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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 4<br />

Pflege eine umschriebene Assistenzarbeit für den Pastor/die Kirche und zum anderen Assistenzarbeit für den<br />

Arzt 21 . Art, Umfang und Inhalt der religiösen Assistenzarbeit geht aus den Regeln der Orden- und Glaubensgemeinschaften<br />

bzw. Mutterhäuser hervor, wohingegen Art, Umfang und Inhalt der Assistenzarbeit für den Arzt<br />

aus den frühen Lehrbüchern und anhand der Krankenpflegegesetze im 20. Jahrhundert abgeleitet werden kann (s.<br />

z.B. Salzwedel 1909, ADS und Deutsche Schwesterngemeinschaft E.V. 1958/1969, Harsdorf/Raps 1986, Kruse<br />

1987). Christoph Schweikardt bringt das Problem mit Blick auf das für das Professionsverständnis zentrale Konzept<br />

der Autonomie auf den Punkt. Hiernach ist „die Krankenpflege in Kernbereichen ärztlicher Diagnostik und<br />

Therapie ein weisungsgebundener Beruf“ (s. Schweikardt 2008: 19). Einmal wird die Pflege an das Heil gekoppelt,<br />

zum anderen an die Krankheit. Heilspflege und Heilpflege verkörpern konkurrierende Konzepte von<br />

Krankheit 22 . In beiden Formen wird von der Pflege als eigenständigem Phänomen abstrahiert. Die Pflege wird<br />

statt<strong>des</strong>sen aus der jeweils vorherrschenden Perspektive eines naturwissenschaftlich geprägtem Krankheitsverständnisses<br />

oder eines leidenden kranken Menschen entsprechend <strong>des</strong> Verständnisses der katholischen resp. protestantischen<br />

Kirche gedeutet (s. Nolte 2009a, b, Käppeli 2004). Die gefundene Arbeitsteilung wird mit dem<br />

weiblichen Geschlecht und Charakter begründet und legitimiert. In beiden Modellen ist die Pflege – wie in Abbildung<br />

4.2. dargestellt -, abhängiger Teil einer spezifischen sozialen Welt (s. Strauss 1982; 1984, 1993).<br />

Abb. 4.2: Soziale Welt der Heilspflege und der Heilpflege<br />

In beiden sozialen Welten – Religion, Medizin -, bestimmen unterschiedliche Wissenssysteme, Normen und<br />

Werte das berufliche Handeln der Mitglieder. Mit dem Aufkommen weltlicher Pflegeorganisationen Ende <strong>des</strong><br />

19. Jahrhunderts und der freiberuflichen Pflege mit Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts erhält die Heilspflege durch das<br />

Konzept der ‚geistigen Mütterlichkeit’ in seinen unterschiedlichen Ausprägungen eine Konkurrenz. Die religiöse<br />

Heilspflege wird durch eine säkulare Heilspflege ersetzt. Religiöse und säkulare Heilspflege sowie säkulare<br />

Heilpflege treffen aufeinander, ohne dass das Eheparadigma, das in der sozialen Welt der Medizin handlungsleitend<br />

für die Pflegekraft-Arzt-Beziehung ist, im Kern tangiert bzw. herausgefordert wird (s. Abb. 4.3). Mit dem<br />

Aufkommen weltlicher Schwesterngemeinschaften ist die Gruppe der weltlich orientierten Pflegekräfte lediglich<br />

einem Eheparadigma, statt zweien verpflichtet, wohingegen die Lebensform <strong>des</strong> Mutterhauses und die Ver-<br />

21 Sehr ausgeprägt ist dieses doppelte Eheparadigma in Fliedners Konzeption der Krankenpflege (s. Schmidt 1998, Köser<br />

2006). Die Situation im katholischen Bereich sah etwas anders aus, auch wenn hier, wie in der Diakonie, Pflege als Heilspflege<br />

begriffen wurde. Die katholischen Pflegekräfte (der Orden, Kongregationen) verfügten gegenüber ihren protestantischen<br />

KollegInnen trotz der Weisungsgebundenheit gegenüber ärztlichen Anordnungen im 19. Jh. über eine größere Autonomie<br />

(s. Meiwes 2000: 169ff). Dies änderte sich nach und nach gegen Ende <strong>des</strong> 19. Jahrhundert als katholische Ärzte begannen,<br />

ihren Einflussbereich in den katholischen Krankenhäusern immer mehr auszudehnen (s. Schweikardt 2008: 138ff).<br />

22 In jüngster Zeit ist die Heilspflege erneut Gegenstand historischer Forschung. Karen Nolte (2006, 2008, 2009a, b, 2010)<br />

entdeckt in diesem Bereich trotz der Reglementierung durch das ‚Mutterhaus’ den ‚eigenständigen Bereich’ der Pflege. Sie<br />

differenziert zwischen der ‚Seelenpflege’ oder auch ‚geistigen Pflege’ und der physischen Pflege (Leibespflege). Diese Seelenpflege<br />

wurde mit religiösen Deutungsmustern von Krankheit, Armut und Sünde verbunden. Pflege als eigenständiges<br />

Phänomen taucht hier nicht auf, sondern wird mit Krankheit assoziiert.<br />

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