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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 4<br />

bott unterscheidet zwei Formen der Kontrolle, die Kontrolle von Techniken und die Kontrolle von abstraktem<br />

Wissen. Die Kontrolle bezieht sich auf das abstrakte Wissenssystem, aus dem die praktischen Fähigkeiten hervorgehen.<br />

Das Adjektiv ‚abstrakt’ verweist beim Wissenssystem auf eine Eigenschaft, die Professionen von anderen<br />

Berufsgruppen unterscheidet 35 . Im Wettbewerb der Professionen untereinander ist das Wissenssystem einer<br />

Profession und der Grad an Abstraktion die ultimative Währung. Wie abstrakt das Wissen für das Überleben<br />

sein muss, ist relativ und hängt von den jeweiligen historischen und sozialen Umständen ab, unter denen es mit<br />

anderen Wissenssystemen konkurriert. Auch wenn das von einer Profession erzeugte Wissenssystem mittels<br />

wissenschaftlicher Verfahren hergestellt worden ist, wird es nicht schon ‚per se’ anerkannt, noch garantiert es<br />

das Überleben einer Profession. In Bezug auf die amerikanische Pflege behauptet Freidson (2001: 90), dass die<br />

Pflege, obwohl es ihr inzwischen gelungen ist, einige Aspekte einer Profession für sich zu behaupten, noch keine<br />

hinreichende kognitive Autorität herstellen konnte, um die Arbeitsteilung innerhalb derer sich ihr Zuständigkeitsbereich<br />

befindet, oder den öffentlichen Diskurs über die eigene Arbeit zu dominieren. Freidsons Beobachtung<br />

wird inzwischen durch diverse Forschungsergebnisse belegt 36 . Ungeachtet <strong>des</strong>sen muss sich das Wissenssystem<br />

innerhalb der Professionen einerseits und innerhalb der Gesellschaft andererseits bewähren, die der<br />

Nutznießer der auf diesem Wissen basierenden Dienstleistungen ist. Das Bewährungsfeld ist die Praxis. Für die<br />

Pflege stellt sich die Frage, ob das in der Pflege generierte Wissen wie Pflege<strong>theorie</strong>n oder Forschungsergebnisse<br />

von der Gesellschaft anerkannt wird, ob es seitens der Professionsangehörigen wahrgenommen und angenommen<br />

wird, was davon konkret in der Praxis aufgegriffen wird 37 , ob und wie die berufliche Pflege die Bewährungsprobe<br />

im Berufsalltag besteht und durch welche organisatorischen Maßnahmen der Wissenstransfer gefördert<br />

bzw. erschwert wird. Eine andere Frage ist, inwieweit das Wissenssystem als ‚Machtressource’ (als ermächtigende<br />

Ressource) in betrieblichen und überbetrieblichen Aushandlungsprozessen geltend gemacht werden<br />

kann 38 .<br />

Hier kommt das zwischen einer Profession und ihrer Arbeit bestehende Bindeglied zum Tragen, welches Abbott<br />

(1988: 20) als Zuständigkeitsbereich 39 bzw. ‚jurisdiction’ bezeichnet. Meleis (2007: 462ff) spricht in ihrer Diskussion<br />

der Pflege als einer Disziplin vom Wissensbereich bzw. von der Wissensdomäne der Pflege (domain of<br />

nursing knowledge). Die verschiedenen Professionen reklamieren ihren Zuständigkeitsbereich für die von ihnen<br />

zum Wohl der Gesellschaft erbrachten Dienste bzw. Dienstleistungen als Recht. Die Zuständigkeit wird aus der<br />

Fähigkeit abgeleitet, abstraktes Wissen auf bestimmte Probleme (bei Mensch und Natur) anzuwenden (s. Rabe-<br />

Kleberg 1993: 97, 1996: 290, Abbott 1988: 35). Für welchen Problembereich behauptet die berufliche/professionelle<br />

Pflege zuständig zu sein? Die Klärung dieser Frage ist angesichts <strong>des</strong> stetigen Wandels, dem<br />

Professionen unterliegen 40 , von hoher Relevanz. In den verschiedenen pflegetheoretischen Ansätzen ist u.a. der<br />

Versuch unternommen worden, hierauf eine Antwort zu geben. Ungeachtet <strong>des</strong>sen, ob diese zufriedenstellend<br />

ist, treten bei diesen Entwicklungen, in welchen jeweils der Zuständigkeitsbereich einer Profession <strong>zur</strong> Disposition<br />

steht, die Zuständigkeitsbereiche der anderen Professionen auf den Plan 41 . Die interprofessionellen Bezie-<br />

35 Abbott (1988: 9) verweist darauf, dass andere Eigenschaften, die Professionen zugerechnet werden, wie z.B. der Erwerb<br />

von Lizenzen bzw. Berechtigungen oder eines ethischen Kodexes nicht auf Professionen beschränkt sind.<br />

36 So u.a. auch in dem Buch von Suzanne Gordon/ Berenice Buresh (2000/2003) ‚From Silence to Voice’.<br />

37 Wie die Vermittlung, die Akzeptanz und nicht zuletzt die Nutzung pflegetheoretischer Ansätze in der pflegerischen Praxis<br />

zeigt, handelt es sich hierbei um eine höchst umstrittene Frage (s. Algase/Newton/Higgins 2001, Fawcett 2006, Birk 2007,<br />

Chinn 2007, Risjord 2010).<br />

38 Heidenreich (o.J. S. 7) spricht von Unbestimmtheitszonen (Kompetenz, professionelle Identität, Reputation, Recht, Arbeitsplätze),<br />

die Berufsgruppen kontrollieren. Er hebt insbesondere vier Ressourcen <strong>zur</strong> Stabilisierung der kognitiven und<br />

sozialen Basis sowie <strong>zur</strong> Sicherung der öffentlichen und staatlichen Anerkennung hervor: Bildungspatente, Professionelle<br />

Identität (Berufsverbände, Entwicklung professioneller Selbstkontrollen, eigenständige wissenschaftliche Ausbildungsgänge,<br />

die Entwicklung einer eigenen Sprache und eines professionellen Habitus), öffentliches Image und rechtliche Privilegierungen.<br />

39 Ich spreche mit Blick auf die Organisation der Arbeit vom Autoritäts- und Zuständigkeitsbereich.<br />

40 Professionen können sich verändern, mit einer anderen Profession verschmelzen, innerhalb einer Profession kann es <strong>zur</strong><br />

Ausbildung neuer Professionen und damit <strong>zur</strong> Abspaltung kommen und schließlich können Professionen auch sterben.<br />

41 Siehe zu den Entwicklungen in der Medizin und Pflege grundsätzlich die Arbeiten von Strauss und MitarbeiterInnen<br />

(1985) sowie Strauss (1993), weiter die Arbeiten von Joell Howell (1996) für die Medizin, Margarete Sandelowski für die<br />

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