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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 4<br />

historischen Erkenntnisse legen nahe (s. 4.1), dass in den weltlichen Organisationen, die säkularisierte Heilspflege<br />

immer mehr in dem aufgeht, was in den 1950er Jahren von der deutschen Krankenhausgesellschaft unter dem<br />

Begriff der ‚Grundpflege‘ subsumiert wurde, und die Heilpflege in der sogenannten Behandlungspflege (s. Müller<br />

2001a: 97ff). Für letztere Pflegeform bildet das Wissen der Medizin den Bezugsrahmen, wohingegen das<br />

Wissen der erstgenannten Form primär in Praxis und Erfahrung verkörpert ist.<br />

Das Bildungssystem als zentrale Institution 28 zum Erwerb allgemeiner und beruflicher Kompetenz hat in seiner<br />

Dreifachfunktion als Werteträger individueller Orientierungen, als Sozialisations- und Territorialitäts-Agentur<br />

sowie als Teil der Sozialstruktur einer Gesellschaft entscheidenden Anteil an der Herausbildung eines beruflichen<br />

Selbst und Selbstkonzepts. Wie Krüger schreibt, stützen Institutionen<br />

als Träger von Werten, wie z.B. Gleichheit, Bildung, sozialer Verantwortung, [...] wesentlich die Aufrechterhaltung<br />

der entsprechenden Orientierungen. Als konkrete Sozialisationsinstanzen mit Zuordnungscharakter<br />

von Territorien und Kompetenzen zu Geschlecht nehmen Schule, Familie und Beruf seit Beginn der Geschlechterforschung<br />

einen breiten Raum ein. In Form ihrer organisatorischen Verfasstheit sind sie zugleich<br />

wesentlicher Bestandteil der Sozialstruktur und der in ihr inkorporierten Geschlechterordnung. [...] Nicht<br />

nur aus der Sicht der Sozialstruktur und ihrer Reproduktion, sondern auch von der Seite der Subjekte her betrachtet,<br />

stellen Institutionen sowohl einen orientierenden als auch sozialisierenden und Alternativen begrenzenden<br />

Handlungsrahmen für individuelle Selbstverortung und subjektive Biographiegestaltung dar. Sie<br />

sind eine intermediäre Schnittstelle zwischen sozialisatorisch-subjektiv vermitteltem gesellschaftlichem<br />

Kontext der Orientierung und materialisierten Standardisierungen <strong>des</strong> Handelns (Krüger 2001a: 66).<br />

Anhand eigener Forschungsarbeiten belegt Krüger (2001a), dass in bestimmten Bereichen – etwa in der Familie<br />

(Ursprungsfamilie, eigene Familie/ Partnerschaft) oder im Bereich der Allgemeinbildung die Zuweisungen von<br />

typisch weiblichen und männlichen Geschlechtsattributen etc. nicht mehr durchgängig greifen 29 . Die Berufskonstruktion<br />

wiederum wird laut Voges (2002: 32) durch Leitvorstellungen beeinflusst, die in Berufsbildern kodifiziert<br />

sind. Diese ‚Berufsbilder’ dienen dazu, Interessen bei der Berufsschneidung und beim Abstecken von Erwerbschancen<br />

durchzusetzen. Da einem Berufsbild in diesem Zusammenhang eine instrumentelle Funktion zukommt,<br />

unterscheidet es sich je nachdem, ob es von Interessenvertretern der Anbieter oder der Abnehmer der<br />

Arbeitskraft oder gar von Kostenträgern der Arbeitsleistungen erstellt ist (Voges 2002: 34). Zusammengefasst<br />

weisen Berufsbilder im Allgemeinen nur jene Fähigkeiten aus, die formale Merkmale <strong>des</strong> Berufs sind. Sie haben<br />

funktionalen Charakter und sind auf die expliziten Anforderungen der Berufspositionen bezogen. Als informale<br />

Bestandteile fließen implizite Anforderungen <strong>des</strong> Beschäftigungssystems zusätzlich mit ein. Sie beziehen sich<br />

auf individuelle Ressourcen und Eigenschaften der Berufsinhaber. Informale Bestandteile sind zunächst ‚erwartete<br />

Fähigkeiten’, die wichtig sind, um die Arbeitsaufgabe erledigen zu können. Weiter können sich zu den informalen<br />

Bestandteilen eines Berufsbilds auch den Berufsinhabern ‚zugeschriebene Eigenschaften’ entwickeln<br />

(Voges 2002: 35). Ein anderer für das Praxisfeld wichtiger Aspekt besteht darin, dass Berufsausbildungen direkt<br />

auf die Berufspraxis vorbereiten, wohingegen eine Hochschulbildung <strong>zur</strong> Ausübung der jeweiligen Profession<br />

befähigt 30 (s. Bollinger 2005: 18f).<br />

28 Nach Krüger (2001a: 66) geht es darum, den empirischen Vermittlungsprozessen zwischen Sozialstruktur, Kultur und<br />

Handeln auf die Spur zu kommen. Dieser Aspekt ist für eine pflegerische Handlungs<strong>theorie</strong>, die ihre Wirkung in der beruflichen<br />

Praxis entfalten soll, wichtig, da diese Vermittlungsprozesse eine wesentliche Rolle für die nachhaltige Veränderung der<br />

beruflichen Pflege spielen.<br />

29 Mädchen und Jungen haben sich in ihren Verhaltensweisen und Kompetenzen angenähert. Dennoch gelingt es insbesondere<br />

Frauen nicht, die erworbenen Kompetenzen und das damit korrespondierende Selbstkonzept im Beruf aufrechtzuerhalten.<br />

Was für die Elterngeneration noch selbstverständlich war – ‚der Mann geht arbeiten, die Frau bleibt Zuhause‘ -, wird zunehmend<br />

in Frage gestellt und ist Gegenstand von Aushandlungsprozessen. Diese fallen jedoch – wie Krüger (2001a: 68ff) feststellt<br />

– zuungunsten der Frauen aus. Das Berufsbildungssystem erweist sich hier als erste Barriere.<br />

30 Letzteres bedeutet, „dass die Sozialisation in die besonderen Bedingungen dieser beruflichen Praxis dann beim Übertritt in<br />

das Beschäftigungssystems erfolgen muss“ (Bollinger 2005: 19). Die Bedeutung dieses Aspekts kann in seiner praktischen<br />

Konsequenz leicht unterschätzt werden. Er ist aber, wie neuere Untersuchungen in der Pflege belegen (s. die inzwischen klassische<br />

Arbeit von Patricia Benner 1984, Gregg/Magilvy 2001, MacIntosh 2003, Crawford/Brown/Majomi 2008, Jasper<br />

2006), für den weiteren Berufsverlauf und die berufliche/professionelle Identität wichtig.<br />

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