zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen
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Kapitel 4<br />
In Kapitel 1 habe ich dargestellt, wie zu Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts führende Pflegekräfte in den USA Vorstellungen<br />
von der Pflege als Profession entwickelten und diese durchzusetzen versuchten. Sie orientierten sich dabei<br />
an der sich <strong>zur</strong> gleichen Zeit professionalisierenden Medizin. Der Professionsbegriff war zu Beginn <strong>des</strong> 20.<br />
Jahrhunderts noch eher vage und verschwommen (Strauss 2001: 32f). Bei der Verfolgung ihres ‚Professionsprojekts’<br />
verbündeten sich die führenden Pflegekräfte mit ‚fortschrittlich gesinnten’ Ärzten 15 . Sie waren auf deren<br />
Unterstützung angewiesen und ließen sich auf ein Arbeitsarrangement mit der Medizin ein, das Strauss (2001:<br />
55) als eine ‚wechselseitige Verbindung’ und als ein ‚subordinate-superdominate pattern’ bezeichnet. Aus dieser<br />
Verbindung erwuchs die Erteilung eines doppelten Mandats an die Pflege 16 (s. Strauss 2001: 55f, s. auch Kap.<br />
1). Dieses Muster der Arbeitsteilung bei der ‚Professionskonstruktion’ begleitet die Pflege bis heute. Es entfaltet<br />
seine Wirkung auf der Ebene der konkreten Pflegearbeit und in den dabei einzugehenden Arbeitsbeziehungen<br />
und es steht, wie Fagin (1992) zeigt, einer ‚echten Zusammenarbeit‘ zwischen Medizin und Pflege im Wege.<br />
Ironischerweise kommt das subordinate-superdominate pattern in den USA zu einem Zeitpunkt zum Tragen, wo<br />
immer mehr Pflegekräfte im Krankenhaus arbeiten und wo dieser Ort zum wichtigsten Arbeitsplatz 17 und Praxisfeld<br />
wird. Diese Entwicklung beginnt in den 30er Jahren <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts und verstärkt sich nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg. Zeitgleich setzt auf theoretischer Ebene ein Prozess ein, in dem sich die Pflege konzeptionell von<br />
der Medizin löst. Auf der praktischen Ebene hingegen findet durch die Verbreitung der so genannten Funktionspflege<br />
eine Ausdifferenzierung der von der Pflege wahrzunehmenden Aufgaben entlang von Funktionen und Tätigkeiten<br />
auf der Basis von einfachen bis komplexen Tätigkeiten statt, die durch eine an Funktionen und Tätigkeiten<br />
orientierte und sich ebenfalls differenzierende Ausbildung unterstützt wird 18 (s. Mischo-Kelling 2007a:<br />
45). Auffällig ist, dass das doppelte Mandat und die sich daraus ergebenden Folgen für die zu leistende Arbeit in<br />
der Diskussion über Professionen 19 , aber auch im pflegetheoretischen Diskurs nur bedingt in den Blick genom-<br />
15 Strauss (2001: 54) betont, dass die medizinische und pflegerische Arbeit gut zusammenpassten, nicht zuletzt <strong>des</strong>halb, weil<br />
sie aufgrund <strong>des</strong> Umstands, dass Pflegekräfte Frauen sind, einem Muster von Unterordnung/Überordnung folgten. Wie dieses<br />
Muster funktionierte, zeigt Strauss an diversen Beispielen auf. Im Bereich <strong>des</strong> ‚Wissens’ zeigte es sich darin, dass dem Arzt<br />
‚abstrakte Bildung’ vorbehalten war, wohingegen die Pflege mit ‚technischer Bildung’ befasst war.<br />
16 Die damit verbundenen Folgen für die konkrete Pflege konnten allerdings von den führenden Pflegekräften in ihrer Tragweite<br />
nicht vorausgesehen werden, da sie in der Regel nicht im Krankenhaus arbeiteten, sondern außerhalb dieser Institution.<br />
Ihr primärer Arbeitsplatz in der ersten Hälfte <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts war der Bereich <strong>des</strong> ‚Visiting Nursing’, ‚Public Health<br />
