizzierte Entwicklung zeichnet sich weltweit mit der vom<br />
ICN geförderten Idee der ‚advanced nursing practice‘ ab (s. Schober/Affara 2008). Eine ähnliche Entwicklung ist - trotz gegenteiliger<br />
Beteuerungen - auch in Großbritannien zu beobachten (s. Allen 2004, 2007, Hughes 2002, Salvage 2002) Jane<br />
Salvage (2002: 6ff) hebt hervor, dass ein bis heute hervorstechen<strong>des</strong> Merkmal, das den Prozess der Professionalisierung der<br />
Pflege begleitet hat, in der Annahme besteht, dass Pflegekräfte das tun, was ihnen Ärzte sagen und dass ihre Praxis aus all<br />
dem besteht, was die Medizin der Pflege erlaubt, selber ignoriert oder mit Gleichgültigkeit bzw. Missachtung begegnet. Salvage<br />
betont, dass Aufgaben professionalisiert worden sind, die ärztlicherseits an die Pflege abgegeben worden sind und wo<br />
die Pflege <strong>zur</strong> Kompensation <strong>des</strong> Ärztemangels und reduzierter ärztlicher Arbeitszeit aufgrund der EU Arbeitszeitvorgaben<br />
hergehalten hat. In diversen Feldern haben sich – beginnend mit der Nurse Practitioner Bewegung in den USA in den 1960er<br />
Jahren – im Bereich der Vorsorge, der Versorgung benachteiligter Bevölkerungsgruppen u.a.m. Pflegearbeitsfelder herausgebildet,<br />
Arbeitsfelder, die wenig attraktiv für Ärzte waren und sind. Dieses Muster hat sich offenbar seit den 70er Jahren <strong>des</strong><br />
letzten Jahrhunderts bis heute in Großbritannien wiederholt.<br />
42 Im Gutachten <strong>des</strong> SVR von 2007 (Pkt. 2.6: 78ff) wird die, in der FN 43 skizzierte Entwicklung rezipiert. Die gegenwärtige<br />
Diskussion in Deutschland über eine Neuverteilung der Aufgaben im Gesundheitswesen ist ein weiteres Beispiel (s. Jacobs<br />
2007, Stemmer et al. 2008). Auch hier geht es um eine Verlagerung ärztlicher Tätigkeiten, die nicht zu den ärztlichen Kernaufgaben<br />
(ein sehr dehnbarer Begriff MMK) gehören. Weiter wird zwischen einer Neuzuteilung von Einzeltätigkeiten und<br />
einer Übertragung von Aufgaben bzw. Aufgabenkomplexen differenziert (Stemmer/Böhme 2008: 200). Diese Diskussion<br />
berührt das doppelte Mandat der Pflege, ohne darauf und auf die damit zusammenhängende vergeschlechtlichte Berufsschneidung<br />
kritisch einzugehen bzw. den Versuch zu unternehmen, Ansätze aufzuzeigen, wie diese überwunden werden<br />
kann. Ein vergleichbares doppeltes Mandat gibt es in männlich konnotierten Berufen nicht.<br />
43 Das Arbeitsarrangement zwischen Hebammen und Ärzten oder Physiotherapeuten und Ärzten ist wie in der Pflege geschlechtskonnotiert.<br />
Im Gegensatz <strong>zur</strong> Pflege basiert es aber auf einem auch rechtlich eindeutigen Muster der Arbeitsteilung.<br />
Diese Situation ist, wie schon Freidson (1986: 165) feststellt, höchst komplex. Denn auch hier lassen sich im Überlappungsbereich<br />
Probleme feststellen, wie das Beispiel ‚Mutterschafts-Richtlinien zeigt (s. Gutachten <strong>des</strong> SVR 2007: 62).<br />
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