Nursing’ oder der <strong>des</strong> ‚Private Duty Nursing’ (s. Fitzpatrick 1977, Buhler-Wilkerson 2001, Gelfand Mulka 2007, Mischo-<br />
Kelling 2007a, Gebbie 2009).<br />
17 Diese Phase kann auch als Medikalisierung der Pflege in einem weiten Sinn beschrieben werden. Sie setzt in allen Ländern<br />
verstärkt nach dem Zweiten Weltkrieg ein und ist eng verbunden mit der Entdeckung von potenten Arzneimitteln und der<br />
Entstehung von Intensivstationen infolge technologischer Errungenschaften (s. Fairman/Lynaugh 1998). Sandelowski (2000)<br />
zeigt in ihrer Arbeit die mit dem Einsatz von neuen Technologien einhergehenden Veränderungen in der Pflegearbeit auf.<br />
Diese führen zu der erwähnten Rekombination und Rekonstruktion von Arbeit, aber auch von Rollen und Arbeitsbeziehungen<br />
zwischen Pflegekraft /Arzt und Pflegekraft/Patient.<br />
18 Kristine Gebbie (2009) untersucht den Einfluss von vier wichtigen Reports über die Pflege (Goldmark-Report, Brown-<br />
Report, Lynsaught-Report und Institute of Medicine-Report). Die unter dem Begriff ‚registered nurse’ versammelte Vielfalt<br />
von Abschlüssen (= vertikale Differenzierung) ist nach Gebbie das zentrale Problem der Pflege in den USA, welches bis heute<br />
nicht gelöst ist. Es macht die Pflege als Ganzes verwundbar, da dieser Zustand die Vorstellung einer gegenseitigen Substituierbarkeit<br />
der unterschiedlich qualifizierten Personen fortwährend nährt (ein Kreislauf der kontinuierlichen Abwertung<br />
der Pflege). Wie inzwischen immer mehr verstanden wird, ist diese Entwicklung das Resultat von kurzsichtigen politischen<br />
Entscheidungen. Diese haben in der Pflegepraxis zu erheblichen Problemen und Verwerfungen geführt. Daher empfiehlt<br />
der National Advisory Council On Nurse Education And Practice (NACNEP, 2008: 15f), alles daran zu setzen, die<br />
BSN-Studiengänge zu erhöhen, um den veränderten Anforderungen gerecht werden zu können.<br />
19 Weidner (1995) ist in seiner Arbeit am Rande auf die Abhängigkeit der Pflege von der Medizin eingegangen. Er hat das<br />
Problem aber nicht weiter eruiert. Hutwelker (2005: 150f) spricht vom ärztlichen und pflegerischen Handlungsraum. Susan<br />
Gelfand Malka (2007) geht auf diesen Aspekt in ihrer Arbeit <strong>zur</strong> amerikanischen Pflege stärker ein. Celia Davies (1995a: 61)<br />
beleuchtet dieses Thema aus der Funktion heraus, die die pflegerische Arbeit für das männlich konnotierte Professionsprojekt<br />
der Medizin darstellt und aus der Perspektive der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung. Der erste Aspekt ermöglicht der<br />
Medizin, ihr professionelles Projekt zu realisieren, indem die Pflegearbeit als Vor-, Zu- und Nacharbeit der ärztlichen Arbeit<br />
begriffen wird. Diese übrig gelassene Arbeit versuchen Pflegekräfte nun konzeptionell zu erfassen und zu professionalisieren.<br />
Steppe (1990) hat aus der historischen Entwicklung fünf Hauptelemente herausgearbeitet, die das ‚Gerüst’ für die berufliche<br />
Pflege über einen großen Zeitraum absteckten. Hierzu gehört u.a. die strikte Unterordnung unter die Medizin/Kirche, die geschlechtsspezifische<br />
Arbeitsteilung, die die Basis dieses Musters ist. Angelika Wetterer (2002) geht u.a. der historischen<br />
Entwicklung der Pflege nach und thematisiert vor allem die Arbeitsteilung. Das doppelte Mandat der Pflege scheint sich dem<br />
analytischen Zugriff leicht zu entziehen.<br />
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